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Sonntag, April 28, 2024
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    Weil sie türkisch gesprochen hat: Grundschülerin muss Strafarbeit schreiben

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    Eine Neunjährige hat Anfang Juli mit einer Mitschülerin türkisch auf dem Schulhof gesprochen. Weil das an ihrer Grundschule im baden-württembergischen Blumberg verboten ist, musste sie eine Strafarbeit schreiben. Der Fall rief öffentliche Empörung hervor und beschäftigt nun die Schulaufsicht.

    Der Titel der Arbeit, die die Schülerin von ihrer Lehrerin aufgebrummt bekommen hatte, lautete: „Warum wir in der Schule Deutsch sprechen!“. Auf einer halben Seite sollte sich das Kind über dieses Thema Gedanken machen.

    Der Grund: Am 8. Juli hatte sie sich auf einem Klettergerüst auf dem Schulhof wohl wiederholt mit einer Mitschülerin auf türkisch unterhalten. Vorher hatte es dort Streitigkeiten unter den SchülerInnen gegeben. Daraufhin hatten sich einige von ihnen bei besagter Lehrerin beschwert, da eine Deutschpflicht angeblich zu den Schulregeln zählt.

    Die Schulaufsichtsbehörde beim Regierungspräsidium Freiburg meint dazu, dass diese Regelung notwendig sei, um den Bildungs- und Erziehungsauftrag umsetzen zu können. Dies liege an der internationalen SchülerInnenschaft. 43 Prozent von ihnen haben demnach einen Migrationshintergrund. Angeblich werde diese Regel wie alle anderen auch mit den SchülerInnen diskutiert und den Eltern vorgestellt und erklärt.

    Dem Spiegel liegen jedoch anonymisierte Chatprotokolle zwischen der Mutter des Mädchens und ihrer Lehrerin, Briefwechsel zwischen dem Anwalt der Familie und den Schulbehörden sowie ein Regelwerk der Schülerin vor, die diese Behauptung ins Wanken bringen. So bat die Mutter die Lehrerin wiederholt, ihr die Regel zuzuschicken, da ihre Tochter das Verbot nicht nachvollziehen könne.

    In einem Heft von ihr findet sich auch ein Blatt, auf dem in vorgefertigten Zeilen ein Regelwerk steht. Dort finden sich zwar Sätze wie „Wir rennen nicht.“ oder „Ich komme pünktlich.“, nicht aber „Wir sprechen deutsch.“.

    Dieses Blatt liegt auch Anwalt Yalcin Tekinoglu vor, der am 29. Juli eine entsprechende Anfrage an das Regierungspräsidium stellte. Der Spiegel erhielt auf eine ähnliche Anfrage ein anderes Blatt ohne vorgefertigte Linien. Dort ist die Deutschpflicht in Kinderschrift zu finden.

    Der Schule wird unterdessen diskriminierendes Verhalten vorgeworfen. So fragt Tekinoglu in seinem Schreiben an das Regierungspräsidium etwa, ob Englisch sprechenden SchülerInnen das Gleiche passieren würde. Er befürchtet, die Regel ziele nur auf „migrantische“ Sprachen ohne besonderes Ansehen ab. Dies könne rechte Propagandabilder wie das der „Integrationsverweigerung“ befeuern.

    Eine Stellungnahme der Schule gibt es zu diesen Vorwürfen noch nicht, das Schulamt weist sie hingegen zurück. Allerdings solle die Kommunikation mit den Eltern intensiviert und verbessert werden.

    Auch die Föderation der Vereine Türkischer Elternbeiräte in Baden kritisierte das Vorgehen: „Es kann nicht sein, dass Schülerinnen eine Bestrafung bekommen, weil sie außerhalb des Unterrichts im Pausenhof sich untereinander in der türkischen Muttersprache unterhalten“, so der Vereinsvorsitzende Kemal Ülker. Die Kinder seien verunsichert worden.

    Andere machen auch auf die Widersprüchlichkeiten im Handeln der Politik aufmerksam. Als die AfD 2017 in Baden-Württemberg gefordert hatte, die deutsche Sprache auf Schulhöfen verpflichtend zu machen, wurde das von der Landesregierung noch als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar zurückgewiesen. Zur Regelung in Blumberg stehe das aber nicht in Widerspruch, wie eine Pressesprecherin des Kultusministeriums verlautbaren ließ.

    Tekinoglu behält sich unterdessen eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Lehrerin sowie eine Klage nach dem Antidiskriminierungsgesetz vor. Einen ähnlichen Fall hat es schon einmal gegeben: ArbeiterInnen darf im Pausenraum nicht verboten werden, eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen.

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