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Sonntag, September 8, 2024
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    Trainieren für den Klassenkampf – eine kurze Geschichte der Arbeiter:innensportbewegung

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    Am 14. Juli findet das diesjährige Finale der Fußball-Europameisterschaft statt. Damit ist auch zumindest für einen Augenblick die Zeit des überschwänglichen Nationalstolzes und der Sauf-Ekstase vorüber. Doch in der deutschen Geschichte gab es durchaus viele Ansätze für eine tatsächlich solidarische und fortschrittliche Sportkultur.

    „Das Prinzip der bürgerlichen Herrschaft ist der Einzelmensch, das Individuum. Dem entspricht der Wettkampf als Einzelkampf. Das Prinzip des Sozialismus ist der vergesellschaftete Mensch, ist kollektivistisch, ihm entspricht der proletarische Massensport. Massensport ist Klassensport!“ So wird in einer Ausgabe der „Freien Sportwoche“ 1928 das Prinzip des Arbeiter:innensports beschrieben.

    Einen derart klassenkämpferischen Standpunkt suchen wir beim Wirbel um die diesen Sonntag beendete Fußball-EM wohl vergeblich: Statt das Klassenbewusstsein zwischen Arbeiter:innen unterschiedlicher Länder zu stärken, fördern die kommerzialisierten Wettkämpfe oft gerade den Nationalismus. Dass es in Deutschland eine starke sozialistische Sportbewegung gab, die sich als Teil des internationalen Klassenkampfes verstand, ist heute weitestgehend in Vergessenheit geraten.

    Entstehung des „Arbeiter-Turnbunds“ im Kaiserreich

    Durch die von Bismarck erlassenen und von 1878–1890 gültigen „Sozialistengesetze“ wurden etliche Sozialdemokrat:innen aus den bürgerlichen Turnvereinen ausgeschlossen. Darüber hinaus blieben die teuren und exklusiven Sportklubs den meisten Arbeiter:innen verwehrt, die ihre sportliche Betätigung also selbst organisieren mussten. Nach Ende der Sozialistengesetze gründete sich 1893 der „Arbeiter-Turnbund“ (ATB) in Gera. Der ATB sah Arbeitersport als notwendig an, um – wie es in seiner Satzung heißt – „den körperlichen Nachteilen, die eine moderne Produktion heute mit sich bringt, entgegenzuwirken“.

    Seit seiner Gründung war der ATB staatlicher Repression ausgesetzt, etwa in Form von Vereinsauflösungen, polizeilicher Überwachung und später auch dem Nutzungsverbot öffentlicher Sportanlagen. Als Deutschland am 1. August 1914 in den Ersten Weltkrieg eintrat, stimmte die SPD den Kriegskrediten zu. Für diese „Burgfriedenpolitik“ wurde sie belohnt – unter anderem durfte der ATB nun wieder öffentliche Sportplätze nutzen. Der Erste Weltkrieg führte dennoch zu einem Rückgang der proletarischen Sportbewegung, da die meisten männlichen Arbeitersportler zur Verteidigung der imperialen und Kapital-Interessen an die Front geschickt wurden.

    Weimarer Republik: Arbeiter-Olympiade und revolutionäre Sportvereine

    Mit dem Ende des Kriegs und der Novemberrevolution 1918, in der die Arbeiter:innenklasse einige Vorteile wie die Einführung des Acht-Stunden-Tags erkämpfen konnte, erlebte der Arbeiter:innensport jedoch einen Boom: 1919 benannte sich der ATB um in „Arbeiter-Turn- und Sportbund“ (ATSB). Hierdurch wurden auch wettkampforientierte Sportarten wie Fußball aufgenommen.

    Während sich der ATSB zwar zum Klassenkampf und Sozialismus bekannte, lehnte er eine Revolution ab. Gegenüber den Arbeiter:innenparteien SPD, USPD, und KPD verhielt er sich offiziell neutral, dennoch waren fast alle ATSB-Kreise in der Hand der Sozialdemokrat:innen. Eine Ausnahme bildete die Arbeiter:innensportbewegung in Berlin-Brandenburg, die von revolutionären kommunistischen Kräften geführt wurde. Eine treibende Kraft war dabei der Berliner „TV-Fichte”, der in seinen höheren Positionen nur Mitglieder der USPD und KPD akzeptierte.

    Trotz des schwelenden Konflikts zwischen dem reformistischen und revolutionären Lager fand 1925 die erste „Arbeiter-Olympiade“ in Frankfurt statt . Sie stand unter dem Motto „Nie wieder Krieg!“ und versammelte 3.000 Sportler:innen aus elf Ländern. Im starken Kontrast zu heutigen internationalen Wettkämpfen marschierten die Sportler:innen jedoch ohne nationale Fahnen oder Abzeichen zum Klang der „Internationale“ ein. Anstatt nur die Wettkämpfe in den Vordergrund zu stellen, fand dort auch ein „Tag der Massen“ statt, an dem 100.000 Arbeitersportler:innen gemeinsame Freiübungen abhielten.

    Spaltung von der Sozialdemokratie und Aufstieg des Faschismus

    1928 kam es dann doch zur Spaltung. Der ATSB beschloss ein Verbot der Teilnahme an Sportveranstaltungen in der Sowjetunion und den Abbruch der Beziehungen zur KPD. Die der KPD nahestehenden Sportvereine antworteten 1930 darauf mit der Gründung der „Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit“ (KG), die bereits im Folgejahr über 100.000 Mitglieder umfasste.

    Die KG war Teil der „Roten Sportinternationale“ (RSI) und deren stärkster Landesverband außerhalb der Sowjetunion. Die KG trug 44 Spiele in der Sowjetunion aus, veranstaltete aber auch zwei Fußballmeisterschaften in Deutschland. In Opposition zur Arbeiter-Olympiade wollte sie 1931 die „Spartakiade“ als internationales Sportfest der RSI in Berlin austragen. Die Spartakiade konnte allerdings nicht statt finden. Sie wurde verboten vom Berliner Polizeipräsidenten – einem SPD-Mitglied.

    Die Arbeiter:innensportbewegung erlebte ein jähes Ende mit dem Aufstieg des Faschismus: 1933 wurden alle sozialdemokratischen und kommunistischen Sportvereine aufgelöst und deren Vermögen beschlagnahmt. Auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs erlangte die Bewegung in Deutschland nicht mehr den Einfluss, den sie in der Weimarer Republik hatte. Dabei sind die Grundgedanken dieser Kräfte heute aktueller denn je: Durch Sport die Gesundheit der Arbeiter:innenklasse zu stärken, ein kollektives und solidarisches Miteinander herauszubilden und anstelle des „Party-Patriotismus“ die internationale Solidarität hochzuhalten.

    Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 88 vom Juli 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

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