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Dienstag, März 19, 2024
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    Erneute Debatte um den Anstieg des Mindestlohns

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    Schon seit einiger Zeit gibt es immer wieder Diskussionen um den jetzigen Mindestlohn. 9,19 Euro beträgt er jetzt, das reicht selbst bei einer 40-Stunden-Woche kaum zum Leben. Die SPD, Grüne und Linke fordern nun einen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro. Doch auch das wird unsere Armut nicht abschaffen. – Ein Kommentar von Tabea Karlo

    2015 wurde in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn eingeführt und genauso lange existiert die Diskussion darum, ihn wieder abzuschaffen, zu senken oder zu erhöhen.Viele Arbeiterinnen und Arbeiter setzen sich seit Jahren für eine Erhöhung ein, da der gesetzliche Mindestlohn für sie keine ausreichende Existenzgrundlage bietet. Auf diese Forderungen wollen einige Parteien nun endlich eingehen. SPD, Grüne und Linke fordern gemeinsam mit den Gewerkschaften einen Mindestlohn von 12 Euro. Gegner argumentieren, dass das viele Jobs aus dem Niedriglohnsektor vernichten könnte.

    Jetziger Stand: 9,19 Euro pro Stunde

    Im Moment bekommt jemand, der den Mindestlohn verdient, 9,19 Euro die Stunde. Bei einer 40- Stunden-Woche kommt man gerade Mal auf einen Lohn von rund 1.593 Euro brutto. Für viele Dinge reicht das Geld dann einfach nicht aus, beispielsweise um die Mieten in einer Großstadt zu bezahlen oder um Kinder großzuziehen. Die zu erwartende Erhöhung des Mindestlohns im Januar 2020 auf 9,35 Euro pro Stunde ist in solchen Fällen nur ein Tropfen auf den heißen Stein: mit ihm würde der Lohn, den man im Monat erhält, auf rund 1.621 Euro brutto ansteigen. Das sind nicht einmal 30€ mehr. In Deutschland erhalten daher hunderttausende Menschen aufstockende Sozialleistungen.

    Was ist passiert seit der Einführung des Mindestlohns?

    Das “Deutsche Institut für Wirtschaft” (DIW) ermittelte, dass seit der Einführung des Mindestlohns das Einkommen der ärmsten 10 Prozent der Gesellschaft um 15% gestiegen ist. Dennoch  mussten zeitgleich fast genauso viele Menschen wie zuvor aufstockende Sozialleistungen in Anspruch nehmen, und auch die Zahl derjenigen, die offiziell als armutsgefährdet gelten, sank kaum.

    Das liegt zum Teil daran, dass der Mindestlohn nicht angepasst ist an die Lebensrealität der Menschen und nicht annähernd so schnell steigt wie die Miet- oder Lebensmittelpreise. Und zum anderen daran, dass er auch heute noch regelmäßig untergraben wird: In Deutschland gab es 2017 rund 1,4 Millionen Jobs, in denen man maximal den Mindestlohn verdient hat.

    Auf Basis des SOEP (sozio-ökonomischen Panels) ermittelte das DIW jedoch für das selbe Jahr, dass es rund 2,4 Millionen Menschen gab, die Anspruch auf Mindestlohn gehabt hätten, diesen aber nicht erhalten haben. Diese Zahl steigt auf 3,4 Millionen, wenn man diejenigen dazu zählt, die auf dem Papier zwar Mindestlohn bekommen, denen ihre Überstunden aber nicht bezahlt werden. Und sie steigt noch weiter, wenn man die Menschen berücksichtigt, die im Nebenjob keinen Mindestlohn erhalten – und zwar insgesamt auf 3,9 Millionen. Damit ist die Statistik des DIW bereits weit aussagekräftiger als die amtliche Statistik, die von nur 1,8 Millionen ArbeiterInnen berichtet, denen der Mindestlohn verweigert werde. Dennoch sollte man auch bei der DIW-Statistik skeptisch bleiben, da es auch ihr schwer fallen dürfte, etwa Schwarzarbeit ausreichend zu beleuchten.

    Wem wird der Mindestlohn verweigert?

    In den Bereichen der Nebenjobs, geringfügigen Beschäftigung und Minijobs wird der Mindestlohn besonders häufig ausgesetzt. In Jobs aus diesen Sektoren arbeiten heute vor allem Frauen. Mit 70% machen sie den weit größeren Anteil der ArbeiterInnen im Niedriglohnsektor aus. Heute erreichen 823.000 Frauen die Lohnuntergrenze – im Verhältnis zu 548.000 Männern. Das erklärt auch, warum Frauen deutlich häufiger von Altersarmut bedroht sind. Denn selbst mit einem Mindestlohn von 1.600 Euro im Monat lässt sich eine ausreichende Grundsicherung nicht finanzieren. Daten der Bundesregierung zeigen: dafür müsste der Lohn sogar auf mindestens 12,80€ steigen. Wird dieser Lohn noch untergraben, ist Altersarmut nicht mehr zu vermeiden.

    Wie reagieren die ChefInnen?

    In den letzten Jahren hat sich ganz deutlich gezeigt, wie die ArbeitgeberInnen auf die Erhöhung des Mindestlohns reagieren: Immer mehr Vollzeitstellen werden abgeschafft, um durch eine geringere Arbeitszeit pro Person den Mindestlohn zu umgehen. Der Anteil der Jobs, für den die Lohnuntergrenze überhaupt gilt, sinkt also. Zusätzlich häufen sich die Verstöße gegen das Gesetz, besonders im Bereich der Nebentätigkeiten.

    Nun sollen ausgerechnet die Menschen, die eine Ausführung des Mindestlohns umgehen, mit darüber abstimmen, ob sie ihn erhöhen wollen oder nicht. Denn im kommenden Jahr wird die Mindestlohnkommission erneut um einen höheren Lohn verhandeln. Das ist auch der Zeitpunkt, für den die Befürworter eine Erhöhung auf 12 Euro vorsehen oder zumindest eine schrittweise Entwicklung dorthin. Doch die Mindestlohnkommission setzt sich zusammen aus verschiedenen ÖkonomInnen, GewerkschaftsvertreterInnen und den sogenannten ArbeitgeberInnen – ergo aus den Menschen, die seit Jahren eine Erhöhung auf einen lebenswerten Mindestlohn boykottieren. Einfache ArbeiterInnen dürfen in diesen Verhandlungen nicht mitreden.

    Warum reicht das alles nicht aus?

    Eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro wird im kommenden Jahr sicher nicht beschlossen werden, und wenn doch, dann nur in sehr kleinen Schritten über viele Jahre hinweg. Von einer schrittweisen Erhöhung könnte man so gesehen aber auch jetzt schon sprechen – schließlich wird der Mindestlohn ja regelmäßig neu verhandelt. Doch das reicht nicht aus! Denn der Mindestlohn wird in solchen Abständen verhandelt, dass er immer gerade einmal den Forderungen gerecht zu werden scheint, die vor einigen Jahren aktuell waren.

    Selbst die 12 Euro-Forderung reicht bewiesenermaßen nicht aus, um die eigene Rente zu finanzieren. Damit hängt sie bereits vor ihrer Verhandlung schon um Jahre zurück – denn die Erhöhung, die zum Januar stattfindet, beträgt gerade einmal 26 ct.

    Wenn sich der Mindestlohn in diesem Tempo weiter erhöht, dann haben wir in den nächsten Jahren keine guten Aussichten. Außerdem bringt eine Erhöhung des Mindestlohns nur dann etwas, wenn er auch tatsächlich bezahlt wird und in einem Maß ansteigt, dass er die realen Kosten wiederspiegelt, mit denen Arbeiterinnen zu kämpfen haben. Wir dürfen uns also nicht darauf verlassen, dass die notwendigen Erhöhungen von einer wie auch immer zusammengesetzten Kommission ohne die Betroffenen beschlossen werden, sondern müssen selbst aktiv dafür kämpfen.

    • Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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