Vor den Ferien rufen Kliniken und das DRK zur Spende auf. Denn seit der Pandemie ging die Zahl an Blutspenden zurück und macht das Blut zu einer noch begehrteren Ware als sonst. In Thüringen wird schon von einem “dramatisch niedriegen” Stand gewarnt. Aber warum ist das eigentlich so? – Ein Kommentar von Denis Freudenfeld.
Jeden Tag werden in Deutschland rund 15.000 Blutspenden benötigt, um die Grundversorgung von schwerkranken Patient:innen, Unfallopfern, bei Operationen oder Geburten zu gewährleisten. Bisher gibt es keine künstliche Alternative zum menschlichen Blut. Doch die Spendensituation ist durchaus kompliziert:
Ungefähr 2 Millionen Menschen spenden in Deutschland regelmäßig Blut, doch dies reicht nicht dauerhaft für die Versorgung aus. So scheiden hierzulande jährlich mehr als 100.000 Spender:innen wegen Überalterung, Tod, Infektionen und weiteren Gründen pro Jahr aus.
Junge Menschen eignen sich besonders, jedoch liegt der Altersdurchschnitt der Spender:innen aktuell bei 50 Jahren. Durch den demographischen Wandel wird es zukünftig außerdem weniger junge Spender:innen auf mehr ältere Bedürftige geben.
Während der Pandemie hatten Arbeiter:innen weniger Möglichkeiten zu spenden, nicht nur wegen der staatlichen Beschränkungen, sondern auch wegen der Infektionsgefahr in der Öffentlichkeit.
Dennoch kommen aktuell trotz Wegfalls vieler Corona-Beschränkungen weniger Menschen zur Spende als bisher. Und das, obgleich mittlerweile Corona-Infizierte mit Symptomen nach vier Wochen und Infizierte ohne Fieber eine Woche nach Symptomfreiheit spenden dürfen.
Gleichzeitig steigt der Bedarf an Blut aufgrund von aufgeschobenen Operationen, die wegen der Pandemie verlegt werden mussten. Dies geht aus Aussagen des Deutschen Roten Kreuzes hervor (DRK), das rund 75% der landesweiten Blutversorgung sicherstellt. Als gemeinnützige Organisation genießt das DRK einige Steuervorteile. Zugleich bestimmt es den Blutpreis maßgeblich.
Um den Konkurrenzkampf auf dem hiesigen Blutmarkt zu bestehen, entwickeln deshalb derzeit private Plasma-Zentren Marketingstrategien, die vor allem junge Erwachsene dauerhaft an die Spende binden sollen. Aus Empfehlungen moderner Strategieforschungen soll der Markt die Zielgruppen differenziert analysieren, um die Glaubwürdigkeit für Blutspenden aufrecht zu erhalten.
Weniger Diskriminiserung, mehr Möglichkeiten
Dabei bedarf es nicht unbedingt ausgefuchster Strategien, sondern weniger Diskrimierung und ausreichender Möglichkeiten: So können Arbeiter:innen derzeit nicht für ihre solidarische Motivation beispielsweise vom Arbeitstag befreit werden oder wenigstens ein paar Stunden Pause beanspruchen. Stattdessen haben sie nur die Wahl, in ihrer Freizeit, in der sie sich erholen sollen, zu spenden. Angesichts steigender Wochenarbeitszeiten dürfte sich die Möglichkeit für die Beschäftigten, in ihrer Freizeit zu spenden, noch verkleinern.
Ein weiteres Hindernis ist die Stigmatisierung von homo- oder bisexuellen Menschen, die sonst als potenzielle Spender:innen in Frage kommen könnten. Bis 2017 konnten homosexuelle Männer zur Blutspende zugelassen werden, wenn sie innerhalb eines Jahres keinen Sex mit einem anderen Mann hatten. Diese Regelung erwies sich als diskriminierend und hatte keine wissenschaftliche Grundlage.
Seit September 2021 hat die Ampel-Regierung beschlossen, dass sowohl homo- als auch transsexuelle Männer Blut spenden dürfen, wenn sie in dauerhaften „monogamen“ Beziehungen leben oder wenn sie nicht innerhalb der letzten 4 Monate Sex mit einem anderen Mann hatten, der nicht ihr fester Partner war.
Die Deutsche Aidshilfe kritisiert, dass Menschen aufgrund ihrer Sexualität sprachlich zu einem „Risiko“ abgestempelt und weiterhin stigmatisiert werden. Obwohl Testverfahren zum Ausschluss einer Infektion zur Verfügung bereit bestünden, würden die Kapazitäten nicht vollends ausgeschöpft, sondern durch die Ausschlussfrist von 4 Monaten einer kostengünstigeren Alternative vorgezogen werden.
Ebenso werden Migrant:innen mit schwarzer Hautfarbe oft rassistisch konfrontiert, wenn ihnen aufgrund ihres Aussehens die Herkunft aus einem Malaria-Endemiegebiet unterstellt wird. Bislang wird für Geborene aus solchen Gebieten und all jene, die sich über 6 Monate dort aufgehalten haben, für 4 Jahre die Blutspende verweigert. Die Beweispflicht obliegt den Spendenden, die ihre Gesundheit nachweisen müssen. Dadurch werden einige Spendewillige gesellschaftlich ausgeschlossen.
Im Kontext der weltweit steigenden Temperaturen werden auch längere Hitzeperioden vor allem im Sommer einen weiteren Faktor für die niedrigere Bereitschaft, Blut zu spenden, darstellen.
Mangel an Blutkonserven
Dies alles sind wichtige Gründe dafür, dass immer wieder Blutkonserven knapp sind, wie Beispiel derzeit in Thüringen. Das Institut für Transfusionsmedizin Suhl warnte am Mittwoch, der Bestand sei “dramatisch niedrig”.
Dessen ungeachtet liegt die Ursache über den beklagten Mangel bei der notwendigen Infrastruktur, an Personal, Ausstattung, Medikamenten oder Blutkonserven in der Privatisierung des Gesundheitssystems.
Diese verschiebt Prioritäten der öffentlichen Daseinsfürsorge hin zu gewinnorientierten Wirtschaftsunternehmen, die Umsätze erzielen müssen, um überhaupt am Markt mitmischen zu können. Dadurch wird der Abbau öffentlicher Blutspende-Einrichtungen beschleunigt, die sich als „wirtschaftlich nicht mehr rentabel“ erweisen könnten.
Das DRK erlangte hier schon länger seine Monopolstellung und stellt den größten Verkäufer von Blutprodukten dar – mit einem jährlichen Umsatz von mehr als einer halben Milliarde Euro.
Kliniken sind auf diese Lieferungen angewiesen, weil durch den enormen Kostendruck ihre eigenen Blutspende-Stellen rationiert werden müssen oder nur begrenzt die Versorgung übernehmen können. Die Geschäftsgrundlage ist das Blut der Arbeiter:innen, mit dem die Unternehmen die Preise nach kapitalistischer Logik in die Höhe treiben können. Und das tut das DRK. Internen Listen zufolge ist der Preis für Blutkonserven seit 1990 von 54 auf 158 Euro gestiegen.