Vor zwei Monaten verschwand Rita Ojungé (32) spurlos aus einer Flüchtlingsunterkunft. Erst zweieinhalb Wochen später geht eine Suchmeldung raus, erst weitere sechs Wochen später sucht eine Hundertschaft das umliegende Gelände ab – und findet Ritas zerstückeltes Skelett. Der Verein „Opferperspektive“ fragt: was wäre geschehen, wenn es eine deutsche Frau gewesen wäre?
Am 7. April verschwindet die Kenianerin Rita Ojungé spurlos aus ihrem Flüchtlingslager. Es liegt an einer Ausfallstraße der Gemeinde Hohenleipisch in Südbrandenburg. Dort lebte sie seit einigen Jahren als Geduldete zusammen mit ihren zwei und vier Jahre alten Söhnen. Der Vater, ein Kameruner, lebt in Berlin.
Doch erst am 25. April gibt die Polizeidirektion Süd eine Suchmeldung heraus: Die „junge fürsorgliche Mutter“ habe ihre beiden Kinder im Wohnheim zurückgelassen. Ihr Aufenthaltsort sei „trotz umfassender Ermittlungen“ unbekannt.
Umfassende Ermittlungen?
Erst als der Verein „Opferperspektive“ von dem Fall Ende April erfuhr, gab es wirkliche Bewegung. Sie tat das, was die Polizei eigentlich hätte tun sollen: ermitteln.
Sie erfahren, dass Rita Ojungé bei ihrem Verschwinden weder ihre Bankkarte noch warme Kleidung mitgenommen hatte. Auch fährt an diesem 7. April kein Bus – und Rita Ojungé habe noch nie ihre Kinder allein gelassen, sagen jene, die sie kennen.
Ebenfalls bereichtet der vierjährige Sohn, dass sie an jenem Tag ihres Verschwindens von ihrem Heimnachbar, einem Nigerianer, bedroht, geschlagen und weggeschleppt wurde. Am 10. Mail stellt „Opferperspektive“ Strafanzeige gegen den Nigerianer – im Namen des in Berlin lebenden Partners.
Erst am 11. Juni – also zwei Monate nach Rita Ojungés Verschwinden – wird eine größere Suchaktion gestartet. Eine Hundertschaft durchsucht über Tage eine Fläche von etwa 32 Hektar rund um das Flüchtlingsheim. Am 20. Juni werden dann Überreste des Skeletts von Rita Ojungés gefunden. Offenbar wurde sie ermordet und zerstückelt.
Kritik an der Polizei
Opferberater Martin Vesely geht davon aus, dass die schleppenden Ermittlungen mit Rita Ojungés Herkunft zusammenhängen: „Man muss sich nur den Fall vorstellen, dass eine deutsche Frau verschwindet, vermisst wird, dass ein Kind den Nachbarn schwer belastet“, sagt er. „Dann würde die Polizei einiges in Bewegung setzen.“
Die Polizeidirektion Süd will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Die zuständige Staatsanwaltschaft meint, die Polizei habe sich an die formalen Vorgaben gehalten, es gebe nichts auszusetzen.
„Brechen wir das Schweigen!“
Auch die Organisationen „International Woman* Space“ und „Women in Exile“ äußerten sich zu dem Fall: „Wieder zeigen sich ganz deutlich die Vernachlässigung und der Rassismus, die von den Geflüchteten schon so viele Jahre lang angeprangert werden, bisher aber auf taube Ohren stießen. Ohne Zweifel wird deutlich, wie unsicher und gefährlich das sogenannte „Wohnheim“ von “Human Care” ist, vor allem für Frauen* und Kinder.“
Die Frauen-Selbsthilfeorganisationen zeigen sich tief betroffen und fassungslos: „Wie kann es sein, dass ihr Körper erst jetzt nach drei Monaten gefunden wurde – in unmittelbarer Nähe ihres Wohnortes? Und das, obwohl die Polizei angab, seit dem 25. April umfangreiche Ermittlungen und Suchaktionen eingeleitet zu haben? Warum ist über ihren Tod nur in den Sozialen Medien und in der Lokalpresse zu erfahren? Warum gibt es über ihren Tod keine Berichterstattung in den öffentlichen Medien?“
Ihre Aufforderung: „Brechen wir das Schweigen!“