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Sonntag, September 8, 2024
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    Anschlag auf Trump: Die Gewalt ist in dieser Gesellschaft Alltag

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    Ein Attentat auf Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung hält die USA in Atem. Neben Empörung fluten Spekulationen über die Tat die Medien. Über die Rolle von Gewalt in der Politik. – Ein Kommentar von Mario Zimmermann

    Schüsse unterbrechen eine Wahlkampfveranstaltung des Ex-Präsidenten Donald Trump am Samstag, 14.7., im US-Bundesstaat Pennsylvania. Während seiner Rede wird er vom Dach eines nahen Gebäudes angeschossen. Ein Anhänger von Trump wurde tödlich verwundet, auch der Angreifer wird wenige Sekunden später durch einen Scharfschützen erschossen. Verletzt wird Trump dabei kaum, sodass er es schafft, auf dem Weg zum Auto-Konvoi –  umringt von Sicherheitspersonal – für die Kameras und Anhänger:innen mit erhobener Faust zu posieren. Das Foto von ihm, mit blutendem Ohr und Fahne der USA im Hintergrund, geht um die Welt und lässt seine Anhänger jubeln. Nach einem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus setzt der Republikaner seinen Wahlkampf fort.

    Kurz nach der Bekanntgabe laufen bereits die sozialen Plattformen heiß: Von Fahrlässigkeitsanschuldigungen gegen den Secret Service, der für den Schutz verantwortlich war, über Spekulationen über einen vermeintlich geplanten PR-Stunt bis hin zur These einer Verschwörung der Demokraten findet man hier alle möglichen Erklärungen für die Tat.

    Wird Trump die USA in eine Diktatur verwandeln?

    Führende Politiker:innen aus allen Lagern schlagen hingegen beschwichtigende und versöhnliche Töne ein. So beschwörrt der Ex-Präsident der USA, Barack Obama, auf Twitter/X: „In unserer Demokratie ist absolut kein Platz für politische Gewalt. Obwohl wir noch nicht genau wissen, was passiert ist, sollten wir alle erleichtert sein, dass der ehemalige Präsident Trump nicht ernsthaft verletzt wurde, und diesen Moment nutzen, um uns erneut zu Anstand und Respekt in unserer Politik zu bekennen. (..)“

    Verzweifelt wird versucht, das Bild einer gewaltfreien, politischen Auseinandersetzung zu zeichnen, die es irgendwann gegeben haben soll. Unklar bleibt, wann das jemals der Fall war und wie das aussah.

    Gewalt als Tagesgeschäft

    Als Ex-Präsident der USA das Bild von einer gewaltfreien Politik zu predigen, mag für viele befremdlich klingen: sind es doch die USA, die mit den weltgrößten Militärausgaben weltweit unzählige Militärstützpunkte unterhalten und seit ihrem Aufstieg zur imperialistischen Macht Kriege führen, um ihre ökonomischen und geostrategischen Interessen durchzusetzen: Die CIA-geführten Putsche in Südamerika, der Vietnamkrieg, die Zerstörung Libyens oder die Besatzung Afghanistans zeichnen ein eindeutiges Bild von einer auf Krieg beruhenden Außenpolitik.

    Doch auch in den USA selbst tritt eine äußerst gewalttätige Gesellschaft zutage: Die Unterdrückung von Afro-Amerikaner:innen durch faschistische Gruppen und deren Gewalttaten, wie auch durch den US-Staat und seine Polizei führten und führen zu massenhaften Protesten. Die Protestwelle nach der Ermordung von George Floyd zeigte vor vier Jahren auf, welche Widersprüche in der Gesellschaft wirken.

    Immer wiederkehrende Krisen des Kapitalismus, Arbeitslosigkeit und der Verlust der Lebensgrundlage vieler führen gemeinsam mit der Unterdrückung der Frau, zu all diesen Zerfallserscheinungen einer kapitalistischen Gesellschaft. Massaker an Schulen, eine steigende Zahl an Frauenmorden, jährlich zehntausende Tode durch die Opioid-Krise und Polizeigewalt treten in den USA besonders stark auf, sind am Ende aber allen kapitalistischen Ländern gemeinsam.

    Dabei üben die Herrschenden aber nicht nur gegen die Unterdrückten repressive Herrschaft aus. Auch zwischen verschiedenen rivalisierenden politischen Kräften oder auch kapitalistischen Ländern kommt es immer wieder zu Gewalt.

    Kugelsicherer Donald gegen „Sleepy Joe“

    Eine bürgerliche Partei wird aus dem Attentatsversuch sicher gestärkt hervorgehen. Am Montag beginnt der Parteitag der Republikaner in Milwaukee, bei dem Trump offiziell zum Präsidentschaftskandidaten gewählt werden soll. Auch die Wahl einer oder eines Kandidat:in für die Vize-Präsidentschaft und die Verabschiedung des Programms für den Wahlkampf stehen auf der Tagesordnung.

    Die möglichen Auswirkungen auf den US-Wahlkampf durch das Attentat auf Trump könnten kaum größer sein: Donald Trump geht mit einem gestärkten Image aus dem Attentat hervor. Sogar Erzählungen mit religiösem Inhalt werden über ihn verbreitet, als sei er von Gott auserwählt und geschützt.

    In seinen Beiträgen auf der sozialen Plattform Truth Social meldet er sich zu Wort und beschwört die Einheit der US-Amerikaner:innen, ihren „wahren Charakter“ und die Abwehr des „Bösen”. Damit richtet er sich auch an seine Partei, in der er nicht immer unumstritten war.

    Andere prominente Politiker:innen und Influencer aus seinem Lager verbreiten währenddessen aus der zweiten Reihe Verschwörungserzählungen über einen vorgeblichen Befehl Joe Bidens zur Erschießung von Trump. In jedem Fall dürfte es Trump gelungen sein, die Reihen der Republikaner und seiner Unterstützer:innen hinter sich zu schließen. Der Vergleich dieses Mannes – der nach einem Versuch, ihn niederzustrecken, aufsteht, als sei nichts passiert – mit seinem demokratischen Kontrahenten Biden könnte kaum symbolträchtiger sein.

    Joe Bidens Kandidatur für die Demokraten ist nämlich nach verschiedenen Aussetzern bei öffentlichen Auftritten hoch umstritten. Besonders peinlich: Zuletzt verwechselte er sogar den ukrainischen Präsidenten Selenskyj mit seinem russischen Amtskollegen Putin. Aus den Reihen der Demokraten werden deshalb wieder Stimmen laut, die einen Rückzug seiner Kandidatur fordern: er sei aus Altersgründen nicht mehr in der Lage, hochrangige Ämter auszufüllen.

    Verschwörung hin oder her

    Bei dieser dynamischen Nachrichtenlage und der gezielten Verbreitung von Falschinformationen bleibt es wichtig, herauszufinden, was tatsächlich passiert ist: Über den Schützen und seine Motive ist bisher noch wenig bekannt. So hatte der 20-jährige Thomas Matthew Crooks zwar im Januar 2021 ein Projekt zur Erhöhung der Wahlbeteiligung von Unterstützer:innen der Demokraten gestartet, ließ sich aber nur acht Monate später als republikanischer Wähler registrieren. Ansonsten soll er der Polizei aber bisher nicht weiter aufgefallen sein.

    Der Ablauf des Attentats, verschiedenste Faktoren vor Ort, sowie die Aussagen von den vielen Zeug:innen werfen darüber hinaus mehr Fragen auf, als sie beantworten: Wie konnte der Schütze trotz Warnungen von Besucher:innen der Veranstaltung so weit kommen? Wie konnte das circa 150 Meter von der Bühne entfernte Dach, von dem aus die Schüsse fielen, überhaupt unbeaufsichtigt sein?

    Die Tatumstände laden zu den gewohnten Spekulationen ein, wie es sie über das Attentat auf den Ex-Präsidenten John F. Kennedy oder andere Ereignisse gibt. Und ja, es gibt Verschwörungen, die zu Gewalt innerhalb oder zwischen verschiedenen Gruppen führen.

    Jetzt sind aber vor allem der Ausgang und die Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der politischen Entwicklungen in den USA wichtig. Unabhängig von neuen Meldungen der kommenden Tage wird sich der Wahlkampf weiter zuspitzen. Vor allem die Demokraten werden alles aufbieten müssen, um noch eine Chance zu haben.

    Wie begegnen wir einem gewaltsamen System?

    Während die Welt über das Trump-Attentat diskutiert, bombardierte am selben Tag die israelische Armee zwei Flüchtlingscamps mit über 100 Todesopfern. In Kenia werden protestierende Arbeiter:innen durch die Armee erschossen und in Berlin halten Nazi-Kader der „Nationalrevolutionären Jugend” am helllichten Tag Kampfsport-Trainings ab, um sich im Terror gegen Migrant:innen und Antifaschist:innen zu üben.

    Organisierter faschistischer Angriff der NRJ in Berlin

    Gewalt scheint ein Bestandteil des Klassenkampfes und der Politik zu sein. Meist geht sie von den Kapitalist:innen und ihren Helfer:innen aus – dem Staat mit seinen Gewaltapparaten und faschistischen Gruppierungen. Dabei dient sie der Durchsetzung der Interessen der Kapitalist:innen und den verschiedenen Gruppen, die es in ihren Reihen gibt. Eine Vielzahl an Interessen einen sie: zum Beispiel die Niederhaltung von Aufständen gegen das kapitalistische System, konsequente, ökonomische Kämpfe und die Aufrechterhaltung der traditionellen Arbeitsteilung nach Geschlecht. Diese Gewalt wird unterschiedlich ausgeübt und dosiert.

    Doch solchermaßen alltägliche Gewalt, die von den Herrschenden ausgeht, führt in deren Presse nicht zum Aufschrei. Stattdessen werden Ereignisse wie das Attentat auf Trump hervorgehoben, um die alltägliche Gewalt in diesem System zu verschleiern und uns weis zu machen, dass Gewalt eben kein Mittel der Politik sei.

    Damit richten sich Aufrufe zu einer „friedlichen politischen Auseinandersetzung“ in letzter Konsequenz eben nicht nur gegen Attentäter:innen, sondern auch gegen den politischen Widerstand: Wir sollen uns von Demonstrant:innen entsolidarisieren, die die Frechheit besitzen, in der Reichweite der Polizei-Knüppel zu stehen oder die sich organisiert den Faschist:innen in den Weg stellen. Wir sollen die unterdrückten Völker hassen, die sich gegen koloniale Abhängigkeit wehren und dabei Deutschland gegen seine imperialistische Konkurrenz mit dem Dienst an der Waffe „verteidigen“.

    Weil das System selbst uns Arbeiter:innen gegenüber gewalttätig ist, dürfen wir uns nicht dazu hinreißen lassen, es vor „fremder” Gewalt zu verteidigen oder uns einen gewaltfreien Diskurs von Obama vortäuschen lassen, den er seiner blühenden Fantasie entnommen haben muss.

    • Perspektive-Autor seit 2023. Lieblingsthemen: Militarisierung und Arbeitskampf. Lebt und arbeitet in Nürnberg. Motto: "Practice like you've never won, play like you've never lost!" -Michael Jordan

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