Seit Beginn der Corona-Pandemie und den ersten politischen Bemühungen diese einzudämmen, kann man es fast gebetsmühlenartig aus den bürgerlichen Medien und den Verlautbarungen der Bundesregierung entnehmen: „Wir sind Corona-Weltmeister!“. Dabei ist die Pandemie-Strategie der Bundesregierung mehr als mangelhaft! – Ein Kommentar von Emanuel Checkerdemian
Immerhin sei das Infektionsgeschehen im globalen Vergleich niedrig, der Gesundheitssektor vergleichsweise gut vorbereitet. So ließ sich der Kanzleramtschef Helge Braun bereits im April 2020 zu der gewagten Aussage hinreißen, dass die gesamte Welt „uns um die Corona-Erfolge beneidet.“ Das ist ausgemachter Unfug! Die deutsche Corona-Politik mag im europäischen Vergleich halbwegs gut wegkommen, was vor allem auch der Austeritätspolitik der BRD geschuldet ist, die für das Herunterwirtschaften verschiedener europäischer Gesundheitssysteme maßgeblich mitverantwortlich ist. Auch die neoliberalen Eingriffe in das britische Gesundheitssystem (NHS), die von der Regierung Thatcher forciert wurden, sowie die schreiende Unfähigkeit der Regierung Johnson haben der Bundesrepublik einen vermeintlichen Vorsprung verschafft.
Jedoch werden die Mängel der deutschen Krisen-Strategie jetzt mit der zweiten Corona-Welle immer deutlicher: Infektionszahlen und Todesrate steigen immer weiter, viele Krankenhäuser sind vollkommen überlastet. Der Fehlstart bei den Impfmaßnahmen offenbart zudem eklatante Schwächen.
Die Mär von der deutschen Vormachtstellung in der Corona-Bekämpfung
Die von deutschen Spitzenpolitiker:innen proklamierten Erfolge und Vorteile in der Eindämmung der Pandemie gegenüber dem Rest der Welt lassen sich bereits bei oberflächlicher Betrachtung als realitätsfremder Unsinn entlarven. So hat Vietnam seit Ausbruch des Virus’ erst knapp 1.500 Infizierte zu vermelden, von denen 35 Personen starben. Auch Kuba hat mit rund 12.000 Fällen und 146 Toten deutlich geringere Zahlen. China, das bevölkerungsreichste Land der Erde, hat mit 87.000 Infizierten nur rund 5% der deutschen Infektionszahlen. Und auch andere Staaten wie Südkorea, Neuseeland oder Thailand weisen deutlich bessere Statistiken auf.
Zurückzuführen ist dies vor allem auf das schnelle und umfassende Agieren der genannten Länder, vor allem auch im Vergleich zu Deutschland und Europa. Während sich hierzulande noch zahllose Menschen in den großen Fußballstadien tummelten oder – wie im Fall des Champions League Spiels von Atalanta Bergamo und dem FC Valencia – für die massenhafte Verbreitung des Covid19-Virus sorgten, in Köln Karneval feierten, war das chinesische Wuhan bereits vollkommen abgeriegelt und im Lockdown.
Da die Informationslage in der europäischen Öffentlichkeit zu Beginn des Jahres sehr dünn war, stellen diese Großveranstaltungen kein Versagen von Fußballfans oder Jeck:innen dar, sondern von den politischen Führungen Deutschlands und Europas, die viel zu spät reagiert und mit besserer Informationslage eine vollkommen unzureichende Gefahrenanalyse vorgenommen haben. Von den USA ganz zu schweigen.
In Wuhan, einem großen Handelszentrum Chinas, wurde der benannte Lockdown auch tatsächlich vollumfänglich durchgeführt. Die Industrie wurde heruntergefahren, in Tür-zu-Tür-Aktionen wurde das Infektionsgeschehen analysiert und größtmögliche Schutzmaßnahmen (Desinfektion, Masken, Quarantäne etc.) wurden getroffen. In Deutschland hat ein solcher Lockdown bis zum heutigen Tag nicht stattgefunden. Und so sind Fabriken, Handelszentren, die vollgestopften S- und U-Bahnen, in die die arbeitenden Pendler:innen weiterhin gezwungen werden, Hotspots der Virenverbreitung.
Gegen diese Gefahr der Covid-Erkrankung, der die Arbeiter:innen ausgesetzt sind, gibt es nur unzureichende Schutzmaßnahmen in den Betrieben. Covid-Ausbrüche wie bei Tönnies belegen dies. Entlohnungsversprechungen für die erheblich schwerere und gefährlichere Arbeit, gerade im Bereich der Pflege, Gesundheitsfürsorge etc. bleiben bis jetzt für viele nur leeres Geschwätz.
Bei all diesen mangelhaften Unternehmungen der Bundesregierung darf zudem nicht vergessen werden, dass im vergangenen Jahr, kurz vor Beginn der Pandemie, die Marschroute des Gesundheitsministers Spahn in Richtung Abbau des Gesundheitswesens ging. Es gäbe zu viele Krankenhäuser in Deutschland, Geld lasse sich so nicht verdienen. Auch 2020 wurden weitere Krankenhäuser in Deutschland geschlossen.
Nun steht man vor dem Problem, dass Krankenhäuser durch die Pandemie vollkommen überlastet sind, darüber hinaus also wenig gewinnbringende Operationen und Gesundheitsmaßnahmen durchführen können. Die Folge ist, dass Kliniken zum Jahreswechsel Alarm schlugen, weil sie die Bezahlung ihrer Angestellten in naher Zukunft nicht mehr sicherstellen können.
Über den schlechten Schutz der Arbeiter:innen und ihre genauso schlechte Bezahlung hinaus zeigen nun auch die beginnenden Impfmaßnahmen die eklatanten Schwächen und Selbstüberschätzungen der deutschen Corona-Strategie deutlich auf. Aufgrund mangelhafter Vorausplanung der Bundesregierung bei der Beschaffung von Impfstoffen laufen die Maßnahmen nur auf Sparflamme.
Impfungen laufen nur sehr schleppend an
Nach knapp einer Woche waren erst 188.000 Menschen geimpft worden, also 0,16 pro 100 Einwohner:innen. Damit liegt Deutschland statistisch hinter Ländern wie Kroatien, Island oder Bahrain zurück. Nun hat Deutschland deutlich mehr Einwohner:innen als besagte Länder, jedoch sehen auch die absoluten Zahlen alles andere als gut aus. So waren beispielsweise in Thüringen bis zum 2. Januar keine 1.000 Menschen geimpft worden. In Berlin mussten erste Impfzentren aufgrund mangelnder Impfstoffe schon wieder schließen.
Für die erste Woche des neuen Jahres ist zudem angekündigt, dass überhaupt kein Nachschub an die Bundesländer verteilt werden kann. Schon der reguläre Plan sieht eine geringe Impfintensität vor. So können Sozialarbeiter:innen, die zwar als „systemrelevant“ gelten und beispielsweise in der Obdachlosenhilfe arbeiten, erst im Juli/August mit einer Impfung rechnen – trotz ständigem Kontakt mit Risikogruppen. Großbritannien oder Israel haben in der selben Zeit bereits nahezu eine Million Menschen geimpft. In China wurden vor dem Jahreswechsel bereits 4,5 Millionen Leute geimpft. In Deutschland sind es bis heute gerade einmal 477.000 Menschen, welche die erste der zwei notwendigen Impfungen bekommen haben. Statt die Versäumnisse aufzuholen, debattiert man hier allerdings lieber über die Anzahl bestellter Impfdosen, die vermutlich frühestens im kommenden Jahr vollkommen zur Verfügung stehen und dann die Einwohner:innenzahl Deutschlands weit übertreffen würden.
Einhergehen mit der Forderung einer zügigeren und sinnvollen Impf- und Pandemiestrategie in Deutschland und Europa muss die Bereitstellung von Ressourcen und Impfdosen im globalen Maßstab. Auch die finanziell schwachen Länder, die Geflüchteten überall auf der Welt müssen jetzt mit ausreichend Impfstoff versorgt werden.