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Donnerstag, April 25, 2024
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    “Ich wollte den Schmerzen der Frauen mit ihren bunten Kleidern Ausdruck verleihen”

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    Tara Abullah will mit ihrer Kunst auf patriarchale Gewalt aufmerksam machen. Dafür hat die junge Künstlerin aus dem Kurdengebiet im Nordirak die Kleidung von Frauen, die von Männern attackiert geworden sind, gesammelt und zusammengenäht. Die Kleidungsstücke wurden an ein Seil angebracht, das entlang einer Hauptstraße in der nordirakischen Solaimaniah aufgehängt wurde. Das so entstandene Ausstellungstück hatte eine Länge von 4.800 Metern. Ein Interview mit Tara Abdulla über ihr Projekt „WEIBLICH“.

    Wie geht es dir? Kannst du dich unseren Leser:innen vorstellen?

    Danke, mir geht es gut. Mein Name ist Tara Abdullah. Ich bin die Produzentin des Projektes „WEIBLICH“. Ich habe Kunst studiert und bin Künstlerin. Ich versuche stets, meine Gedanken, die Fragen, die ich mir stelle, mit meiner Kunst zu verbinden.

    Kannst du uns von deinem Projekt erzählen? Warum heißt es überhaupt „WEIBLICH“? Woher kommt die Idee? Und wie lange hast du an dem Projekt gearbeitet?

    Mein Projekt heißt „WEIBLICH“, weil meiner Meinung nach hinter diesem Wort eine große Frage steht und ich möchte Weiblichkeit in Frage stellen. Anhand des Namens weißt man bereits, worum es geht: Ich wollte zeigen, was es heißt, in dieser Gesellschaft, auf dieser Welt eine Frau zu sein. Ich wollte das Leid und die Schmerzen der Frauen, die ständig Gewalt erleben, weil sie Frauen sind, ins Licht rücken.

    Auf diese Idee zu kommen war für mich nicht schwierig, weil ich selbst eine Frau in der kurdischen Gesellschaft und in einer kurdischen Familie bin. Ich erlebe das Ganze selbst hautnah.

    Ich habe für das Projekt mehr als 3 Monate lang Tag und Nacht gearbeitet. In dieser Zeit musste ich von 6:00 Uhr morgens bis 18:00 Uhr abends in verschiedenen Gebieten Kurdistans von Tür zu Tür wandern, um mit den Frauen zu reden. Auf diese Weise konnte ich ihre Kleidungsstücke bekommen. Das war harte Arbeit, die mich viel körperliche und emotionale Kraft gekostet hat. An dieser Stelle möchte ich mich bei meinen Kolleg:innen der Organisation „Civil Development Organization“ für ihre Unterstützung bedanken. Es ist eine Organisation, die sich für eine soziale Entwicklung im Irak einsetzt.

    Welche Art von Gewalt haben die Frauen erlebt und wie viele Frauen haben teilgenommen?

    An dem Projekt haben mehr als 99.876 Frauen teilgenommen; Frauen, die körperliche, verbale, psychische und sexualisierte häusliche Gewalt erfahren haben. Die Kleidungstücke konnte ich nur aus einigen wenigen Gebieten sammeln. Dennoch konnte ich mehr als 4,800 Einzelstücke verwenden.

    Wenn man das in allen Städten und Dörfern Kurdistans machten würde, würde man ein tausende Kilometer langes Seil aufhängen müssen. Denn fast jede Frau in unser Gesellschaft hat patriarchale Gewalt in verschiedenen Formen erlebt. Hinter jedem einzelnen Kleidungsstück steckt die Geschichte einer Frau, die patriarchale Gewalt erlebt hat oder immer noch erlebt.

    Was war dein Ziel?

    Mein Ziel war es, die Menschen aus ihrem tiefen Schlaf aufzuwecken und zu sagen: Seht, was mit den Frauen in jedem Haus, in jedem Zimmer, auf jeder Straße dieser Gesellschaft passiert. Ich wollte den Schmerzen der Frauen mit ihren bunten Kleidern Ausdruck verleihen. Ich denke, dieses Ziel habe ich erreicht.

    Das kilometerlange Bild weiblicher Kleider hat unsere Gesellschaft immerhin zwei Tage lang in den sozialen Medien, auf dem Basaren, eigentlich überall polarisiert. Es gab tausende von Kommentaren, die beleidigend waren oder gar mit Gewalt drohten. Es gab heftige Diskussionen zwischen Befürworter:innen und Gegner:innen. Patriarchale Gewalt gegen Frauen war noch nie so präsent allen Schichten der kurdischen Gesellschaft.

    Als nachts ein paar Meter des Ausstellungsstücks von Unbekannten verbrannt wurden, war ich sicher, dass ich mein Ziel erreicht hatte. Die frauenfeindliche Haltung saß noch tiefer in den Knochen der Gesellschaft, als man es in der Öffentlichkeit wahrnahm.

    Wenn Menschen sich als Zerstörer von Frauenkleidern entpuppen, heißt das, dass die patriarchale Gesellschaft den Körper der Frau als feindliches Objekt betrachtet und sich für diesen sogar schämt. Die Männer die mein Werk angezündet haben, haben mir damit gesagt: „Wir sind noch gewalttätiger als es du mit deinem Projekt zeigen wolltest.“

    Hast du den oder die Täter angezeigt? Wird die Polizei sich darum kümmern?

    Es gab einen Brandanschlag auf mein Projekt. Es ist noch unklar, wer die Täter waren.

    Nach dem Anschlag auf dein Kunstprojekt hast du offiziell bekannt gegeben, das Projekt beenden zu wollen und die Kleider wieder zu wegzuräumen. Warum? Wurdest du bedroht?

    Ja, einige Teile wurden in der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober von Unbekannten verbrannt. Aber glücklicherweise haben solidarische Menschen schnell reagiert, das Feuer gelöscht und den Rest gerettet. Das hat mir große Freude bereitet. Die Frauenkleider hätten eine große Gefahr für uns und die Stadt Sulaimaniah bedeuten können. Zur Sicherheit der Stadt musste ich die Ausstellung beenden und aufräumen.

    Tara, hat dir das Projekt und die ganze Geschehen Mut gemacht oder hast du jetzt Angst um deine zukünftigen Projekte?

    Ich wurde bedroht, beschimpft und beleidigt. Mein Werk wurde verbrannt. Die wollen mir Angst machen, aber sie haben das genaue Gegenteil erreicht. Die verbalen Angriffe und der Brandanschlag haben mich bestärkt und ermutigt. Ich habe noch mehr Mut und Kraft für bessere Werke in dieser Richtung gewonnen.

    Vielen Dank Tara, dass du uns deine Zeit geschenkt hast und wünschen dir viel Kraft und Erfolg für deine zukünftigen Projekte.

    Ich danke euch auch für euer Interesse und eure Mühen. Ich wünsche euch auch viel Erfolg.

    • Perspektive-Autorin seit 2018 und geflüchtete kurdische Journalistin. Schwerpunkte sind Rassismus, Frauenkämpfe und Internationalismus.

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