Eine kurze Einschätzung zur aktuellen Situation in Hamburg.
Konflikte zwischen den Staaten
Wird das Gipfeltreffen führender kapitalistischer Staaten in Hamburg zur Bühne für die Entstehung neuer weltpolitischer Bündnisse? Nachdem schon die chinesische Regierung vor dem G20-Treffen das Eintreten Deutschlands für „Freihandel“ und das Pariser Klimaabkommen unterstützt hatte, zog heute morgen der russische Präsident Putin in einem Gastbeitrag im Handelsblatt nach: „Wir teilen die Prioritäten der deutschen Präsidentschaft und sind bereit, an ihrer Umsetzung zu arbeiten.“ Die Initiative dürfte darauf abzielen, die Widersprüche zwischen den USA und Deutschland weiter zu befeuern. Das Zustandekommen einer gemeinsamen Abschlusserklärung der G20 gilt in diesem Jahr erstmals als fraglich – womit auch die Frage im Raum steht, in welcher Weise die großen Mächte ihre heftiger werdenden Konflikte in Zukunft weiter austragen werden: Kommt es zum offenen Wirtschaftskrieg, oder gar zu neuen militärischen Auseinandersetzungen? Wird es bald einen neuen Koreakrieg oder einen Krieg auf der arabischen Halbinsel geben? Möglicherweise wissen das die Führer der großen Weltmächte schon, die heute nach und nach in Hamburg angekommen sind. Ein erstes Gespräch zwischen Merkel und Trump hat dem Vernehmen nach am späten Nachmittag im Luxushotel „Atlantic“ stattgefunden. Für den Abend war die versammelte Runde der Staats- und Regierungschefs zum Dinner geladen.
Belagerung in Hamburg
Währenddessen haben im Laufe des Tages auch immer mehr Menschen Hamburg für die Anti-G20-Proteste erreicht. Dazu zählten z.B. die Mitreisenden eines Sonderzuges, der gestern Abend vom schweizerischen Basel aus gestartet war. Trotz Verzögerungen durch Polizeischikanen erreichten sie am Vormittag die Stadt an der Elbe und zogen dort als Spontandemo zum inzwischen erlaubten Camp im Volkspark Altona. Die Demonstrierenden, die schon vorher dort waren, konnten ebenfalls ein Lied von der Schikane singen – hatte die Polizei doch akribisch alle Zelte nachgezählt, die zum Übernachten in den Volkspark transportiert wurden.
Solche Schikanen und ein allgemeines Bild der Belagerung haben mittlerweile auch Teile des bürgerlichen Journalismus gegen die Polizei aufgebracht: „Es fällt zurzeit wirklich schwer, nicht an eine Verschwörung zu glauben: einen geheimen Plan der Hamburger Polizei, um die Stadt in rauchende Trümmer zu verwandeln.“ Das schrieb nicht etwa indymedia oder die Junge Welt, sondern der Norddeutsche Rundfunk (NDR)(Link).
Polizeiangriff auf „Welcome to hell“-Demo
Dass der NDR mit dieser Frage den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, bestätigte sich am Abend bei der „Welcome to hell“-Demo. Unmittelbar nach dem Start des Protestzugs fuhr die Polizei mehrere Wasserwerfer und Schützenpanzer auf und verhinderte ein Weiterlaufen der laut „Neues Deutschland“ ca. 12.000 Teilnehmer – mit der Begründung angeblicher 1000 „Vermummter“ in deren Reihen. Kurz darauf griff die Polizei die Demo brutal mit mehreren hundert Kräften, Schlagstock, Pfefferspray und Wasserwerfern an: Nach eigener Begründung, um den „schwarzen Block“ vom Rest der Demonstration zu trennen – was ihr auch nach eigener Aussage nicht gelang.
Waren die Bilder von den gewalttätigen Auseinandersetzungen, die rasch ihren Weg in die Medien fanden, von der Polizei gewollt? Hatte sie deshalb zum Erstaunen aller Beobachter die aus dem autonomen Spektrum organisierte Versammlung ohne Auflagen genehmigt? Ein Beobachter von Attac formulierte es im „Neuen Deutschland“ so: „Es ist offenkundig, dass diese Demonstration nach dem Willen von Polizei und Senat nie laufen sollte. Dennoch haben die Teilnehmer eine bemerkenswerte Disziplin an den Tag gelegt, um ihre politische Kritik an der G20 auf die Straße zu bringen. Das zu verhindern war von Beginn an Absicht und Strategie der Polizeiführung.“ (Link)
Die geschilderte Disziplin hielten die Teilnehmer der Demonstration jedenfalls trotz des massiven Polizeieinsatzes aufrecht. Die Demo sammelte sich wieder – zunächst in zwei Teilen, die am späten Abend mit insgesamt mehreren tausend Menschen wieder zusammenfanden. Gleichzeitig berichtet die Polizei von 17 verletzten Beamten, von denen drei im Krankenhaus behandelt werden. Offenbar finden solche Auseinandersetzungen im Norden des Stadtteils St. Pauli und in Altona statt, also unabhängig von der derzeit wieder laufenden Demonstration. Über die zahlreichen verletzten DemonstrantInnen schweigt die Polizei. Zwischenfazit an einem Abend, der noch nicht zu Ende zu sein scheint: Der Widerstand geht weiter.
Stand: 6.7.2017 23:00 Uhr