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Freitag, April 26, 2024
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    Thüringen: Faschistische Machtergreifung oder taktisches Manöver?

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    Die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum thüringischen Ministerpräsident hat die politische Landschaft in Deutschland schockiert. Aus allen Parteien – außer der AfD – sind entrüstete Stimmen zu hören. Panisches Gerede über eine faschistische Machtergreifung sind natürlich Blödsinn, gleichzeitig aber handelt es sich doch um mehr als ein spontanes Manöver. – Ein Kommentar von Paul Gerber

    Schon am Tag der Wahl gab es massive Rücktrittsforderungen von tausenden DemonstrantInnen, die in ganz Deutschland spontan auf die Straße gingen, aber auch von bedeutenden PolitikerInnen – selbst aus der FDP. Beifall klatschten vor allem die AfD, die Werteunion der CDU und ein Teil der FDP.

    Wer profitiert von dem Manöver?

    Diejenigen, die jetzt am lautesten klatschen, sind vermutlich auch ziemlich genau die politischen Kräfte, die sich erhoffen können, von diesem Manöver zu profitieren. Die Werteunion, allen voran Ex-Verfassungsschutzpräsident Maaßen, verfolgen schon seit längerem das Ziel, die AfD salon- und vor allem koalitionsfähig zu machen.

    Die FDP hat die Chance, sich im krassen Kontrast zu ihrem Wahlergebnis von etwa 5% einen Ministerpräsidentenposten auf Landesebene zu sichern – wohlgemerkt erst das zweite Mal in ihrer Geschichte. Ob es aber dazu kommt oder Kemmerich bald die Segel streichen muss, bleibt abzuwarten. Jede Kemmerich-Regierung wäre aber von der AfD abhängig.

    Am offensichtlichsten hat die AfD von diesem Manöver profitiert. Sie haben Rot-Rot-Grün verhindert und gleichzeitig eine Situation geschaffen, in der die Widersprüche in den anderen parlamentarischen Parteien überdeutlich werden. Kemmerich, aus Sicht der AfD wohl nur ein nützlicher Idiot, verkörpert den Machthunger, den wohl alle bürgerlichen PolitikerInnen haben, besonders eindrucksvoll.

    Die ganze Sache macht deutlich, wie sehr im bürgerlichen Parlament Theater gespielt wird und nicht das heraus kommt, was die WählerInnen wollen. Dass das immer mal wieder deutlich wird, ist erstmal gut – zu einer eigenständigen ArbeiterInnenbewegung, die ihre Interessen durchsetzt, kann es anders nicht kommen. Die AfD allerdings freut sich auch, wenn alle anderen Parteien sich blamieren und zerstreiten, wenn sie endlich wirklich Einfluss auf die Staatsgeschäfte nehmen kann. Neuwahlen aber muss sie auch nicht wirklich fürchten.

    War die Wahl von Kemmerich vorbereitet?

    Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass die Wahl von Kemmerich in AfD, FDP und CDU jeweils vorher diskutiert wurde. Zwar zeigen sich Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel empört und fordern ihrerseits Neuwahlen. Indirekt belegt Kramp-Karrenbauer aber, dass die geplante Wahl von Kemmerich eben keine Überraschung war, sondern vorher diskutiert wurde, denn die Fraktion habe „ausdrücklich gegen die Empfehlungen, Forderungen und Bitten der Bundespartei“ gehandelt. Nach Aussagen der CDU-Parteivorsitzenden habe der Bundesvorstand der CDU genau dieses Kalkül vorhergesagt.

    Zahlreiche anwesende ParlamentarierInnen aus dem rot-rot-grünen Lager zeigten sich später empört, und sagten, es habe offenbar ein abgesprochenes Verhalten im Parlament gegeben.

    Wolfgang Tiefensee von der SPD hatte schon am Morgen des 5. Februar auf Twitter vermutet, dass Kemmerich sich mithilfe der AfD wählen lassen wolle. Höchst unglaubwürdig, dass dann FDP und CDU nichts davon gewusst haben wollen, dass Kemmerich tatsächlich mit den Stimmen der AfD gewählt werden würde.

    Die Tatsache jedoch, dass aus dem Lager der AfD, FDP und CDU auch zwei Stimmen an Ramelow gingen und eine Stimme sich enthielt, weist darauf hin, dass es zumindest reale Meinungsverschiedenheiten in der FDP und CDU zu dieser Frage gibt und die empörten Äußerungen von CDU- und FDP-PolitikerInnen aus anderen Bundesländern nicht nur reines Theater sind.

    Kommt das Bündnis zwischen AfD, FDP, CDU überraschend?

    Allem scheinbaren Erstaunen zum Trotz: Wirklich überraschend ist die ganze Angelegenheit nicht. Es ist ja kein Zufall, dass ein guter Teil der Gründungsriege der AfD aus FDP und CDU kommt.

    Es ist kein Zufall, dass Gerhart Baum, selbst ein alter FDPler und ehemaliger Bundesinnenminister, Kemmerichs Wahlkampf als „nah dran an der AfD“ charakterisiert.
    Zwischen den bürgerlichen Parteien sind eben – so oft sie das auch behaupten -, keine chinesischen Mauern und auch keine „Brandmauern“ (Zitat Kemmerich).

    Es war nur eine Frage der Zeit, dass es zu so einer Situation wie in Thüringen kommt. Wir sollten uns nicht täuschen, sie ist auch nur der erste Schritt. Ein Manöver, mit dem sich vor allem die AfD massiv profilieren und Unruhe in alle anderen Parteien tragen konnte. Zugleich dient die Aktion als Testballon, ob es möglich wäre, (vorerst in Ausnahmefällen) eben doch mit der AfD zusammen zu arbeiten. Jeder Prozess mit dem Ziel, die AfD zu normalisieren, muss mit Tabubrüchen und Skandalen beginnen. Interessant für alle bürgerlichen StrategInnen, die eine nationalkonservative Regierung anstreben, ist ja, wie das Echo in der Bevölkerung auf solche Aktionen ausfällt.

    Ist die Regierung von Thüringen jetzt faschistisch?

    Nein, das ist sie nicht. Es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen dem Faschismus an der Macht und einer faschistischen Partei, die – in welcher Form auch immer – an der Macht beteiligt ist.

    Faschismus bedeutet den Umbau des Staatsapparats, Ausschaltung möglichst aller demokratischen Rechte, Beseitigung der Widersprüche im Staat und Zentralisierung der Macht. Das ist nicht das, was wir gerade in Thüringen erleben, und es ist auch nicht vorstellbar, dass das in einem einzigen Bundesland isoliert geschieht.

    Es gilt also, nicht in Panik zu verfallen. Ein echtes Problem sind der Aufstieg der AfD und der Flirt anderer parlamentarischer Parteien mit ihr natürlich dennoch.

    Nur, was können wir dagegen machen? Die bürgerlichen Parteien werden wir wohl kaum davon überzeugen können, ihren Umgang mit der AfD grundlegend zu verändern. Was sich auch darin äußert, dass sie von der Wahl Kemmerichs durch die AfD als einem “Dammbruch“ sprechen, gerade so, als sei das eine unvermeidbare Katastrophe, auf die man aber keinen Einfluss habe.

    Der Kampf gegen den Faschismus muss von uns auf der Straße und in den Köpfen unserer Mitmenschen geführt werden. Die Frage, wie schnell der Staatsapparat umgebaut werden könnte, welche Rechte uns genommen würden, wird nur scheinbar im Parlament entschieden. Tatsächlich gelingt das nur, wenn es keinen oder nur schwachen Widerstand gibt.

    Die dauerhafte Etablierung der AfD im bürgerlichen Politikbetrieb werden wir wohl nicht so schnell aufhalten können, den Faschismus aber schon!

    • Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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