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Montag, Oktober 14, 2024
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    Muss die Digitalisierung an Schulen zu gläsernen Schüler:innen führen?

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    Nicht erst seit der Corona-Pandemie dringt der Tech-Konzern Google in deutsche Klassenzimmer vor. Bald könnten sogar die Noten der Schüler:innen auf Googles Servern landen. Was daran ein Problem ist und worin Alternativen bestehen. – Ein Kommentar von Kurt Zimmermann.

    Man stelle sich einmal vor, McDonald´s würde an die Schulen Deutschlands herantreten und anbieten, kostenlos und bequem Essen für die Mensen der SchülerInnen zu liefern. Einfach nur deshalb, um die Kinder und Jugendlichen an McDonald´s Food zu gewöhnen.

    Zusätzlich würden den Kindern Flatrate-Verträge der Kohleindustrie zu günstigen Konditionen vermittelt, damit sie die Stromkosten zuhause ein wenig senken können: Jedes Kind bekäme ein Plakat ins Zimmer: Powered by RWE.

    Außerdem erhielte jedes Kind einen Gratis-Zugang zu Googles neuesten Produkten, damit digitales Lernen einfach und bequem stattfinden kann.

    Wahrscheinlich fühlen sich ersten zwei Szenarien für die meisten Menschen seltsam an, das dritte Szenario hingegen ist bereits Realität an vielen Schulen. Obwohl Google zu den reichsten Unternehmen der Welt gehört und schon oft durch unethisches Verhalten aufgefallen ist (maximale Steuerhinterziehung, Datenmissbrauch, Überwachung), wird der Internet-Gigant mit offenen Armen an den Schulen empfangen. Die Frage ist: Wieso?

    Überwachungskapitalismus mit Google

    Die emeritierte Harvard-Professorin Shoshana Zuboff beschreibt in ihrem Buch über den Überwachungskapitalismus detailliert den Aufstieg und das Geschäftsmodell von Google und anderen Internet-Riesen.

    Natürlich ist Google eine exzellente Suchmaschine. Im Gegensatz zu konkurrierenden Seiten besticht vor allem die Einfachheit der Seite: Der Google-Schriftzug, das Suchfeld, keine Werbung. Google hat früh begriffen, dass es eine neue Ware im Zeitalter des Internets gibt, den so genannten “Verhaltensüberschuss”.

    Verhaltensdaten kann man aus einer Datenmenge abschöpfen, wenn diese Datenmenge genügend Informationen über den jeweiligen Nutzer enthält. Mit jeder Suchanfrage geben wir neue Informationen über uns preis: Was interessiert uns, was beschäftigt uns, was kaufen wir?

    Google verkauft diese analysierten Verhaltensdaten an Firmen, damit wir maßgeschneiderte Werbung erhalten. Natürlich weiß man seit Edward Snowdens Enthüllungen auch, in welchem Maß Geheimdienste Zugriff zu solchen Daten haben. Man sieht immer häufiger zugeklebte Webcams an Laptops und Handys. So weit, so schlecht. Doch wo soll nun das Problem mit Google an den Schulen liegen?

    Noten auf Google-Servern

    Google, Microsoft und Apple drängen in die Schulen, weil das Geschäftsmodell im Wesentlichen aus der Abschöpfung von Daten besteht. Zusätzlich will man SchülerInnen an Google-Produkte binden. Warum sonst sollten all diese Produkte gratis sein? Glaubt wirklich jemand, Google und die anderen Internetriesen wandelten sich zu philanthropischen digitalen Heilsbringern?

    Doch es geht nicht nur um die Daten. Google möchte zum digitalen Zentrum an Schulen werden: Die Verwaltung, Unterricht, Kommunikation – alles soll über Google-Produkte laufen. So wird die Software unersetzbar und der Datenzugewinn ist über Jahrzehnte gesichert. An vielen Schulen ist dies bereits Realität.

    In Zukunft werden wohl auch Noten über die Plattform “G-Suite” verwaltet werden, wenn dies nicht schon bereits an Schulen geschieht. Man stelle sich wieder einmal vor, die Daten von Polizei und Justiz würden auf Google-Servern mit Google-Produkten verarbeitet. Unvorstellbar – doch bei Verhaltens- und Lernerfolgsdaten von Schülerinnen und Schülern in Ordnung?

    Daten für politische Zwecke

    Das eigentliche Problem liegt ja auch nicht in der Datenabschöpfung. Die Krux ist, dass wir gerade eine Revolution im Umgang mit diesen Daten erleben. Man könnte eigentlich denken: Zugeschnittene Werbung, die Preisgabe von Daten, das machen wir doch alle bereits freiwillig in unserem Alltag.

    Doch seitdem Verhaltensdaten dazu benutzt werden, das Denken und Handeln von Menschen aktiv zu manipulieren, ist die Frage der Daten von jungen Menschen von besonderer Brisanz: Kinder und Jugendliche sind eben noch besonders einfach zu manipulieren.

    Seit der Wahl Donald Trumps in das Präsidentenamt mithilfe von Cambridge Analytica ist klar: Verhaltensdaten werden genutzt, um Menschen aktiv politisch zu beeinflussen. Cambridge Analytica nutzte Facebook-Daten, um Persönlichkeitsprofile zu erstellen und damit maßgeschneiderte politische Werbung zu verschicken.

    Die Verhaltensmanipulation im Privaten ist dabei zu großen Teilen schon in den Köpfen der Menschen installiert. Dann warten die Werkzeuge geduldig darauf, benutzt zu werden und machen, für sich allein genommen, nicht abhängig – doch wer sieht die offenkundige Sucht der Kinder und Jugendlichen nach ihren Smartphones nicht?

    Schullaufbahn in der Google-Cloud?

    Nun sollen also noch zusätzlich Datensätze über komplette Schullaufbahnen von SchülerInnen auf Google-Servern landen. Vielleicht ist das Thema zu abstrakt, Daten sind nicht wirklich greifbar. Doch eine Gesellschaft, in der bundesweit alle SchülerInnen mit G-Suite arbeiten, mutet doch sehr dystopisch, gespenstisch an, wenn man die Möglichkeiten der Verhaltensmanipulation bedenkt.

    Abgesehen natürlich von der Dystopie, der unschönen gesellschaftlichen Entwicklung, die schon jetzt anzutreffen ist: Abhängige Smartphone-Zombies in den Pausen, die sich ihre Dopamin-Kicks in den sozialen Netzwerken holen. Die Selbstmordrate bei jungen Mädchen zwischen 10-14 Jahren in den USA ist seit dem Aufkommen sozialer Netzwerke wie Instagram um ca. 150% gestiegen. Müssen wir das in einer Demokratie aushalten?

    Alternativen müssen her

    Es ist nicht die Aufgabe von LehrerInnen, Schulleitungen oder Verwaltungsangestellten, diese Dinge zu durchdringen. LehrerInnen sind Experten für das Lehren und Lernen, nicht für Auswertung und Steuerung durch Verhaltensdaten. Es ist Aufgabe der Länder oder des Bundes, den Schulen eine sichere und gute Alternative anzubieten.

    In NRW ist die bürokratische und organisatorische Hürde für das landeseigene Programm “Logineo” so hoch, dass Schulen abgeschreckt sind. Ähnlich wie beim Digitalpakt scheitert eine gute digitale Wende an der Bürokratie. Warum steht kein Open-Source-Programm zur Verfügung, mit sicheren Servern in Deutschland, einfach herunter zu laden?

    Natürlich werden sich Schulleitungen nach einfacheren Lösungen umsehen und ja, Google ist sehr benutzerfreundlich. Wen kümmert es da, dass sämtliche Google-Server auf europäischem Boden von der US-Regierung prinzipiell als amerikanisches Territorium angesehen werden.

    Der Überwachungskapitalismus kommt auf den leisen Sohlen der Bequemlichkeit, und er hat schon große Teile der Gesellschaft eingenommen. Im Privaten bleibt es jeder/m selbst überlassen, was mit den eigenen Daten passiert. Obwohl hier natürlich auch gilt: Wenn es nichts kostet, sind Sie das Produkt. An Schulen hat die Gesellschaft jedoch die Aufgabe, ja Pflicht, schädlichen, manipulativen und undemokratischen Entwicklungen entgegenzutreten.

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