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Freitag, März 29, 2024
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    Industrieverband BDI: Ein Programm für die nächste Bundesregierung, Teil II – von Thomas Stark

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    Der “Bundesverband der deutschen Industrie” (BDI) fordert konkrete Schritte, um Profite zu erhöhen und Rechte der ArbeiterInnen auszuhöhlen. BDI gibt damit kommender Regierung die Vorlage, was zu tun ist.

    „Industrie 4.0“, Arbeitswelt, Cybersicherheit
    Da ist erstens das Thema „Digitalisierung und Industrie 4.0“: Die Verbindung der industriellen Produktion mit der modernen Informationstechnologie (die z.B. mit dem Begriff „Internet der Dinge“ beschrieben wird), stellt eine neue Stufe in der wissenschaftlich-technischen Entwicklung dar und hat erhebliche Auswirkungen auf den internationalen kapitalistischen Konkurrenzkampf. Deutsche Industrieunternehmen wie Bosch wollen in dieser Entwicklung eine weltweit führende Position einnehmen, d.h. sowohl führender Nutzer als auch führender Anbieter der digitalisierten Produktionstechnik werden. Der BDI wittert bis 2025 die Möglichkeit für „einen Zuwachs von 1,25 Billionen Euro an industrieller Bruttowertschöpfung“ für Europa. Es geht den Konzernen jetzt darum, diese neue Stufe der industriellen Revolution einzuleiten und zu organisieren. Das ist heute aber gar nicht mehr anders denkbar als durch geplantes staatliches Eingreifen, z.B. in Form des bundesweiten Ausbaus von Breitbandnetzen, die schnelle Internetverbindungen ermöglichen, Verlegung von Glasfaserkabeln u.v.m. Diese Punkte stehen dementsprechend ganz oben im Maßnahmenkatalog des BDI.

    Darüber hinaus solle der Staat die „Arbeitswelt“ auf die Digitalisierung vorbereiten, z.B. dadurch, dass „flexible Arbeitsformen“ nicht „durch Regulierung“ behindert würden. Heißt im Klartext: Die Gesetze, die Arbeitszeiten, Arbeitsschutz u.v.m. regeln, sollen so verändert werden, dass die deutschen Industriekonzerne im digitalen Zeitalter noch mehr Profite erwirtschaften können – und zwar im Zweifel zulasten der Beschäftigten. In dieselbe Kerbe schlägt die Forderung, die Sozialversicherungen auf ihre „Kernaufgaben“ zu reduzieren, was eine Weiterführung der Agenda 2010-Politik vermuten lässt. Außerdem solle die Politik das Bildungswesen an die veränderten Produktionsbedingungen anpassen und ein Gesamtkonzept für die Sicherung der „Fachkräftebasis“ entwickeln, das eine „bessere Nutzung heimischer Potenziale (Frauen, Ältere, Junge, MigrantInnen etc.) ebenso umfasse wie gezielte und arbeitsmarktorientiere Zuwanderung von Fachkräften“.

    Wichtig sei außerdem das Thema „Cybersicherheit“, das in den Handlungsempfehlungen als „Standortvorteil“ bezeichnet wird und sowohl „finanzielle Anreize“ als auch „mehr Fachkräfte“ erfordere. Der BDI fordert, Cyberverteidigung auch „militärisch offensiv“ zu führen. Die Bundeswehr hat in dieser Beziehung schon Vorarbeit geleistet und kürzlich eine eigene Teilstreitkraft für den Cyberkrieg eingerichtet, deren Wirken bis in den zivilen Bereich geht (Link).

    Energie
    Parallel zur Digitalisierung der Produktion steht das deutsche Kapital auch vor einer grundlegenden Neustrukturierung des Energiesektors als einem weiteren Ausdruck der wissenschaftlich-technischen Entwicklung: „Atomausstieg, Ausbau der erneuerbaren Energien, Steigerung der Energieeffizienz und Fortschritte der Elektromobilität. All das dient dem Umbau der Energieversorgung, den die deutsche Politik für die nächsten 35 Jahre plant.“ Bis 2050 solle der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung auf 80 bis 95 Prozent gestiegen sein. Für die Industrie könne „die Energiewende eine Chance für Innovation und neue Märkte bedeuten“. Das deutsche Kapital soll also weltweit Vorreiter bei den erneuerbaren Energien werden. Auch dies setze aber staatliches Eingreifen voraus, z.B. zugunsten niedrigerer Strompreise und des Aufbaus einer europäischen „Energieunion“ – will meinen: Einer Organisierung des gesamteuropäischen Energiemarktes im Sinne der Interessen der deutsche Industrie.

    Steuern
    Staatliches Handeln fordert der BDI ebenso hinsichtlich der Steuerpolitik. Diese sei „ein nationales wirtschaftspolitisches Instrument“. Die Politik sei national und international gefordert, „die Position von deutschen Unternehmen im globalen Wettbewerb zu stärken“, z.B. durch die Vermeidung von „Mehrfachbesteuerung“. Bessere steuerliche Bedingungen für „Forschung und Entwicklung“ sollten geschaffen, sowie der „Gestaltungsspielraum“ durch die „andauernde Niedrigzinsphase“ für „steuerpolitische Strukturreformen“ genutzt werden. Hiermit dürften neue steuerliche Umverteilungsmaßnahmen „von unten nach oben“ gemeint sein. Ein wichtiger Bestandteil staatlicher Industrieförderung ist es schon lange, Profite mit Steuergeldern zu subventionieren, die zuvor den arbeitenden Menschen vor allem in Form von indirekten Steuern (Mehrwertsteuer usw.) abgeknöpft wurden.

    Rohstoffe, internationale Märkte, Sicherheit, Europa
    Neben einer ganzen Reihe von weiteren Kapiteln (Mittelstand, Gesundheitspolitik, u.v.m.) umfasst der Maßnahmenkatalog des BDI noch die inhaltlich eng verbundenen Themenbereiche Rohstoffe, Welthandel und „Sicherheitspolitik“. Deutschland sei „als Industrieland und Hightech-Standort (…) auf eine sichere Versorgung mit energetischen und nicht-energetischen Rohstoffen angewiesen“. Der Bedarf an Rohstoffen wie Seltenen Erden und Lithium werde für „zentrale Zukunftsprojekte wie Energiewende, Elektromobilität und Industrie 4.0 deutlich steigen“.

    Der Staat müsse die sichere Rohstoffversorgung durch geeignete Rahmenbedingungen ermöglichen, z.B. durch Gewährleistung des Zugangs zu heimischen Rohstofflagerstätten (Steine, Erden, Kali, Salz, Kohle, Erdgas), die Erschließung neuer Rohstoffquellen wie z.B. durch den Tiefseebergbau oder die Schiefergasförderung („Fracking“) und die erfolgreiche Gestaltung von „Rohstoffpartnerschaften“ mit anderen Ländern. Die staatliche Organisierung von Maximalprofiten findet nämlich keineswegs nur im Inland statt. Als Exportland habe Deutschland „ein großes Interesse daran, enge Handelsbeziehungen mit den wichtigsten Wachstumsregionen zu halten und auszubauen.“ Dazu zählten „Asien, Amerika, Nah- und Mittelost sowie Afrika“. Die Politik müsse sich für freien Handel und gegen Protektionismus einsetzen. Die G20 solle „auf konkrete Maßnahmen“ ausgerichtet werden, wobei „Digitalisierung und globale Marktlösungen für Klimaschutz als Schwerpunkte“ zu setzen seien.

    Wenn alles nichts hilft, muss diese Politik im Sinne der Industrie auch mit anderen Mitteln fortgesetzt werden: In der „Sicherheitspolitik“ – man könnte sie auch Rüstungs- und Militärpolitik nennen – gehe es u.a. darum, „internationale Handels- und Logistikketten“ zu schützen, die „Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ zu stärken sowie in „Sicherheitsforschung zu investieren“. Ein besonderes Problem bestehe in diesem Zusammenhang darin, dass „geringes Verständnis und Akteptanz in großen Bevölkerungsteilen“ hinsichtlich „Sicherheitsfragen“ bestehe. Hier müsse die „Sensibilisierung der Öffentlichkeit“ seitens der Politik „intensiviert“ werden. Propaganda für mehr Kriegseinsätze also?

    In der allgemeinen geostrategischen Ausrichtung sieht der BDI keine Alternative zur Stärkung der Europäischen Union: „Die europäische Integration ist für die deutsche Industrie kein Projekt – sie ist zwingende Notwendigkeit, um unter anderem neben den USA und China als Weltregion auf Augenhöhe mitzugestalten“. Diese Ausrichtung beinhaltet erstens die Sicherung der Vormachtstellung des deutschen Kapitals in Europa. Zweitens benennt sie die wichtigsten Gegner im weltweiten Konkurrenzkampf, nämlich die USA und China. Angesichts derart mächtiger Konkurrenten wundert es nicht, dass der BDI die Notwendigkeit von Aufrüstung und militärischer Forschung betont.

    Unternehmerherrschaft oder Demokratie?
    Der Maßnahmenkatalog des BDI zeichnet einen schlüssigen und folgerichtigen politischen Weg für die nächsten Jahre vor: Der Staat soll den kapitalistischen Konzernen auf allen Ebenen der Wirtschaft und mit allen verfügbaren Ressourcen maximale Profite organisieren und ihre Stellung im internationalen Konkurrenzkampf stärken – von der Steuergesetzgebung über die Förderung der „Industrie 4.0“ bis hin zur Aufrüstung und zu Militäreinsätzen. Das alles vor allem auf Kosten der ArbeiterInnenklasse im In- und Ausland.

    Das ist schlüssig und folgerichtig, weil es der Logik des kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisses und den gesellschaftlichen Interessen der Herrschenden entspricht. Die Unternehmerverbände sind in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden, als die wichtigsten Konzerne mittlerweile so groß, mächtig, marktbeherrschend und miteinander verschmolzen waren, dass man seitdem von Monopolen sprechen muss. Das Verschmelzen der Industrieunternehmen und von Industrie und Banken war der Ausgangspunkt ihres Verschmelzens mit dem Staat. Die Beherrschung der Märkte durch Monopole war der Ausgangspunkt für die zunehmende Beherrschung aller gesellschaftlichen Bereiche durch sie. Organisationen wie BDI und BDA sind wichtige Bestandteile dieses Herrschaftssystems.

    Es ist kein Wunder, dass unsere staatliche Politik an gesellschaftliche Herausforderungen wie die wissenschaftlich-technischen Entwicklungen oder die Frage unserer Energieversorgung im Sinne des Maximalprofits mit Verschärfung der Ausbeutung herangeht – solange es die Industrie und Banken sind, die den Staat  – eigentlich ja “Summe aller Staatsangehörigen” – beherrschen und die Politik ökonomisch diktieren. Die Alternative bestünde darin, dass eine organisierte ArbeiterInnenklasse den Kapitalisten, ihren zahlreichen Verbänden, Vertretern und Parteien die politische Macht mitsamt den Produktionsmitteln entreißt.

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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