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Donnerstag, September 5, 2024
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    Palästinasolidarität: Wir brauchen keinen gemäßigten Aktivismus, sondern eine Revolution!

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    In einem Artikel im Tagesspiegel erklärte der Journalist Sebastian Leber, es gäbe keine „gemäßigten Pro-Palästinenser“. Seine Unterstellung: Alle palästina-solidarischen Demonstrierenden streuen nur blinden Hass auf Israel, anstatt sich für die Zwei-Staaten-Lösung einzusetzen. Aber die Palästina-Bewegung braucht keinen staatstreuen Kuschel-Aktivismus, sondern eine konsequent klassenkämpferische Perspektive. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

    Ein längerer Artikel im Tagesspiegel, ein Erklär-Video auf Instagram und noch einen weiteren Text im Tagesspiegel, in dem auf die Reaktionen aus dem Netz eingegangen wird: Man kann Sebastian Leber nicht vorwerfen, dass er seine Positionen zu wenig erklärt hätte. Die Kurzform seiner Kritik an der Palästina-Bewegung lautet: Die Palästinenser:innen und Pro-Palästinenser:innen sind selbst schuld an öffentlicher Diffamierung, Kriminalisierung und staatlicher Repression – denn sie sind alle zu uneinsichtig, zu radikal, zu extremistisch.

    Leber stellt sich die Frage, wo denn die „gemäßigten und vernünftigen Palästinenser“ seien – und beantwortet sie gleich selbst: die wenigen, die es gibt, bleiben allesamt zuhause, weil sie zu eingeschüchtert seien von den Extremist:innen und Israelhasser:innen.

    Alle gegen Israel?

    Tatsächlich rollt seit dem 7. Oktober eine neue Welle der Palästina-Solidarität durch viele deutsche Städte. Die Bewegung ist ideologisch uneins und wird vor allem durch den gemeinsamen Abwehrkampf gegen die ständige Delegitimierung des palästinensischen Befreiungskampfs durch den deutschen Staat zusammengehalten. Leber macht es sich in seiner Analyse aber viel zu einfach: Für ihn ist die Palästina-Solidaritätsbewegung in Deutschland eine Komplizenschaft von Islamist:innen und Linksextremist:innen, die alle gemeinsame Sache gegen Israel machen.

    Neu ist ein derartiger Blick auf die palästina-solidarische Bewegung nicht – und womöglich trifft sie tatsächlich einen wahren Kern. Denn in Reaktion auf die ständige Delegitimierung des Widerstands tendieren auch ansonsten fortschrittliche Kräfte nicht selten dazu, jede Politik und jede Methode des palästinensischen Widerstands für richtig und unantastbar zu erklären.

    Das ist ein Problem, mit dem vor allem die revolutionären Teile der Palästina-Bewegung – allen voran kommunistische und klassenkämpferische Organisationen – einen Umgang finden müssen: Nur weil die Hamas im palästinensischen Befreiungskampf derzeit die absolute Führungsrolle innehat, heißt das nicht, dass wir uns hier in Deutschland dieser Führung unterordnen müssen.

    Worum geht es wirklich?

    Leber hat aber überhaupt kein Interesse daran, feine Unterschiede in der Argumentation verschiedener Gruppen zu finden oder ein differenziertes Bild der Bewegung zu zeichnen. Und auch sein Argument, dass es doch letztlich um die Zivilist:innen in Gaza gehen müsse anstatt gegen den Staat Israel, ist ein plattes Ablenkungsmanöver. Die Gemäßigten, so vermittelt es Leber, müssten doch nur klarstellen, dass sie Israel in Ruhe lassen wollen. Dann würde Israel schon aufhören, Gaza zu bombardieren und Deutschland würde aufhören, Waffen an Israel zu schicken.

    Seine gut gemeinten Ratschläge an die deutsche Palästina-Bewegung – man könne doch Lichterketten und Konferenzen organisieren und sowohl für einen palästinensischen Staat sein, als auch das Existenzrecht Israels anerkennen – offenbaren schließlich, dass es für Leber keineswegs um die Palästinenser:innen in Gaza geht, sondern darum, die Politik des deutschen Staats zu verteidigen. Denn dass Israel seit Jahrzehnten eine Zwei-Staaten-Lösung bewusst durch den massiven Ausbau von Siedlungen, Landnahme, Vertreibung und Genozid selbst unmöglich macht, erwähnt Leber nirgendwo. Für ihn, genauso wie für den deutschen Imperialismus, steht die Anerkennung des zionistischen Staats Israel an allererster Stelle.

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    Kein kapitalistischer Staat hat ein Existenzrecht

    Am „Existenzrecht“ Israels ist für den Autor des Tagesspiegel nicht zu rütteln – und alle, welche die Existenz eines kolonialistischen, ausbeuterischen, unterdrückerischen und kriegstreibenden Staats schlecht finden, sind für Leber Antisemit:innen und Terror-Verherrlicher:innen.

    Die Frage, um die es eigentlich gehen müsste, ist jedoch: Welcher Staat auf der Welt hat heute überhaupt ein Existenzrecht? Leber wird diese Frage nicht stellen, denn für ihn bedeutet „gemäßigt“ und „vernünftig“ vor allem, die heutige Gesellschaftsordnung und die herrschenden Verhältnisse nicht anzutasten. Ausgehend von dieser Prämisse sind kleine Reförmchen im Kapitalismus vielleicht erstrebenswert, doch das große Ganze soll so bleiben, wie es ist.

    So ist es weiterhin an den revolutionären Kräften, diese Frage selbst zu beantworten – als Teil der pro-palästinensischen Bewegung und als treibende Kraft des Klassenkampfs in Deutschland. Und wir sagen: Kein kapitalistischer Staat, weder Israel, noch Deutschland noch irgendein anderer bürgerlicher Staat auf der Welt, hat ein Existenzrecht per se.

    Um Ausbeutung und Unterdrückung zu beenden, müssen wir die Staaten zerschlagen, die die jetzige Klassenherrschaft der Kapitalist:innen mit aller Macht absichern. Die größte Aufgabe, vor der wir Revolutionär:innen, egal ob palästinensisch oder nicht, dabei derzeit in der Palästina-Bewegung stehen, besteht darin, diese Gewissheit konsequent zu vertreten. Wir brauchen in Deutschland keinen gemäßigten Aktivismus, sondern eine Revolution.

    • Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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