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Dienstag, März 19, 2024
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    “Man kann die Weltrettung nicht kaufen” – Proteste gegen Siemens-Aktionärsversammlung angekündigt

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    Tausende Tonnen CO2, Millionen verbrannte Tiere, dutzende verstorbene Menschen – das ist die bisherige Bilanz der Waldbrände in Australien. Angeheizt wurden sie durch den Klimawandel. Trotzdem will sich der deutsche Großkonzern Siemens am Bau einer der weltgrößten Kohleminen beteiligen – ausgerechnet in Australien. KlimaktivistInnen planen kreativen Protest: Am 5.2. wollen sie die Eingänge zur Siemens-Aktionärsversammlung in München verstopfen. – Ein Interview mit Anna vom “Antikapitalistischen Klimatreffen München”.

    In eurem Mobilisierungs-Video macht ihr ein Angebot: Weltrettung für 0,00 Euro. Wie soll das gehen?

    Wie soll es anders gehen? Man kann die Weltrettung nicht kaufen. Obwohl uns das ja täglich suggeriert wird: Wenn wir nur ein bisschen grüner kaufen würden, ein Elektroauto fahren, auf Nachhaltigkeits-Siegel schauen und Bio-Fleisch essen, dann, ja dann wäre die Welt eigentlich schon gerettet. Dabei ist das eine Lüge.

    Elektroautos fahren mit Kohlestrom, Nachhaltigkeits-Siegel wie das FCS zertifizieren illegal abgeholzten Regenwald, und auch Bio-Kühe werden in Massentierhaltung gehalten. So lange auf Profit produziert wird, wird sich das nicht ändern. Wobei wir mit dem „Sonderangebot“ aus unserem Video eigentlich auf etwas anderes anspielen…

    Nämlich?

    Nämlich auf “Olympia 12062020”. Das ist ein Projekt eines Berliner Start-Ups. Die haben gemerkt, wie gut sich „Weltrettung“ als Slogan gerade verkauft und haben deshalb in einer fetten Spendenkampagne genug Geld gesammelt, um das Berliner Olympiastadion zu mieten. Dort wollen sie im Sommer mit 90.000 Menschen gleichzeitig Petitionen unterzeichnen; sie nennen das eine „Bürgerversammlung“.

    Unser Video ist eine Parodie auf das Kampagnenvideo zu dem Olympia-Event. In dem tritt nämlich auch Luisa Neubauer auf, das deutsche Gesicht von Fridays For Future, und zwar unter anderem mit dem Satz „Weltrettung war noch nie so billig.“ Mit unserem Video wollen wir sagen: Wenn wir den Klimawandel aufhalten wollen, dann hilft eine „Bürgerversammlung“ zum Petitions-Unterzeichnen nicht viel. Da müssten wir schon die Aktionärsversammlungen der großen Konzerne zur „Bürgerinnenversammlung“ machen. Denn: selbst wenn der Bundestag vollkommen unabhängig von der Wirtschaft wäre und jede Petition zu Klima- und Umweltschutz sofort zum Gesetz machen würde – die wichtigsten Entscheidungen in Fragen des Klimas treffen ja die Konzerne.

    In eurem Video geht ihr spezifisch auf Siemens ein. Was genau kritisiert ihr an der Zusammenarbeit von Siemens mit dem multinationalen Adani-Konzern beim Bau einer Kohlemine?

    Die Kohlemine, die Adani in Australien bauen will, wäre eine der größten Kohleminen der Welt. 2030 wäre sie für fast ein ganzes Prozent der weltweiten CO2-Belastung verantwortlich. Das ist mehr, als der gesamte private Straßen- und Flugverkehr Deutschlands jährlich an CO2 produziert. Wollten die Deutschen also mit privatem Konsum die zusätzliche CO2-Belastung durch Adani ausgleichen, dann dürfte kein Mensch mehr einen Meter mit dem Auto fahren, geschweige denn ein Flugzeug nutzen. Das setzt die Wirksamkeit von Konsumkritik vielleicht ein bisschen ins Verhältnis…

    Anfang Februar werden bei der Aktionärsversammlung Siemens-Aktionäre über die nächsten Schritte des Konzerns entscheiden. Ist das nicht ihr gutes Recht, Klimawandel hin oder her?

    Sicher ist das ihr Recht. Ihr Eigentumsrecht. Es sollte aber nicht ihr Recht sein, deswegen wollen wir ihr Eigentumsrecht an Siemens abschaffen. Entscheidungen, die uns alle betreffen, müssen auch von uns allen getroffen werden.

    Und was ist mit den Siemens-Beschäftigten? Von denen sind doch auch viele Aktionäre in ihrem Konzern

    Das ändert aber nichts daran, dass die Beschäftigten bei Siemens aktuell in solchen Fragen keinerlei Mitbestimmungsrechte haben. Über 80 Prozent der Siemens-Aktien gehören institutionellen Anlegern wie Banken, Fondsgesellschaften und Versicherungen. Weitere sechs Prozent sind in der Hand der Siemens-Familie. Das heißt: Auch wenn die Beschäftigten von Siemens zu großen Teilen ein paar Aktien ihres Konzerns haben, haben sie auf der Aktionärsversammlung trotzdem nichts zu sagen.

    Wir haben in den letzten Wochen vor Siemens-Betrieben Flyer verteilt, in denen wir die Beschäftigten direkt angesprochen haben. Dabei haben wir viele Gespräche geführt und auch im Nachhinein einige Mails von Beschäftigten bekommen. Die Rückmeldungen waren eigentlich durchweg positiv. Was wir fordern, ist ja schließlich auch gerade mehr Entscheidungsgewalt für die Siemens-Beschäftigten – nicht weniger.

    Wie findet ihr sollten Entscheidungen wie über den Bau einer Kohlemine in unserer Gesellschaft getroffen werden?

    Allgemein finden wir, dass die Frage, welche Projekte ein Konzern unterstützt und wie er produziert, von denjenigen entschieden werden sollte, die auch in dem Konzern arbeiten: den Beschäftigten. Denn die kennen sich am Besten aus und können die sinnvollsten Entscheidungen treffen.

    Was überhaupt produziert wird und was nicht – und alle grundsätzlichen Fragen der Wirtschaft – sollte dagegen von der Gesellschaft entschieden werden. Die Frage, ob die hiesigen Konzerne überhaupt in irgendeiner Art beim Bau von Kohleminen und Kohlekraftwerken beteiligt sein können, ist eine gesellschaftliche. Sie sollte von uns allen entschieden werden.

    Wie kommen wir dahin?

    Knapp gesagt: Indem wir das private Eigentum an den Konzernen abschaffen und die Wirtschaft (und Politik) demokratisieren. Das ist natürlich nicht so einfach. Unpraktischerweise sind nämlich ja gerade die, denen die Konzerne gehören, diejenigen, die auch die meiste Macht haben.

    Aber letzten Endes ist das durchaus möglich. Weil sie ihre Macht ja von uns haben. Die Siemens-Großaktionäre hätten ohne die Arbeit der Siemens-Beschäftigten zum Beispiel gar nix. Und immer mehr Menschen wird klar, dass das Wirtschaftssystem, das wir gerade haben, so nicht funktioniert. Was wir jetzt brauchen, ist eine einheitliche und starke Bewegung, die diese Erkenntnis auch auf der Straße sichtbar macht. Und die Vergangenheit hat gezeigt: Wenn die Menschen vereint und geschlossen für etwas eintreten, dann kann das mit den Veränderungen oft sehr schnell gehen…

    Regelmäßige Freitags-Demos von „Fridays for Future” finden kaum noch statt, hat sich die Bewegung gegen den Klimawandel abgenutzt?

    Sicherlich nicht. Natürlich sind Viele, die bei Fridays For Future aktiv sind, inzwischen ein bisschen frustriert: Seit über einem Jahr gehen sie jede Woche auf die Straße – und als Reaktion verabschiedet die Bundesregierung einen Kohleausstieg, der keiner ist, Klimapakete, die ihren Namen nicht verdienen und Abstandsregelungen, die die Windkraft abwürgen.

    Aber das bedeutet nicht, dass die Bewegung gegen den Klimawandel weniger wird – die Klimakatastrophe wird ja in jedem Jahr spürbarer. Es bedeutet nur, dass die Klimabewegung ihre Herangehensweise ändern muss. Statt die Politik und Wirtschaft um Veränderungen zu bitten, müssen wir faktischen Druck aufbauen. Ökonomischen Druck, indem wir die Zusammenarbeit mit der Arbeiterinnenbewegung vertiefen. Politschen Druck, indem wir klarmachen, dass wir uns nicht mehr verarschen lassen. Und vor allem: Faktische Stärke, indem wir eigene Infrastruktur und Strukturen aufbauen.

    Am 5.2. wollt ihr einfach stehen bleiben, wenn ihr nicht in die Aktionärsversammlung eingelassen werdet. Was erwartet ihr für Reaktionen von der Gegenseite und wie wollt ihr damit umgehen?

    Das kommt darauf an, wen man als Gegenseite versteht. Auf der Aktionärsversammlung werden sicher auch viele Beschäftigte von Siemens sein, die mit Betriebsaktien zu der Versammlung kommen. Die wollen wir ansprechen, mit ihnen diskutieren und sie bitten, sich uns anzuschließen. Wenn man als „Gegenseite“ dagegen Joe Kaeser und die Großaktionäre versteht, dann vermuten wir, dass sie uns einfach ignorieren werden und darauf setzen, dass die Securitys oder die Polizei uns vom Eingang entfernen. Wir für unsern Teil werden auf jeden Fall so lange wir können am Eingang stehen bleiben und Einlass in die Versammlung verlangen.

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