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Donnerstag, September 5, 2024
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    treff.punkt in Gießen: „Wir wollen Zusammengehörigkeit schaffen“

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    Im Mai und Juni hatte in Gießen der treff.punkt geöffnet. Dieser sollte ein offener Raum in der Innenstadt sein, wo allerlei soziale, kulturelle und politische Veranstaltungen stattfanden. Perspektive Online hat mit Merle und Tom von der Initiative gesprochen.

    Ihr habt im Mai und Juni mit anderen den treff.punkt organisiert. Was war euer Konzept und wie hat die Umsetzung funktioniert?

    Merle: 2023 gab es bei der Theatermaschine – ein studentisch organisiertes Festival vom Institut für angewandte Theaterwissenschaft – das Projekt „Büro für Stadt“. Hierbei ging es um die Fragen „Wie würdest du einen Raum am liebsten nutzen?“ und „Was fehlt dir in Gießen?“. Aus diesem viertägigen Projekt ist die Initiative „treff.punkt Gießen“ entstanden, die sich zum Ziel setzte einen offenen Raum für die Innenstadt zu schaffen.

    Offen bedeutet für uns ein kostenloser Ort wo Menschen zusammenkommen können, wo politische, soziale und kulturelle Veranstaltungen stattfinden können und Menschen schlussendlich die Möglichkeit geboten wird, sich zu organisieren und die herrschenden Umstände selbst zu verändern. Aus einem online Aufruf ist eine Gruppe von Menschen entstanden, die sich zum Ziel gesetzt hat diese Idee zu verwirklichen.

    Tom: Unser Ziel war es einen „Raum für Alle“ zu schaffen, der durch die Menschen getragen wird, die den Raum nutzen. Unser Wunsch war ein kollektives Bewusstsein zu schaffen. Im ersten Monat hat es funktioniert durch die Schulung von Menschen mit dem „Treffpunkt 1×1“ den Raum jeden Tag von 12 bis 20 Uhr zu öffnen. Der Leitfaden war gut, aber hat im Rückblick nicht ausgereicht, um wirklich ein umfassendes Verantwortungsbewusstsein für den Raum zu schaffen. Innerhalb der Strukturen gab es letztendlich keinen Konsens über politische Bestrebungen, die über die Einrichtung des Raumes hinausgingen. Im zweiten Monat wurde der treff.punkt immer weniger geöffnet, da wir keine Strukturen geschaffen hatten, die es Menschen ermöglichten sich niedrigschwellig einzubringen.

    Welche politischen Themen wolltet ihr mit eurem Projekt ansprechen?

    Tom: In erster Linie ging es darum die Isolation, die im Kapitalismus entsteht, zu durchbrechen. Ein kollektives Bewusstsein und Zusammengehörigkeit zu schaffen. Es ging nicht darum ein Autonomes oder linkes Zentrum zu schaffen, das nur Szene-typische Themen anspricht, sondern explizit in die breite Bevölkerung einzuwirken. Ein weiteres prägendes Thema war die Zurückeroberung des öffentlichen Raumes und dem Bedürfnis nach Orten der Solidarität und Kollektivität, das unter dem Motto „Innenstadt für alle“ angesprochen wurde.

    Merle: Interessant war, dass Menschen, die anfangs vielleicht skeptisch waren, immer wieder gekommen sind und gemerkt haben, „dieser Raum gibt mir etwas“. Im Kampf für eine befreite Gesellschaft benötigen wir Erfolgserlebnisse. Viele Ansätze aus der linken Bewegung beschäftigen sich damit, was alles schlecht läuft. Es ist aber wichtig den Menschen aufzuzeigen, dass sie etwas gegen die Verhältnisse tun können und sie dadurch aktivieren. Dies erreichen wir durch positive Beispiele.

    Wie wurde die Initiative in der Stadt aufgenommen?

    Merle: Die Initiative wurde von den Menschen positiv aufgenommen. Wir haben begeisterte Gespräche mit Menschen geführt. Durch alle Altersschichten hindurch wurde das Angebot genutzt. Es gab Familien, die vorbeikamen und Zeit im Raum verbracht haben. Kinder spielten und machten ihre Hausaufgaben. In den Seminarräumen im 1. Stock fanden Veranstaltungen statt und Gruppen nutzten diese auch für gemeinsames Zusammenkommen.

    Tom: Unser Wunsch war, die unterschiedlichsten Aktivitäten und Bedürfnisse aufzunehmen. Das hat gut funktioniert. Was den Raum besonders gemacht hat, war dass Menschen in besonders prekären Lebensverhältnissen, den Raum genutzt haben. Die Konsequenz daraus ist, dass wir deren Bedürfnisse auch erfüllen sollten. Aufgrund des Konzepts kein „Safe Space“ sein zu wollen ist eine Atmosphäre geschaffen worden, wo Menschen voneinander lernen, ohne Angst vor Fehlern zu haben.

    Wie haben Politik und Medien reagiert?

    Merle: In der ersten Woche sollte ein Tagesseminar der Kommunistischen Organisation zum deutschen Faschismus im treff.punkt stattfinden. Daraufhin hat uns das Freiwilligenzentrum, ein bürgerlicher Verein, der finanzieller Träger und Kooperationspartner des Treffpunkts, um ein Gesprächstermin gebeten. Bei diesem Gespräch zwischen dem FWZ, der KO und uns war dann letztendlich alles in Ordnung und der Durchführung der Veranstaltung wurde zugestimmt, da es nicht um Israel und Palästina gehen soll, sondern um die Geschichte des deutschen Faschismus. Bevor die Veranstaltung stattfand kam außerdem eine E-Mail (Red.: Der Schriftverkehr liegt Perspektive vor) bei uns an, die die KO als antisemitisch-agierende Gruppe diffamierte und forderte, die Veranstaltung abzusagen.

    Tom: Nach diesem erfolgreichen Gespräch wurde von „Linken, die sich keiner Organisation zuordnen“ ein Brief unter dem Titel „Kein Raum für linke Gruppen, die antisemitischen Terror verherrlichen“ (Red.: der Brief liegt Perspektive vor) in dem die anonymen Verfasser:innen forderten, dass der KO kein Raum bereit gestellt werden sollten. Daraufhin haben wir ein Statement verfasst wo wir klarmachten, dass wir im Sinne der revolutionären Pluralität allen linken Gruppen Raum geben wollen.

    Daraufhin schickte die anonyme Gruppe ihren Brief leicht abgeändert an die Lokalpresse. Geantwortet hat daraufhin nur der bekannte Redakteur der Gießener Allgemeinen Burkhard Möller, der schon oft Hetze gegenüber antizionistischen Gruppen verbreitete und auch klar antikommunistisch ist. Diese Haltung machte er auch in seinem Artikel „Treffpunkt weißt Vorwurf zurück“ deutlich. Die anonyme Gruppe ist schon in der Vergangenheit aufgetreten, um antizionistischen Organisationen, wie der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Gießen (ARAG), Räume zu entziehen.

    Merle: Erwähnen sollten wir auch noch etwas, was danach passiert ist, wo wir nicht wissen ob das damit in Zusammenhang steht. Im zweiten Monat haben wir mit einem anderen Verein kooperiert. Am Tag der Schlüsselübergabe ist einer Raumöffnerin aufgefallen, dass im ersten Stock bei der Toilette die Türklinken abgeschraubt wurden und Wasser unten von der Decke tropft. Daraufhin wurden Menschen hinzugerufen. Bei Öffnung der Tür wurde festgestellt, dass die Abflüsse im Waschbecken verstopft wurden. Letztendlich ist ein Wasserschaden entstanden, weswegen wir das erste OG vorübergehend schließen mussten. Bis heute wissen wir nicht wer dafür verantwortlich ist, allerdings gehen viele von uns von einer geplanten Tat aus, die mit der Hetze in Verbindung steht.

    Wie geht es jetzt nach dem Ende des Raums weiter?

    Tom: Vorerst wollen wir eine Sommerpause einlegen. Diese Zeit wollen wir nutzen, um uns Gedanken darum zu machen, wie wir weiter machen wollen. Momentan geht es uns darum, unsere Strukturen zu reflektieren und zu schauen, wie wir uns als Gruppe besser organisieren können. Zudem wollen wir bei einem neuen Anlauf eigene Bildungsveranstaltungen organisieren und ein Programm erarbeiten, in dem wir unsere Ziele und den Plan für den treff.punkt und darüber hinaus festhalten wollen.

    Merle: Außerdem müssen wir uns natürlich perspektivisch nach neuen Räumlichkeiten umschauen. Die Anbindung und Vernetzung mit überregionalen Strukturen ist uns wichtig, um uns hier Inspiration und Austausch zu holen. Nach der Sommerpause wollen wir auf jeden Fall auch ohne Raum in der Stadt präsent sein. Abschließend wünschen wir uns, dass die Idee des treff.punkt weitergetragen wird, als ein Ort wo sich Menschen frei treffen können. Isolation und Einsamkeit gibt es nicht nur in Gießen. Einen Treffpunkt braucht es in jeder Stadt!

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