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Mittwoch, April 24, 2024
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    Für Frauenrechte kämpfen, ist das noch in?

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    Jedes Jahr pünktlich zum Frauenkampftag interessiert sich auf ein Mal jede/r für mein politisches Engagement. Freunde, Kollegen und Familienmitglieder haben plötzlich alle das selbe brennende Statement auf dem Herzen: „ Verstehe ja, dass du dich einsetzen willst, aber Feminismus ist doch jetzt auch wieder nur so ein Trend“. Darauf hin fallen mir auf der Stelle 219 und eine gequetschte Antwort ein. Die alle aufzuzählen, würde allerdings doch zu einem sehr langen Artikel führen. Deshalb hier mein Kompromiss: Ihr bekommt 2,19 Antworten, fälschlich aufgerundet auf 3, die dafür sorgsam ausgeführt. – Ein Kommentar von Tabea Karlo

    An dieser Stelle werde ich zugeben, dass die Zahl 219 kein purer Zufall war, doch das habt ihr euch sicher bereits gedacht. 219, worum ging es denn da noch mal? Ach ja richtig, das war der Gesetzesparagraph, in dem geregelt wird, wer Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch beraten darf und vor allem wie. Und da würde ich gerne an dieser Stelle etwas zitieren: „Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat..“. Das Ungeborene, das einem Menschen zu diesem Zeitpunkt also noch kaum ähnelt, hat also ein Recht auf Leben und zwar mehr als die erwachsene, schon sehr viel lebendigere und entscheidungsfähigere Frau, die es austrägt? Frauen wird mit dem vorangehenden Paragraphen 218 verboten, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, mit dem §218a wird er unter bestimmten Bedingungen straffrei. Zu diesen Bedingungen gehört die in §219 erwähnte Beratung, die ganz offensichtlich nur dazu dient, Frauen, die sich sowieso in einer enorm stressigen Situation befinden, noch mehr Druck auszusetzen. Hier geht es nicht um eine extra ärztliche Beratung, zusätzlich zu der, die man in so einem Fall generell bekommen muss oder gar um eine psychische Betreuung der Frauen. Sondern es geht um den Versuch, Frauen, denen ohnedies eine schwere Entscheidung bevorsteht, diese noch zu erschweren und ihnen ins Gewissen zu reden. Als wäre ein Schwangerschaftsabbruch dasselbe, wie im Supermarkt zu klauen. Ginge es wirklich darum, sich um die Frauen zu kümmern, anstelle ihnen einfach ihr simples Selbstbestimmungsrecht abzuerkennen, dann würde man sich um psychologische Betreuung vor und auch danach kümmern, etwas, das von staatlicher Seite gar nicht festgeschrieben ist. Zum §219 kommt dann noch ein kleiner Zusatz in Form des 219a hinzu. Dieser verbietet explizit, „Werbung“ für Abtreibungen zu machen. Etwas, das einfach nur noch lächerlich ist, als wäre es je möglich gewesen, traumatische oder zumindest extrem stressige Erlebnisse zu vermarkten. Und als wären Frauen so dumm, dass nicht mitzubekommen. So auf die Tour: “oh ja klar, wenn’s heute nur 19,99 kostet, warum nicht?“

    Der zweite von 2,19 Gründen ist wohl der, dass ich mich persönlich als Frau nicht nur dem Risiko ausgesetzt sehe, nicht frei über meine Körper entscheiden zu können. Zusätzlich sehe ich mich auch dem Risiko ausgesetzt, in meinem Privatleben nicht frei entscheiden zu können Beispielsweise sind Scheidungen für Frauen häufig nicht nur eine Frage der vergangenen Liebe, sondern auch des Geldes und des gesellschaftlichen Status’. Denn so modern und vergebend unsere heutige Gesellschaft wirken mag, so oft habe ich mit erleben müssen, wie Frauen gefragt werden, wie „die Scheidung sich denn auf die Kinder auswirken” würde oder was für „Rabenmütter“ sie seien. Abgesehen davon, dass Frauen heute immer noch häufig in schlechter bezahlten Berufen arbeiten und fast jede Dritte von ihnen in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis angestellt ist – solche Jobs bieten weit weniger finanzielle Sicherheit als “normale“ und die Bezahlung ist häufig schlechter. Das bringt Frauen oft in eine ökonomische Abhängigkeit von ihrem Partner, die außerdem durch das deutsche Eherecht begünstigt wird. Es ist nämlich bis heute so, dass es den besser Verdienenden steuerbegünstigt. Klingt erstmal gut, fördert allerdings enorm, dass der geringer verdienende Elternteil zu Hause bleibt, wenn Kinder geboren werden, und das sind nun mal häufig die Frauen. Dadurch entgehen ihnen natürlich Karrierechancen und sie zahlen weniger in die Rente ein, was es für Frauen oft zu einem Geldproblem macht, sich scheiden zu lassen.

    Für den aufgerundeten dritten Punkt kommen einige Dinge in Frage, über die wir uns noch
    aufregen könnten. Doch ich bin dafür, wir sehen uns einfach Mal an, was starke, mutige Frauen auf der Welt schon alles durch ihre Kämpfe geleistet haben. Warum wir uns grade an diesem besonderen historischen Tag ein Beispiel nehmen sollten und vor allem denn, an wem!? Vielleicht an den Frauen der „Ni und menos“ (dt.: Nicht eine weniger)-Bewegung, die sich gegen die zahlreichen Frauenmorde in Argentinien einsetzet – laut der NGO “La casa del encuentro“ wird in Argentinien rund alle 30 Stunden eine Frau ermordet. Vielleicht auch an den Frauen, die sich vergangenes Jahr an den Frauenprotesten gegen den faschistischen Präsidentschaftskandidaten (mittlerweile Präsident Brasiliens) Bolsonaro beteiligten. Oder an unseren mutigen, jungen und alten Frauen, die sich gegen die §218 und §219 und für ihr Recht auf die Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper einsetzen.

    Das waren drei von 219 oder eher tausend weiteren Beispielen, die ich nennen könnte. Doch egal, was euch an diesem besonderen Tag auf die Straßen eurer Stadt tragen mag, liebe Frauen, glaubt mir, wenn ich sage: ich sehe zu jeder einzelnen von euch auf. Weil ihr zu jenen unbezwingbaren, kämpferischen Frauen gehört, die uns allen eine bessere Welt erkämpfen. In diesem Sinne einen solidarischen, aktiven 8. März.

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    • Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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