Wie wird aus einem angehenden Stand-Up-Comedian ein „psychopathischer Mörder?“ Eine politische Filmkritik über einen polarisierenden Film. – Von Dirk Paul Shevek
Der vom Regisseur Todd Phillips produzierte Film „Joker“ erzählt die Entstehungsgeschichte vom berühmtesten Gegenspieler des DC-Comic-Helden Batman. Deshalb bekommen wir den leibhaftigen Joker auch erst im letzten Viertel des Films zu sehen. Den Großteil hingegen begleiten wir Arthur Fleck, der erst im Laufe des Films zum uns bekannten Terrorclown heranwächst.
Ein Clown ist Arthur jedoch schon zu Beginn der Geschichte. Er verdingt sich als solcher mit Auftritten auf der Kinderstation des Krankenhauses oder als Werbeschildschwinger auf der Straße. Sein Traum ist es, Stand-Up-Comedian zu werden. Er sei, laut seiner Mutter, dazu berufen, ein Lächeln ins Gesicht der Menschen zu zaubern und Freude zu verbreiten. Ein freudiger Mensch ist er hingegen nicht. Einmal die Woche sitzt er in der psychosozialen Beratungsstelle eines städtischen Hilfsprogramms und nimmt eine Menge Psychopharmaka zu sich. Nicht nur seine negativen Gedanken machen ihm zu schaffen, sondern auch ein neurologisches Leiden, das ihn dazu bringt, in Stresssituationen hysterisch zu lachen. Arthur ist ein Angehöriger des Prekariats. Er lebt noch als Erwachsener bei seiner Mutter – teils aufgrund ihrer sehr speziellen Beziehung, wohl aber auch aus Kostengründen. Die Wohnung, in der die Beiden leben, ist runtergewirtschaftet, wie auch das Haus und das Viertel insgesamt. Er selbst ist bis auf die Knochen dürr, weil das Geld zum Essen nicht reicht.
Wir sehen über eine lange Strecke des Films eine Reihe von Niederlagen, Demütigungen und Rückschlägen Arthurs. Er wird ausgeraubt und verprügelt, häufig beleidigt und verliert auf Grund von finanziellen Kürzungen seine Therapiesitzung, den Zugang zu Medikamenten und schließlich seinen Job. Als er wieder einmal verprügelt wird, schafft er es, eine Waffe zu ziehen und erschießt seine Angreifer. In den Nachrichten wird daraufhin von einem Mörder in Clownskostüm berichtet. Als Motiv wird ihm Hass auf Reiche unterstellt, denn seine drei Opfer waren anzugtragende Yuppies von Wayne-Enterprise, jenem Konzern von Batmans Vater Thomas Wayne. Als dieser den Mörder in einer Nachrichtensendung als armseligen Clown beschimpft, entsteht eine Bewegung der Armen und Unterdrückten von Gotham-City. Sie identifizieren sich mit dem Reichenmörder und tragen bald alle Clownsmasken auf Demonstrationen. Arthur freut sich zwar über diese Anerkennung, kann aber eigentlich nichts mit der Protestbewegung anfangen. Sein Ziel ist es weiterhin, ein erfolgreicher Comedian zu werden. Als er aber schließlich erfährt, dass seine Mutter ihn adoptiert hat und als psychisch Kranke verwahrlosen und missbrauchen ließ, und dass er außerdem von seinem großen Komiker-Vorbild öffentlich im Fernsehen als schlechter Comedian verhöhnt wird, beginnt das Fass überzulaufen. Angst und Wut werden nach und nach zu Wahnsinn. Am Höhepunkt der Eskalation richtet er sein ehemaliges Vorbild vor laufenden Kameras mit einem Schuss in den Kopf hin. Draußen eskaliert währenddessen der Mob, der plündernd und brandschatzend durch die Straßen zieht und den Joker huldigt.
Der Film zeigt dem Zuschauer, dass der Wahnsinn und die Brutalität eines späteren Massenmörders nicht von ungefähr kommen, sondern gesellschaftliche Wurzeln haben. Das Potential zu solcher Destruktivität ist in den meisten Menschen vorhanden, denn Armut, Demütigung und Isoliertheit schaden dem menschlichen Geist. Die Besonderheit von Missbrauchserfahrungen als Kind zusammen mit der je spezifischen Eigenart eines jeden Menschen machen dann vermutlich den Unterschied aus zwischen dem Joker und dem Rest der Menschen, die nicht zu Terror-Clowns werden. Nichtsdestotrotz kann unter den gegebenen Umständen selbst eine Figur wie der Joker die Massen inspirieren. Der Film zeigt uns einen Einzelnen und die Masse der Unterdrückten und Ausgebeuteten, die sich gegen ein ungerechtes und korruptes System zu Wehr setzen. Sie verteidigen sich aber nicht in solidarischer und produktiver Weise. Vielmehr lassen sie ihren destruktiven Tendenzen freien Lauf, haben kein utopisches Programm und kein politisches Ziel. Es fehlt an vernünftiger Analyse der herrschenden Verhältnisse und so bleibt ihnen nur der Hass auf die Gewalt gegen die Repräsentanten des Systems und auf sich gegenseitig.
Es fehlt aber noch an etwas Anderem: Der kritische Sozialpsychologe Erich Fromm erklärt die Destruktivität als die Folge ungelebten Lebens. Ziel und Weg eines glücklichen Lebens kann für ihn nur die Solidarität des Menschen mit seinen Mitmenschen und spontane Tätigkeit sein, also die volle Entfaltung der im Menschen angelegten Potentiale. Wird der Mensch jedoch durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen daran gehindert, diese Kräfte zu verwirklichen, kann sich seine Energie auch ins Gegenteil verkehren. Kann der Mensch z.B. seine Angst vor dem Alleinsein nicht durch solidarische und liebende Beziehungen lindern, würde er eventuell durch die Zerstörung und Vernichtung ein Ventil finden. Die Anderen können ja keine Bedrohung mehr sein, wenn man sie vernichtet.
Im Film erleben wir einen Arthur Fleck, wie er mehrmals scheitert, solidarische Beziehungen zu seinen Mitmenschen aufzubauen. In einer Szene auf der Arbeit in der Clown-Agentur beispielsweise sehen wir, wie ein kleinwüchsiger Mann von seinen Arbeitskollegen verspottet wird. Arthur, der eigentlich Sympathie empfindet, kann sich aber nicht für ihn einsetzen. Die Situation ist ihm unangenehm und er muss gegen seinen Willen lachen. Es wirkt, als würde er sich mit den anderen zusammen über das Opfer lustig machen.
Ein weiterer Grund für destruktives Verhalten ist für Fromm das Scheitern des Menschen darin, auf positive Art wirkmächtig zu sein. Kann der Mensch sein Selbst nicht dadurch äußern, indem er etwas produziert – seien dies materielle Werke, Gedanken oder positive Gefühle bei seinen Mitmenschen – bleibt ihm noch die Möglichkeit sich selbst als Subjekt zu erfahren, indem er stattdessen zerstört. In seinem Wunsch Komiker zu werden und seinem Selbstbild entsprechend Freude und Lachen zu schaffen, sehen wir Arthurs Bedürfnis nach Wirkmächtigkeit. Fehlendes Talent, seine Krankheit, die verbreiteWoher kommt die Lust zur Zerstörung? – Joker, der Filmte Distanziertheit zwischen den Menschen, sowie individuelles und gesellschaftliches Unglück hindern ihn an der Befriedigung dieses Bedürfnisses. Als Folge erleben wir die Entstehung des Jokers. Eines Menschen, der nicht mehr aus Selbstverteidigung oder aufgrund eines politischen Protestes tötet, sondern aus Leidenschaft für Chaos und Zerstörung.
Als Konsequenz können wir aus dem Film mitnehmen, dass es Kritik und Utopie braucht, also die richtige Analyse der herrschenden Ordnung, aus der sich eine effektive Widerstandsstrategie ergeben kann, sowie eine Vorstellung davon, wie es anders sein könnte. Zweites können wir dadurch erreichen, indem wir schon im Hier und Jetzt kleine Möglichkeiten schaffen für echte Solidarität, Verbundenheit und zwischenmenschliche Wärme gegen die Kälte des kapitalistischen Alltags. Das System schafft nicht nur Armut und materielles Leiden, sondern auch Isolierung und Angst, also psychischen Leiden. Politischer und sozialer Widerstand muss sich gegen beide Zumutungen wenden.