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Armut in Deutschland steigt auf Höchststand seit der Wiedervereinigung

Laut aktuellem paritätischen Armutsbericht hat die Armutsquote in Deutschland mit 15,9 Prozent einen neuen traurigen Rekord und den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung erreicht. Damit fallen 13,2 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze. Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert deshalb eine sofortige Anhebung der finanziellen Unterstützungsleistungen für arme Menschen sowie armutsfeste Reformen der Sozialversicherungen.

Mit 15,9 Prozent hat die Armutsquote in Deutschland einen historischen Wert erreicht. Es ist die größte gemessene Armut seit der Wiedervereinigung. Über 13 Millionen Menschen sind betroffen. Das geht aus dem aktuellen Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands hervor.

Machte der letzte paritätische Armutsbericht noch Hoffnung auf fallende Zahlen, so zeigt die aktuelle Auswertung wieder einen klaren Aufwärtstrend, beginnend am Tiefstpunkt in 2006 mit 14,0 Prozent bis hin zum aktuellen traurigen Spitzenwert. Es ist ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte bzw. fast 14 Prozent.

Armut – flächendeckend

Auch der in den letzten Jahren erfreuliche Rückgang der Einkommensarmut in Ostdeutschland scheint sich erst einmal nicht fortzusetzen. Sie stieg im vergangenen Jahr von 17,5 auf 17,9 Prozent.

Der Wiederanstieg der Armut in 2019 erfolgte in Deutschland praktisch flächendeckend. 11 der 16 Bundesländer waren betroffen, darunter so bevölkerungsstarke wie Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen.

Den schlechtesten Wert zeigt – weit abgeschlagen – Bremen, wo mittlerweile jede:r Vierte zu den Armen gezählt werden muss, gefolgt von Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Nordrhein-Westfalen mit Quoten zwischen 18,5 und 19,5 Prozent. Am anderen Ende zeigen Bayern und Baden-Württemberg mit 11,9 und 12,3 Prozent die mit Abstand „besten” Werte.

Das problematischste Bundesland bleibt Nordrhein-Westfalen. Nicht nur, dass es deutlich überproportional von Armut betroffen ist und zu den fünf Ländern mit der höchsten Armutsdichte zählt.

Hinzu kommt die Dynamik: Seit Einsetzen des langfristigen Aufwärtstrends in 2006 ist die Armutsquote in Nordrhein-Westfalen zweieinhalbmal so schnell gewachsen wie die gesamtdeutsche Quote. Armutstreiber in Nordrhein-Westfalen ist das Ruhrgebiet mit einer Armutsquote von 21,4 Prozent. Das größte Ballungsgebiet Deutschlands muss damit zweifellos als Problemregion Nummer 1 gelten.

Arbeitslose und alleinerziehende besonders gefährdet

Das höchste Armutsrisiko haben nach wie vor Arbeitslose (57,9 Prozent), Alleinerziehende (42,7 Prozent), kinderreiche Familien (30,9 Prozent), Menschen mit niedriger Qualifikation (41,7 Prozent) und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (35,2 Prozent). Bezeichnend ist, dass die Armutsquote bei all diesen ohnehin seit Jahren besonders armutsbetroffenen Gruppen von 2018 auf 2019 noch einmal zugenommen hat.

Beendet ist allerdings das 2016 und 2017 festzustellende Phänomen, dass die Armut unter Menschen mit deutschem Pass zurückging und ausschließlich unter Ausländer:innen anstieg. 2019 zeigt sich genauso wie bereits 2018 wieder für beide Personenkreise eine Entwicklung in die jeweils selbe traurige Richtung.

Die mit Abstand stärkste Zunahme des Armutsrisikos zeigt im längerfristigen Vergleich die Gruppe der Rentner:innen und Pensionär:innen. Unter ihnen wuchs die Armutsquote seit 2006 um 66 Prozent. Aus einer eher geringen wurde mit 17,1 Prozent eine deutlich überdurchschnittliche Armutsquote.

Was die Sozialstruktur der Armut angeht, ist der ganz überwiegende Teil der Armen erwerbstätig (33,0 Prozent) oder in Rente (29,6 Prozent). Arbeitslose stellen dagegen mit knapp acht Prozent nur eine ausgesprochene Minderheit unter den Armen im erwerbsfähigen Alter.

Paritätischer Wohlfahrtsverband warnt vor drastischer Verschärfung

Der Verband warnt vor einer drastischen Verschärfung der Armut in 2020 angesichts der aktuellen Corona-Pandemie. Besonders betroffen seien geringfügig Beschäftigte sowie junge Menschen, die corona-bedingt schon jetzt von wachsender Arbeitslosigkeit betroffen seien.

„Corona hat jahrelang verharmloste und verdrängte Probleme, von der Wohnraumversorgung einkommensschwacher Haushalte bis hin zur Bildungssegregation armer Kinder, ans Licht gezerrt. Eine zunehmende Zahl von Erwerbslosen stößt auf ein soziales Sicherungssystem, das bereits vor Corona nicht vor Armut schützte und dessen Schwächen nun noch deutlicher zutage treten“, so Ulrich Schneider.

Der Paritätische fordert die Umverteilung vorhandener Finanzmittel zur Beseitigung von Armut. „Deutschland hätte es in der Hand, seine Einkommensarmut abzuschaffen und parallel für eine gute soziale Infrastruktur zu sorgen. Es klingt banal und wird bei vielen nicht gern gehört: Aber gegen Einkommensarmut, Existenzängste und mangelnde Teilhabe hilft Geld“, so Schneider, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

Konkret seien eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze in Hartz IV und der Altersgrundsicherung (nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle auf mindestens 644 Euro), die Einführung einer Kindergrundsicherung sowie Reformen von Arbeitslosen- und Rentenversicherung dringend erforderlich.

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