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Dienstag, März 19, 2024
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    „Die Verfahren gegen uns linke Aramäer sind ein weiterer Dienst Deutschlands für die Türkei“

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    Interview mit Sami Baydar über aktuelle Ermittlungsverfahren und Hausdurchsuchungen gegen linke Aramäer in Deutschland und den Zusammenhang der Repression mit dem Erdoğan-Regime in der Türkei.

    Sami Baydar ist Theologe in der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien (antike Stadt in Syrien) und ein linker politischer Aktivist, der sich für die Rechte der Aramäer vor allem in der Türkei einsetzt.

    In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Repressionen gegen vermeintliche Mitglieder der Bewegung der „Revolutionären Suryoye (Aramäer)“. Was ist der Anlass für diese Repression?

    Die Gerichte in Bayern und Baden Württemberg werfen uns das Tragen einer Fahne der in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachteten marxistisch-leninistischen Organisation „Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front” (DHKP-C) vor. Tatsächlich handelte es sich um eine Fahne der ‘Kommunistischen Aramäer Mesopotamiens’ mit  Hammer und Sichel auf rotem Grund, die wir bei uns trugen.

    Wie schätzt du die Hausdurchsuchungen und ergangenen Strafbefehle wegen des Tragens der Fahne der „Kommunistischen Aramäer Mesopotamiens“ aktuell ein?

    Die bundesweiten Hausdurchsuchungen sind am 02.10.2018 gewesen, also keine drei Tage nach dem Staatsbesuch von Erdoğan in Deutschland am 29. September 2018. Da die linke Volksbewegung “Revolutionäre Suryoye” ihren Ursprung in der Türkei hat, liegt in diesen Repressionen – nach der Kriminalisierung der sozialistischen DHKP-C und kurdischer Organisationen – nun ein weiteres Mal ein Signal für einen Dienst Deutschlands für die Türkei. Denn die Türkei ist ein wichtiger Absatzmarkt für Deutschland.

    Du selbst bist einer der Hauptbeschuldigten in einem aktuellen Verfahren. Was wird dir genau vorgeworfen?

    Das Landeskriminalamt (LKA) überprüft aktuell mehrere meiner, in sozialen Netzwerken veröffentlichten, Beiträge auf Volksverhetzung und Aufruf zur Straftaten. Da geht es um Beiträge wie dem Aufruf zur Solidarität für die sozialistische Musikband ‘Grup Yorum’ und gegen das vom Staat versuchte Auftrittsverbot beim rebellischen Musikfestival 2018 der MLPD. Auch werden mir mehre Vergehen wegen dem Verstoß gegen das Vereinsgesetz und dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Zusammenhang mit der DHKP-C vorgeworfen.

    Dir und deiner Rechtsanwältin wird keine Akteneinsicht gewährt. Mit welcher Begründung?

    Meiner Rechtsanwältin wurde mitgeteilt, dass aktuell ein Prüfverfahren von der Bundesanwaltschaft aus Karlsruhe gegen mich für ein mögliches § 129b StGB-Verfahren (Unterstützung einer kriminellen und terroristischen Vereinigung im Ausland) eingeleitet wurde und meine Akte deswegen noch nicht herausgegeben werden kann.

    Gleichzeitig ist eine in Hamburg lebende aramäische Aktivistin seit ihrer Einreise am 29. Juni in die Türkei verschwunden. Was kannst du über ihr Schicksal sagen?

    Die 22 jährige Genossin heißt Dallala und studiert in Hamburg Jura. Sie ist ein aktives Mitglied in der ‘Volksbewegung Revolutionäre Suryoye’ und als Journalistin in ihr tätig gewesen. Seit dem 22. Juli fehlt jedes Lebenszeichen von ihr. An diesem Tag wollte sie ihre Heimat in Mardin/Türkei besuchen; doch dort ist sie nie angekommen. Am Flughafen von Istanbul verliert sich ihre Spur. Seit diesem Tag sind ihre Accounts in den sozialen Medien gelöscht, ihre Kommunikationsgeräte abgeschaltet.

    Nachdem der ‘Volksrat der Aramäer’ (Süryani Halk Meclisleri) einen mehrsprachigen Aufruf veröffentlichte, hat sich ein Zeuge gemeldet. Der Mann hat erklärt, er habe Dallala am 29. Juni 2019 am Flughafen von Istanbul in der Begleitung eines türkischen Polizisten und einer unbekannten Person gesehen. Die Ungewissheit über Dallalas Schicksal ist für ihre GenossInnen und das aramäische Volk schwer zu ertragen.

    Wir befürchten, dass sie das gleiche Schicksal erleidet wie die linke türkische Journalistin Ayten Öztürk. Sie war am 9. März 2018 am Flughafen von Beirut festgenommen und an die Türkei ausgeliefert worden. Fast sechs Monate war sie verschwunden. In dieser Zeit wurde sie in einem Spezialgefängnis schwer gefoltert, unter anderem mit Elektroschocks und Scheinhinrichtungen. Zu der körperlichen Tortur kam die psychische Folter. Bei den Vernehmungen wurde ihr immer wieder erklärt, dass sich in der Öffentlichkeit niemand um sie kümmere, weil sie für tot gehalten werde. Erst nachdem Öztürks Verschwinden durch die ‘Volksfront (Halk Cephesi) bekannt gemacht wurde, erfolgte eine Überstellung in ein Gefängnis. Wir befürchten, dass mit Dallala das Gleiche geschehen ist.

    Was möchtest du zum Schluss noch sagen?

    Wir rufen alle aktiven linken, fortschrittlichen, demokratischen und antifaschistischen Menschen auf, sich mit uns zu solidarisieren und bei der Auffindung Dallalas zu helfen. Für wichtige Hinweise oder Zeugen sollen sie bitte den ‘Volksrat der Aramäer’ im Internet oder die Facebook-Seite ‘Free Dallala’ kontaktieren.

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