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Dienstag, März 19, 2024
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    „Wir sind heute in der selben Situation wie vor dem Aufstand“

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    Die Situation in Tunesien hat sich seit dem Aufstand 2010-2011 kaum verändert. Das Land ist weiter in die Abhängigkeit der EU und USA gerutscht und steht vor einem möglichen neuen Aufstand. Ein Gespräch mit Hatem Laouini.

    Hatem Laouini ist Internationaler Sekretär der PPDS (Patriotisch Demokratisch Sozialistische Partei) Tunesien.

    Wie würden Sie die aktuelle politische Situation in Tunesien beschreiben?

    Die revolutionären Aufstände 2010 und 2011 haben die herrschende Elite in Tunesien erschüttert, doch dieser begonnene revolutionäre Prozess konnte nicht zu Ende geführt werden. Die revolutionären Parteien und Organisationen waren nicht stark genug, um die Herrschenden komplett von der Macht zu verdrängen. So gab es zwar einen Aufstand, der zunächst einige temporäre Erfolge gebracht hat, später aber scheiterte. Das hängt auch mit der internationalen Situation zusammen. Die Imperialisten der Europäischen Union und der USA hätten es niemals zugelassen, dass Revolutionäre in Tunesien die Macht übernehmen. Die heutige politische Situation ist ähnlich wie vor dem Aufstand. Die alten Eliten sind gemeinsam mit islamistischen Kreisen wieder an der Macht.

    Es hat sich also nichts geändert durch den Aufstand?

    Die politische und ökonomische Situation heute ist vergleichbar wie vor dem Aufstand, vielleicht sogar noch schlimmer. Die heutige Regierung, ist die achte Regierung seit dem Aufstand 2011. Die Regierungen können sich nicht lange halten, sie üben aber alle die selbe Politik aus. Ihre Politik basiert auf dem Neoliberalismus, der Privatisierung der zentralen Sektoren, wie Minen, Elektrizität, Wasser, Öl und Telekommunikation. Ebenso wie vor dem Aufstand haben wir heute eine gigantische Arbeitslosigkeit und Armut in Tunesien. Der Staat hat nicht genug Geld für seine Ausgaben und verschuldet sich immer mehr bei der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond (IWF). Der IWF und die Regierungen der EU und der USA diktieren heute, was in Tunesien passiert. Das ist eine gefährliche Entwicklung.

    Welche Interessen haben die EU und die USA in Tunesien?

    Tunesien hat eine strategische Bedeutung für die EU und die USA. Sie versuchen hier ihre Interessen durchzusetzen. Tunesien ist eine Art Modell für sie, welches erfolgreich sein muss. Das Land ist komplett abhängig von den Krediten der Weltbank und des IWF und muss deshalb deren Forderungen umsetzen. Die Imperialisten versuchen eine relative Stabilität in Tunesien zu erreichen. Tunesien ist nicht nur von geostrategischer Bedeutung, im Bezug auf Flüchtlinge aus Afrika, sondern auch von wirtschaftlicher Bedeutung. Hunderte französische und deutsche Firmen produzieren in Tunesien, zum Beispiel Mercedes und BMW. Die tunesischen Arbeiter bekommen einen Monatslohn von maximal 150 €, dass ist um ein Vielfaches billiger als in Europa zu produzieren.

    Was macht die geostrategische Bedeutung Tunesiens für die EU aus?

    Sie wollen aus Tunesien einen „Hinterhof Europas“ machen. Sowohl Merkel, als auch Hollande und Regierungsdelegationen aus anderen EU-Ländern waren in den letzten Wochen in Tunis. Besonders Merkel drängt darauf, dass große Flüchtlingslager in Tunesien errichtet werden und tunesische Flüchtlinge aus Europa, aber auch islamistische Kämpfer aus Syrien über die Türkei wieder zurück nach Tunesien gebracht werden. Gleichzeitig wollen sie über Tunesien die Situation in Libyen genau beobachten können. Nachdem Daesh (arabisch für Islamischer Staat) in Syrien und dem Irak immer weiter verliert, verlagern die Islamisten einen Großteil ihrer Kräfte nach Libyen. Sie haben große Trainingscamps dort. Schon jetzt gibt es auch in Tunesien alle zwei, drei Tage bewaffnete Angriffe der Islamisten auf Polizisten und Soldaten.

    Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung angesichts dieser Entwicklungen?

    Es gibt große soziale und politische Protestbewegungen in der Bevölkerung. Die Streiks und Demonstrationen der Arbeiter und Studenten nehmen jede Woche zu. Auch die große Masse der Arbeitslosen organisiert sich, wie schon vor dem Aufstand 2010. Es kommt zu Hungerstreiks und Straßenblockaden. Besonders die Arbeitslosen waren eine führende Gruppe im vergangenen Aufstand und werden auch in der Zukunft eine große Rolle spielen. Wir wollen all diese Kräfte und Bewegungen in einer breiten Front gegen die Regierung organisieren und so den kommenden Aufstand zu einem wirklichen Erfolg, zu einem vollendeten revolutionären Prozess führen. Dabei werden wir nicht nur gegen die Regierung und die Islamisten, sondern auch gegen die imperialistischen Länder kämpfen müssen.

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