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Samstag, April 20, 2024
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    Wie Armut ins Gefängnis führt

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    In Deutschland gibt es die sogenannten „Ersatzfreiheitsstrafen“. Dabei müssen Menschen, die ihre Geldstrafen nicht bezahlen können, teilweise ins Gefängnis. Das kann auch dann passieren, wenn es sich nur um Bagatelldelikte wie Schwarzfahren handelt. Eine nun gestartete Petition will genau das ändern.

    Dass Armut zu Haftstrafen führen kann, ist nicht unbekannt. Schließlich werden Straftaten wie Diebstahl, aber auch wiederholtes Schwarzfahren häufig nicht aus Spaß begangen, sondern weil die Ausübenden sich nichts anderes leisten können. Für die kleineren Delikte wird dann in der Regel erst ein Mal eine Geldstrafe verhängt. Fehlt der verurteilten Person jedoch das Geld, sie zu bezahlen kann, dies zu einer Ersatzfreiheitsstrafe führen. Das bedeutet, dass Menschen mit geringen finanziellen Mitteln grundsätzlich härter bestraft werden als reichere Menschen.

    Um das Ganze ein wenig plastischer zu machen: In Berlin basierte im letzten Jahr die Hälfte aller Ersatzfreiheitsstrafen auf dem „Erschleichen von Leistungen“. Dazu zählt unter anderem das Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel ohne Fahrschein. Die Zahl der Menschen, die auf solche Mittel zurück greifen müssen, um sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, wird durch die Wirtschaftskrise vermutlich weiter stark ansteigen. Um so mehr gilt es zu verhindern, dass all diese Menschen nur auf Grund ihrer Armut ins Gefängnis müssen. Auch der ehemalige Gefängnisdirektor Thomas Galli sieht diese Art der Strafen kritisch. Ersatzfreiheitsstrafen, die geschätzt etwa 40 Prozent der jährlichen Neuinhaftierungen ausmachen, beträfen fast ausschließlich Menschen in einer sozial prekären Lage.

    In den letzten Wochen wurde das Absitzen von Ersatzfreiheitsstrafe bundesweit wegen des Coronavirus’ vorerst ausgesetzt. Regional wird dieser Beschluss jedoch unterschiedlich umgesetzt. In einigen Bundesländern werden Neuzugänge mit Ersatzfreiheitsstrafen oder Haftstrafen unter sechs Monaten nicht mehr aufgenommen. In anderen werden Gefangene mit Ersatzfreiheitsstrafen aus der Haft entlassen – das alles unter der Bedingung, dass die Strafen später abgesessen werden.

    Für viele Betroffene ist dieser Aufschub keine Erleichterung, sondern eher eine zusätzliche Belastung. „Ich wollte die vier Monate im Gefängnis schnell hinter mich bringen und dann im Herbst einen neuen Job anfangen“, beschreibt ein junger Mann seine Lage gegenüber der Zeitung Neues Deutschland. Er wurde im Berliner Nahverkehr mehrmals beim Schwarzfahren erwischt.

    Dem Transgenderratgeberkollektiv reicht die vorläufige Aussetzung der Haftstrafen nicht aus. Es geht noch einen Schritt weiter und fordert in einer Petition eine komplette Amnesie. Das wäre eine Erlassung aller in der letzten Zeit ausgesprochenen oder gerade gültigen Ersatzfreiheitsstrafen. Zusätzlich dazu möchten sie eine gänzliche Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen erreichen.

    Das Kollektiv wurde vor fünf Jahren gegründet um die Situation von Trans-Personen im Gefängnis zu verbessern. „Trans* Personen werden oft gegen ihren Willen in den Frauen- oder Männerknast gesteckt. Uns wurde häufig von Diskriminierungen und Gewalterfahrungen berichtet. Sie haben wenig Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen, Beratung und Vernetzung mit anderen Transpersonen. Psychologische Unterstützung gibt es im Gefängnis kaum“, berichtet Franca Hall vom Transgenderratgeberkollektiv.

    In der Petition verweist das Kollektiv darauf, dass die „unsichere Perspektive der späteren Weiterführung bzw. des späteren Antretens der Haftstrafe“ unzumutbar sei. Denn sie erschwere Menschen den Einstieg in ein neues Leben dadurch, dass man zum Beispiel nicht mehr die Möglichkeit hat, sich rechtzeitig auf einen neuen Job oder um eine Wohnung zu bewerben. Sie fügen außerdem hinzu, dass ein Aussetzen der Haftstrafen nur zu einem Rückstau führen werde, der wiederum langfristig eine Überfüllung der Gefängnisse bedeute und das Problem nicht behebe, sondern eher verschärfe.

    Mit seiner Forderung steht das Kollektiv nicht allein. Bereits im Sommer 2018 brachte die Linksfraktion im Bundestag einen Antrag auf ersatzlose Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe ein. Dabei merkte der Abgeordnete Niema Movassat an, dass diese Strafen in Italien bereits als verfassungswidrig gälten. In Schweden wurden sie faktisch abgeschafft und auch in Dänemark ist es nicht legal, die Strafe gegen zahlungsunfähige Menschen zu verwenden. Der Links-Antrag fand keine Mehrheit.

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