Figen Yüksekdağ ist ehemalige Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in der Türkei und Nordkurdistan und sitzt seit dem 3. November 2016 wegen ihres Kampfes um Demokratie und Sozialismus in der Türkei im Gefängnis. Im Interview mit dem italienischen Magazin Vanity Fair kommentiert sie die aktuelle politische Lage vor den Wahlen am kommenden Sonntag.
„Nicht nur das Land verändert sich, die Gesellschaft ist in vollständigem Wandel begriffen“, so Yüksekdağ gegenüber Vanity Fair und warnt: „In der Türkei gab es immer schon nationalistische und radikalreligiöse Ansichten, aber jetzt haben sie eine gefährliche Allianz geschlossen und eine neue Legitimität unter der Bevölkerung erhalten. Wenn niemand versucht sie aufzuhalten, dann wird es diesmal sehr ernst werden.“
Das Leben der Frauen verschlechtert sich
„Wir werden ZeugInnen einer kontinuierlichen Verschlechterung der Situation der Frauen in der Türkei“, betont sie, „aktuell werden bereits die grundsätzlichsten Rechte verletzt. Der Putsch von 2016 und die Ausrufung des Ausnahmezustands haben die Aktivitäten von Hunderten Vereinen negativ beeinflusst. Im Moment sitzen neun unserer Abgeordneten, 35 unserer Bürgermeister*innen und Tausende unserer Parteimitglieder im Gefängnis. Das schulpflichtige Alter wurde abgesenkt und die Zahl der 13–14-jährigen Mädchen, welche die Schule verlassen, steigt kontinuierlich. Andererseits nimmt die Anzahl der Frauen, die am ökonomischen Leben teilnehmen, stetig ab.“
Die Türkei war nie eine Demokratie
„Bald sind 100 Jahre seit dem Übergang vom Osmanischen Reich zum modernen republikanischen System vergangen, aber in der Türkei hat es außer einem formal parlamentarischen Modell und kurzlebigen, partiellen Versuchen keine Umsetzung einer demokratischen Regierung und eines demokratischen Lebens gegeben. Die türkische Gesellschaft befindet sich unter einer sehr ernsten, nationalistischen, radikalreligiösen, rückständigen Belagerung und dieser Druck hat die Dynamiken zur gesellschaftlichen Erneuerung gelähmt. Der Grund, warum Erdoğan so massiv attackiert, ist klar, die Wahlergebnisse sind in Gefahr. Die Wahlen bringen das Risiko mit sich, das Land radikal zu verändern. Die Wahlkampagne findet unter Zensur statt. Die HDP kann die Medien nicht erreichen, denn die Medien stehen unter der Kontrolle Ankaras.“
Erdogan darf die Wahlen nicht gewinnen
„Wenn sie diese Wahlen gewinnen, dann werden sie ihr System der Repression und Diktatur im Namen der Mehrheit stärken, und die letzten Seile, die Erdoğan oder die Regierung noch halten, werden durchtrennt werden. Weder aus den Diskussionen noch aus der Politik der letzten Zeit haben wir das kleinste positive Signal erhalten. Erdoğan versucht, sich als rechtschaffen und legitim darzustellen. Wir aber sprechen von einem Kampf auf der Basis der eigenen Kraft des Volkes, um die HDP mit ihrem radikaldemokratischen Programm zu einem Erfolg zu bringen, um die Türkei vor den putschistischen, faschistischen, monistischen und diktatorischen Tendenzen retten zu können. Wir bekennen uns zu unserer großen historischen Verantwortung und nehmen diesen Kampf alleine auf.“
Auf die Frage, was Yüksekdağ nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis als Erstes machen werde, antwortete sie: „Nach der Isolation im Gefängnis werde ich mich als erstes in eine Menschenmenge mischen.“
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