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Mittwoch, September 18, 2024
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    ARTE-Doku über PKK: Hetze gegen die Befreier vom IS

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    Die PKK führt unter anderem in Nordsyrien einen bewaffneten Kampf gegen den Islamischen Staat. ARTE veröffentlichte Mitte August eine Doku über die Organisation, die als Terrororganisation abgestempelt wird. Untermauert wird die Analyse mit Lügen des türkischen Staates und Geschichten von angeblichen „Aussteigern“ und „Insidern“. – Ein Kommentar von Freddi Durruti.

    Die Dokumentation des französisch-deutschen Senders ARTE wird bereits mit einem fragwürdigen Teaser beworben. Ein Bild der 2013 in Paris vom türkischen Geheimdienst ermordeten Sakine Cansız und die Frage, ob die PKK nun Terroristen oder Freiheitskämpfer seien, bewerben die Reportage. Ebenso gut könnte man fragen, ob die Türkei ein Terrorstaat ist und warum Deutschland und Frankreich zu einem Staat, der auf europäischem Boden Menschen ermorden lässt, gute Beziehungen pflegen. Aber um den türkischen Staat geht es in der Reportage immer nur in einer Opferrolle.

    Verzerrte Geschichte der PKK

    So wird die Geschichte der PKK ungefähr folgendermaßen erzählt: 1979 gründete Abdullah Öcalan sie ganz allein, ab 1985 begann sie, grundlos Selbstmordanschläge zu verüben und türkische Polizisten und das Militär anzugreifen. Der türkische Staat reagierte darauf nur. Kein Wort gibt es dagegen über die tausenden politischen Morde an Kurdinnen und Kurden, die jahrzehntelange Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung, den Militärputsch in der Türkei 1980. Doch all dies führte erst zur Gründung der PKK und einige Jahre später zur Aufnahme des bewaffneten Kampfes. Viel kontextloser kann man diese Geschichte also kaum erzählen.

    Die „Bekenntnis der PKK zur Gewalt als legitimes Mittel zur Erreichung ihrer Ziele“ scheint ein großes Dorn im Auge zu sein – denn sie richte sich gegen das „NATO-Parnterland Türkei“. Denn solange diese Gewalt nicht der eigenen imperialistischen Geopolitik dient, solange ist sie in deren Augen auch nicht legitim. Die Durchsetzung der eigenen Ziele mit Gewalt, scheint beispielsweise für den deutschen Staat aber grundsätzlich kein Problem zu sein. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler erklärte 2006 während des Afghanistan-Kriegs ganz offen, dass die Bevölkerung immer mehr verstehe, dass „auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“.

    Zudem wird behauptet, die PKK habe Deutschland und Frankreich in den 90er Jahren mit einer „bis dahin unbekannten Gewaltwelle“ überzogen. Es wird so dargestellt, als hätte es in Deutschland und Frankreich nie politische Gewalt gegeben und als hätten allein die Kurdinnen und Kurden diese importiert. Gleichzeitig wird die Verschleppung Öcalans durch die Geheimdienste der Türkei, Israels und der USA aus Kenia, bei der man ihn unter Drogen setzte, schlichtweg als Inhaftierung bezeichnet.

    Im nächsten Atemzug heißt es dann, dass die PKK bis 2014 auf Gewalt verzichte, dann aber wieder zum Mittel der Gewalt greife. Gemeint ist hier die Verteidigung Kobanes gegen den Islamischen Staat – als hätte diese Verteidigung irgendwie anders geschehen können als durch militärische Gewalt. Zudem wird fälschlicherweise behauptet, die Volksverteidigungseinheiten der autonomen Region Rojava in Nordsyrien (Yekîneyên Parastina Gel, YPG) sei „der militärische Arm der PKK“. Zwar steht sie in ihren Zielen der PKK nahe, doch der direkte militärische Arm der PKK sind die Volksverteidigungskräfte (Hêzên Parastina Gel, HPG). Derartig viele faktische Fehler und Unwahrheiten in nur 15 Minuten unterzubringen, ist wirklich erstaunlich.

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    Des Weiteren darf Walter Posch, Islamwissenschaftler an der Uni Wien, behaupten, das Zeigen von YPG/YPJ Wimpeln auf Demos sei nicht einfach ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen, die den Islamischen Staat besiegten. Stattdessen wäre dies ein Werben von Kämpferinnen und Kämpfern für den bewaffneten Kampf in Kurdistan. Hierzu sagt er: „Ich zeige so etwas nicht, wenn ich nicht will, dass jemand beitritt und kämpft.“ Um die Frage zu beantworten, warum sich junge Menschen dem bewaffneten Kampf anschließen, werden keine gesellschaftlichen Analysen angestellt. Stattdessen kommen vermeintliche „PKK-Insider“ oder wahlweise „Aussteiger“ zu Wort.

    Lügen über Drogenhandel

    Auch die alte Propagandalüge vom Drogenhandel der PKK, welche der türkische Staat seit Jahrzehnten produziert, darf in dieser Reportage auch ohne Vorlage irgendwelcher Beweise nicht fehlen. Dass der türkische Staat selbst bis zum Hals in Drogenkriminalität verwickelt ist, zeigen indes nicht nur Vorfälle wie der sogenannte „Susurluk-Skandal“:

    Dabei kamen bei einem Autounfall mehrere Insassen zu Tode, darunter der türkische Mafiosi Abdullah Catli, der wegen Drogenhandels verurteilt war und an mehreren politischen Morden beteiligt gewesen ist. Catli war 1979 unter anderem am Mord an 7 Mitgliedern der türkischen Arbeiterpartei TIP beteiligt – dem sogenannten Bahcelievler-Massaker. Verbindungen zum Papst-Attentäter und zum Anschlag auf ein armenisches Mahnmal in Paris werden ihm ebenfalls nachgesagt. In der Schweiz saß er wegen Drogenhandels im Gefängnis, brach jedoch aus und wurde in der Folge von Interpol gesucht. Weitere Todesopfer des Unfalls waren seine Frau, sowie ein hochrangiger türkischer Polizeifunktionär, Hüseyin Kocadag. Schwer verletzt überleben konnte den Unfall der Parlamentsabgeordnete Sedat Edip Bucak. Bei Catli fand man einen vom damaligen Innenminister unterschriebenen Pass. Mehrere weitere Pässe, Rauschgift und Handfeuerwaffen mit Schalldämpfer wurden ebenfalls in dem Autowrack gefunden.

    Die Verbindung von Staat, Faschist:innen und organisiertem Verbrechen trat so ans Licht der Öffentlichkeit. „Dieser Unfall deckte die Zusammenarbeit und gemeinsamen Interessen von rechtsextremen Gewalttätern, die aufgrund politischer Verbrechen gesucht wurden, in mafiösen Aktivitäten involviert waren und die die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützten, einerseits, und hochrangigen Verwaltungsbeamten, Polizeiführungskräften, Spezialeinheiten, bekennenden Militanten und Dorfschützern andererseits auf“, hieß es im Human Rights Report von 1998 zu diesem Vorfall. 2020 wurde der Lobbyist der Regierungspartei AKP, Veysel Filiz, zwischenzeitlich Presseverantwortlicher der türkischen Botschaft in Brüssel, an einer EU-Grenze mit 100 Kilogramm Heroin im Gepäck erwischt.

    Unterdrückung wird relativiert – Widerstand deligitimiert

    Den Tiefpunkt erreicht die Reportage dann, als es um die angebliche Rekrutierung von Kindersoldat:innen durch die PKK geht. Hierzu werden kurdische Mütter, die vor riesigen Türkei-Fahnen sitzen, interviewt. Ihre Kinder seien angeblich von der PKK rekrutiert wurden. Untermalt wird dies mit Fotos der Kinder – unterlegt mit türkischen Fahnen. Auch dies ist jedoch ein Punkt, mit dem die PKK offen umgeht. Ihr Standpunkt: Ja, es gibt Minderjährige in den Reihen der PKK, beispielsweise wenn diese aus ihren Familien fliehen und um Schutz und Aufnahme bitten. Diesen wird jedoch die Teilnahme am bewaffneten Kampf verboten. Dies wird in der Doku nur kurz erwähnt, dann geht man wieder zum Spiel mit Emotionen über, indem man verzweifelte Eltern zeigt, die um ihre Kinder weinen.

    Kristian Brakel von der Heinrich-Böll-Stiftung (Parteistiftung der Grünen) erzählt dann, dass die Mehrheit der Kurd:innen gar keinen eigenen Staat wollten und kaum eine Minderheit auf der Welt so stark mit der Mehrheitsgesellschaft verbunden sei, wie die kurdische Bevölkerung in der Türkei. Die Botschaft ist klar: Die PKK sind bewaffnete „Extremisten“, die Unterdrückung der Kurd:innen ist gar nicht so schlimm und letztendlich seien sie ja schon irgendwie türkisch. Deshalb seien die Forderungen der PKK völlig überzogen und gar nicht im Sinne der Mehrheit der kurdischen Bevölkerung.

    Gegen Ende der Doku hat dann Walter Posch nochmal eine Sternstunde der politischen Analyse, als er sagt, dass kommunistische Untergrundorganisationen definitiv „nicht nett“ sind. Dieses Niveau ist man sonst vielleicht von BILD-TV gewohnt, beim Antikommunismus scheint sich aber auch ARTE für nichts zu schade.

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