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Samstag, April 27, 2024
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    Umwelt zubetonieren oder ewige Wohnungsnot?

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    Die Freiburger stimmen über die Schaffung eines neuen Stadtteils Dietenbach ab – Ein Kommentar von Pa Shan

    Am 24. Februar sollen die FreiburgerInnen über die Schaffung eines neuen Stadtteils abstimmen. Denn die bisherige Planung wird seit Jahren kontrovers diskutiert und stößt bei vielen BewohnerInnen der Stadt auf große Skepsis. Zu Recht, denn die Schaffung des Stadtteils Dietenbach wird die Probleme der Stadt nicht lösen. Die Dietenbach-Kontroverse veranschaulicht hervorragend das Dilemma heutiger Stadtbaupolitik in Deutschland.

    Die Lösung des Wohnungsproblems?

    Freiburg hat, wie viele deutsche Städte, ein Problem mit Wohnungen. Bis zum Jahr 2030 sollen der sonnigsten und ehemals teuersten Stadt des Landes 14.000 bis 15.000 Wohnungen fehlen, wie Stadtplaner schätzen. Westlich von Freiburgs Zentrum liegt Dietenbach. Im Moment ist Dietenbach ein ca. 169 Hektar großes Gebiet mit Wald, Wiesen und Ackerland. Die Stadt Freiburg hat vor Jahren die Bebauung und Bewohnbarmachung dieses Gebietes angekündigt. Seit Oktober 2018 ist der Plan des Freiburger Büros „K 9 Architekten“ gültig, dem zufolge 60 Hektar bewohnbar gemacht werden sollen.
    Laut diesem Plan sollen hier 15.000 Menschen Wohnraum in 6.500 neuen Wohnungen finden. „Vor allem soll bezahlbares Wohnen entstehen. Dietenbach soll ein bunter Stadtteil werden mit kurzen Wegen und kommunikativen Freiflächen, Schulen, Sportangeboten, Kitas und Einkaufsmöglichkeiten. Das Quartier wird inklusiv und barrierefrei“, behauptet die Stadt Freiburg. (Link) In Zeiten der Wohnungsnot und unbezahlbarer Mieten klingt das zunächst wie eine Erlösung. Die Stadt erklärt heilversprechend: „Die Lösung des Wohnungsproblems heißt Dietenbach“ (Link).

    Um diesen Heilsplan zu realisieren, muss ein Großteil der Fläche jedoch erst bewohnbar gemacht werden. Ein Großteil des 116 Hektar großen Ackerlands befindet sich jedoch im Privatbesitz. Ca. 70 Hektar gehören rund 450 PrivateigentümerInnen. Während die Mehrheit dieser EigentümerInnen sich zum Verkauf ihrer Flächen bereit erklärt hat, verweigert sich ein anderer Teil der Besitzenden. Diese müssten daher zur Umsetzung des Plans schnell überzeugt oder enteignet werden. Die Bereitschaft zur Enteignung im Interesse des Gemeinwohls hat die Stadt bereits über verschiedene Kanäle kommuniziert. Denn Alternativen für neuen Wohnungsbau gäbe es in Freiburg nicht, wie die führenden politischen Köpfe behaupten.

    Um den Bau des neuen Stadtteils populärer zu machen, hat die Stadt die Idee einer Bezuschussung von 50 Prozent aller Wohnungen diskutiert. So solle angeblich „bezahlbares Wohnen“ ermöglicht werden. In der Öffentlichkeit wurde gerne so getan, als ob diese Quote bombenfest sei (Link). In Wirklichkeit gibt es bisher nur leere Versprechen, aber keine gesetzlichen Garantien. Im Freiburger Gemeinderat wurde in der entscheidenden Sitzung am 27.11.2018 lediglich in einem unverständlichen Kauderwelsch beschlossen, dass die Stadtverwaltung den Auftrag hat, „bei den weiteren Planungen des neuen Stadtteils Dietenbach das Ziel zu verfolgen, 50 % geförderten Mietwohnungsbau zu realisieren“ – sofern, der Bauplan so umsetzbar ist. Von einer Garantie ist nicht die Rede. Von Sozialwohnungen auch nicht. Insofern ist es trotz aller Bekundungen seitens SPD, CDU und den Freiburger Dunkelgrünen gut möglich, dass in Dietenbach vor allem Wohnungen für Wohlhabende entstehen würden. Die Wohnungsnot wäre damit keineswegs beendet.

    Skepsis in der Bevölkerung Freiburgs

    Diese Zwielichtigkeit des bisherigen Bauvorhabens hat viele FreiburgerInnen skeptisch gemacht. Wer garantiert, dass Dietenbach die gravierende Wohnungsnot lindern oder beenden wird? Wer trägt dafür die Verantwortung? Gibt es wirklich keine Alternativen? „Wieso ist es zum Wohl der Allgemeinheit, wenn für 15.000 Neubürger auf der grünen Wiese unbezahlbarer Wohnraum erstellt wird, an dem sich Banken-, Immobilienwirtschaft und Kapitalanleger goldene Nasen verdienen?“ (Link).

    Solche Fragen haben sich immer mehr Menschen gestellt. Und einige haben sich entschieden, organisierten Widerstand zu leisten. So bildete sich die Initiative von BürgerInnen „Rettet Dietenbach“ unter Federführung von drei Freiburgern. Diese Initiative schaffte es, über 12.000 Unterschriften zu sammeln, um den Bürgerentscheid zu erzwingen, der nun im Februar ansteht. Diejenigen, die mit „Ja“ für einen Stopp des Bauvorhabens stimmen, können damit den aktuellen Plan der Stadtverwaltung durchkreuzen und eine Alternative erzwingen.

    Aber was sind die Alternativen?

    Sollte der Bürgerentscheid den aktuellen Bauplan zunichte machen, stellt sich die Frage, was die Alternativen sind. Die „Rettet Dietenbach“-Initiative ist an einer sozialeren Lösung interessiert und erklärt ganz offen: „Dietenbach ist nicht alternativlos, sondern bei näherer Betrachtung überflüssig“ (Link). Anstelle eines Bauvorhabens, das zumindest bis 2026 keine einzige neue Wohnung bringen und erst ab 2026 jährlich einige hundert (meist teure) Wohnungen bereitstellen dürfte, wäre der bisherige Leerstand und eine Aufstockung von Wohnflächen anzupacken, so die Initiative.
    Auf der Homepage werden etliche Methoden genannt, wie mehr Wohnraum möglich wäre. Die Initiative nennt vor allem die systematische Nutzung von leer stehenden Wohnungen und Mietflächen, aber auch die Aufstockung und Verdichtung von Wohnungen. Jährlich entstehen in Freiburg ohne Dietenbach bereits 800 Neubauwohnungen. Zudem werden jedes Jahr 7.000 Wohnungen frei. Die Stadt könnte diese an Langzeitsuchende vermitteln. Laut der TU Darmstadt könnten zudem 5.569 Wohnungen durch Aufstockung bestehender Gebäude neu geschaffen werden. „Würden auch die vorgenannten Potenziale ausgeschöpft (oder zumindest angegangen), so könnten also bis 2030 weitaus mehr als 17.000 Wohnungen entstehen. Ganz ohne Dietenbach!“

    Kapitalistische Städteplanung

    So gut gemeint die Alternativen der Initiative „Rettet Dietenbach“ sind, so perspektivlos sind sie letztlich. Denn das eigentliche Problem ist nicht die Verstädterung ländlicher Flächen, nicht die Enteignung einiger Landwirte oder das Fehlen von potenziellen Wohnflächen: Ackerland für regionale und nachhaltige Landwirtschaft ließe sich staatlich garantieren, wenn der Staat darin eine Priorität erkennt. Die Enteignung von Landbesitzern ist juristisch nicht nur möglich, sondern unter Umständen auch bitter nötig im Sinne der Allgemeinheit. Notwendige Wohnflächen sind prinzipiell schon vorhanden und können sowohl innerhalb als auch außerhalb Freiburgs neu geschaffen werden.

    Das eigentliche Problem der Dietenbach-Kontroverse ist, dass die Städteplanung in Freiburg vor allem kapitalistischen Interessen dient. Der bezahlbare Wohnraum wird künstlich knapp gehalten und Mieten werden künstlich verteuert. Freiburg war bereits die teuerste Stadt Deutschlands und ist bis jetzt eine der teuersten. Die Mietpreise bei Neubauten liegen in Freiburg bei 14 Euro pro Quadratmeter. Ca. 30 Prozent des Einkommens der durchschnittlichen FreiburgerIn gehen für die Kaltmiete drauf, von der Warmmiete ganz zu schweigen (Link). Obwohl es „der deutschen Wirtschaft“ – den Unternehmen und Kapitalisten – sehr gut geht, merken immer mehr Menschen, dass ihre Einkommen meist für das Nötigste draufgehen und dass ihre Zukunftsaussichten alles andere als rosig sind.

    Mehr Solidarität ist gefordert

    Bauprojekte wie Dietenbach können die Wenigsten davon überzeugen, dass die drängendsten Probleme von der Politik gelöst werden. Deswegen kommt es vermehrt zu Initiativen wie „Rettet Dietenbach“ oder zu Hausbesetzungen durch Gruppen wie „Die WG Freiburg – Wohnraum Gestalten“.

    Solche Initiativen sind ein guter Anfang, da sie das Dilemma kapitalistischer Städteplanung aufzeigen, die zwischen ewiger Wohnungsnot und Umweltzerstörung hin und her laviert. Aber weil es immer nur vereinzelte und kurzfristige Gegenprojekte sind, die letztlich auf die Einsicht der PolitikerInnen pochen, können sie die Politik im Interesse der Kapitalisten nicht überwinden.

    Gefordert wäre nicht nur eine aktivere Einmischung der Bevölkerung in Form von Unterschriftensammlungen, Bürgerentscheiden und Hausbesetzungen, sondern ein flächendeckender, organisierter Widerstand gegen die herrschende Politik, damit die Interessen und Rechte der überwältigenden Mehrheit durchgesetzt werden. Gefordert wäre die Selbstorganisation der FreiburgerInnen in allen Stadtteilen, Betrieben und in allen Räumen, die bisher „der deutschen Wirtschaft“, aber nicht der Bevölkerung dienen. Gefordert wäre mehr organisierte Solidarität unter einander, etwa in den bundesweit in mehreren Städten gebildeten Solidaritätsnetzwerken. Gefordert wäre letztlich eine Organisation der Bevölkerung, die flächendeckend sozialen Wohnungsbau überall sicherstellt und garantiert, ganz gleich, ob für allein erziehende Mütter, Studierende, Arbeitslose, Arbeitsunfähige oder RentnerInnen. Die bestehenden Parteien, Gewerkschaften und Verbände werden uns solche Garantien nicht gewähren, da sie als gekaufte Stellvertretung an die Interessen der politischen und ökonomischen Eliten gebunden sind. Wir müssen uns daher jenseits dieser Stellvertreter-Organisationen zusammentun.

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    • Perspektive-Korrespondent, Chinaforscher, Filmliebhaber, Kampfsportler

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