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Mittwoch, April 24, 2024
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    Das Drama von Mallorca

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    „Aber scheiß drauf, Malle ist nur einmal im Jahr”? – Die Angst vor Corona ist das eine, die Existenzängste der ArbeiterInnen das andere, auch auf der bei deutschen UrlauberInnen beliebten spanischen Insel Mallorca. – Ein Kommentar von Paul Gerber

    Momentan ist es bei denen, die in Deutschland geblieben sind, populär, sich über jene zu empören, die es sich trotz Corona nicht haben nehmen lassen, ihre Sorgen und ihren Stress – wie sonst auch – im Alkohol an Mallorcas Stränden zu ertränken. Schon wird prognostiziert, dass durch die unvernünftigen Mallorca-UrlauberInnen eine zweite Welle nach Deutschland getragen wird, das bisher doch scheinbar so glimpflich davon gekommen ist.

    Sicherlich kann das passieren, nur sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass die deutsche Bundesregierung diese Situation sehenden Auges herbeigeführt hat: sie war es doch, die Sonderregelungen für die liebsten Urlaubsziele der Deutschen ausgehandelt hat. Was waren ihre Motive?

    Ein Motiv mag sein, nach der für viele – gerade für die ärmsten Menschen – massiv belastenden Zeit der Corona-Einschränkungen gute Stimmung zu verbreiten. Ein letzter „normaler“ Sommerurlaub, bevor die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg so richtig zuschlägt und die Lebensrealität vieler Menschen in diesem Land für immer verändern wird. Wer weiß, wie viele Menschen sich in zwei Jahren noch einen Flug nach Mallorca leisten können, geschweige denn zu ausgefalleneren Urlaubszielen?

    Ein anderer Grund liegt aber sicher auch darin, dass die Balearen (Mallorca, Menorca und Ibiza) als Region des Spanischen Staates schlicht enorm abhängig vom Tourismus sind. Es gibt keine einzige Region in Deutschland, deren Ökonomie derart einseitig entwickelt wäre. Der Deal mit der spanischer Regierung ist somit auch abgeschlossen worden, um noch schärfere soziale Verwerfungen in Spanien und somit auch eine Destabilisierung der EU zu verhindern.

    Das verkappte Großmachtstreben mancher Deutscher findet seinen Ausdruck auch in der – natürlich nur „witzig“ gemeinten – Behauptung, Mallorca sei das 17. Bundesland Deutschlands. Wenn wir uns die bittere Lebensrealitäte der MallorquinerInnen ansehen, ist leider mehr als nur ein wahrer Kern daran.

    Sie fühlen sich tatsächlich zu Servicekräften der Deutschen, EngländerInnen und sonstiger TouristInnen aus den imperialistischen Großmächten degradiert. Für viele Menschen auf der Insel ist es üblich, in einer Jahreshälfte enorm hart zu arbeiten und dann in der anderen Jahreshälfte vom Ersparten zu leben. Auch ohne Corona müssen sie zahlreiche Erniedrigungen und Nachteile ertragen – so verursachen betrunkene TouristInnen beispielsweise jährlich zahlreiche Verkehrstote auf der Insel.

    Die Entwicklungen auf Mallorca sind für die dort lebenden Menschen eine doppelte Katastrophe: Zum einen ist ihr Land deutlich härter von Corona getroffen worden als beispielsweise Deutschland, und den meisten Menschen ist bewusst, dass eine unkontrollierte Verbreitung des Virus eine reale Bedrohung für ihr Leben bzw. das ihrer Angehörigen ist.

    Aber auch die nun von der mallorquinischen Regierung getroffenen Verbotsmaßnahmen, die Zwangsstillegung der Schinken- und Bierstraße, die Einschränkungen in Magaluf treffen Beschäftigte und Unternehmen hart. So wird in der spanischsprachigen Lokalpresse einer der größeren Unternehmer zitiert: Wir haben einen enorm harten Winter hinter uns, jetzt hatten wir gerade einmal zehn Tage geöffnet. Einige meiner Beschäftigten sind in Tränen ausgebrochen!“

    Wie auch in Deutschland üblich, werden die ArbeiterInnen im Tourismus-Sektor diejenigen sein, die am härtesten von der Krise und auch von diesem erneuten Lockdown getroffen würden. Die Tragödien, die sich momentan auf Mallorca abspielen, basieren auf einem kranken System von Tourismus, das charakteristisch für das kapitalistische System ist. Einzelne Regionen werden einseitig in Urlaubsziele verwandelt, perfekt angepasst auf das in diesem System kultivierte Konsumverhalten. Bricht der Tourismus zusammen, bricht auch die Ökonomie dieser Regionen zusammen.

    Es ist daher absehbar, dass dieser Sommer nicht der letzte enorm harte Sommer für die ArbeiterInnen von Mallorca wird. Wer hinfährt, sollte sich das bewusst machen. Wer in Deutschland lebt, sollte die Existenzängste der Menschen auf Mallorca als warnendes Beispiel verstehen dafür, wie es in einigen Jahren auch deutschen Regionen ergehen könnte, für die Staat und UnternehmerInnen keine andere Perspektive zu bieten haben, als ihre Attraktivität für den Tourismus zu steigern.

    • Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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