Die kurdische Geflüchtete Afitap Demir wurde in der Nacht von Montag auf Dienstag in die Türkei abgeschoben. Es ist die Geschichte einer Frau, die dafür bestraft wurde, sich gegen patriarchale Gewalt gewehrt zu haben. – Ein Kommentar von Sakine Çiftçi
Es ist Dienstagmorgen, 7.30 Uhr. Eine kleine Gruppe von Menschen steht verloren am Frankfurter Flughafen. Einer von ihnen hält einen Stapel frisch ausgedruckter Flyer in der Hand. Auf ihnen steht: „Stoppt die Abschiebung von Afitap Demir!“ Doch leider ist es dafür schon zu spät…
Afitap Demir ist in den 1980er Jahren als junge Frau aus der kurdischen Stadt Mardin als politische Geflüchtete nach Deutschland gekommen. Sie heiratet, bekommt zwei Kinder und wird die nächsten Jahrzehnte hier in Deutschland verbringen, sich eine Familie und ein Leben hier aufbauen.
Doch dieses Leben sollte, so wie auch bei so vielen anderen Frauen, stark von patriarchaler (männlicher) Gewalt geprägt sein. Sogar während der Schwangerschaft findet die Gewalt ihres Ehemannes kein Ende, was dazu führt, dass einer ihrer Söhne mit schweren geistigen Behinderungen zur Welt kommt. Nach Jahren der Folter in der Ehe entschließt sich Afitap im Jahr 2008 gemeinsam mit ihren Kindern, all dem endlich ein Ende zu setzen und sich von diesem Mann zu trennen.
Trotz der Scheidung lässt ihr Ex-Partner ihr jedoch keine Ruhe und belästigt sie weiterhin. Daraufhin nahm sie sich eine Waffe und zog damit vor sein Haus, um ihm Angst einzujagen und ihn endlich von sich fernzuhalten. Das Ergebnis: eine Anzeige und zwei Jahre Gefängnis. Nachdem sie die zwei Jahre abgesessen hatte, soll sie vor anderen Menschen darüber gesprochen haben, ihn umbringen zu wollen, um sich und ihre Familie vor weiteren Übergriffen zu schützen. Es folgten weitere fünf Jahre Haft.
Die Mutter zweier Kinder, von denen eines sein gesamtes Leben über extreme Einschränkungen erleben wird, weil er noch im Bauch seiner Mutter Opfer der patriarchalen Gewalt dieses Mann wurde, verbrachte sieben Jahre ihres Lebens hinter Gittern, getrennt von ihren Kindern, wegen der bloßen Androhung von Selbstverteidigung – der bloßen Androhung von Selbstverteidigung nach Jahrzehnten der alltäglichen, grausamen und straflosen Gewalt. Diese Strafe, die Afitap bekommen hat, ist eindeutiger Ausdruck davon, wie patriarchal das Rechtssystem dieses Staates ist. Männer, die jahrelang schlagen und vergewaltigen, bleiben glücklich und wohlauf, während Frauen, die gegen diese Gewaltherrschaft aufstehen und sich verteidigen, dafür bestraft werden.
Nach all‘ diesen Jahren der Haft kommt Afitap 2018 endlich wieder zu ihrer Familie zurück. Doch der Druck des patriarchalen Staates lässt nicht nach. Ihr Ex-Mann, ihre Kinder, alle in der Familie haben inzwischen einen deutschen Pass und ein gesichertes Leben in Deutschland. Nur um sich selbst hatte sie sich in diesen vielen Jahren des Gefängnisses nicht ausreichend gekümmert. Sie hatte keine sicheren Papiere und nach der zweifachen „Straffälligkeit“ beschlossen die Repressionsorgane dieses bürgerlichen Staates, dass diese „Straffälligkeit“ Grund genug sei, sie ihres gesamten Lebens der letzten 30 Jahre zu berauben und sie zurück in die Türkei abzuschieben.
Die Nutzung von Abschiebungen als erweiterte Strafe zeigt ganz offen den rassistischen Charakter dieses bürgerlichen Staates. Während ein deutscher Straftäter nun einmal in den Knast muss und irgendwann wieder raus kommt, schwebt über Menschen ohne deutschen Pass die ständige Gefahr der Abschiebung.
Zweimal standen sie bei Afitap vor der Haustür in den letzten zwei Jahren. Zweimal ließ sie sich nicht unterkriegen und die Polizei musste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Beim dritten Mal hatten sie dann den Befehl der Zwangsabschiebung in der Tasche. Über zwei Wochen war Afitap anschließend im Darmstädter Abschiebeknast gefangen. Ihre Kinder sah sie nur durch das vergitterte Fenster ihres Zimmers.
Dienstagmorgen, 7.30 Uhr. Unter der kleinen Gruppe am Flughafen befindet sich auch ihr Sohn. Noch am Abend zuvor hat er durch den Blick in ihre Zelle, in der den ganzen Abend über immer noch das kalte Licht brannte, von außen versucht, ein Lebenszeichen von ihr zu bekommen. Man hatte ihr schon Stunden vor der eigentlichen Abschiebung das Handy entrissen. Dem Anwalt und den Angehörigen wurden jegliche Informationen verwehrt: Ist sie noch im Knast? Wie lange bleibt sie dort? Geht es ihr gut?
Davon, dass ihre Abschiebung letztlich schon durchgeführt worden war, erfuhr Afitaps Sohn durch Zufall durch die Angehörigen anderer Menschen, die mit Afitap zusammen abgeschoben wurden. Erst später sollten sie erfahren, dass Afitap wie eine Schwerverbrecherin die Augen verbunden und die Hände in Handschellen gelegt worden waren, dass ihre Arme voller blauer Flecken waren, weil sie im Gefängnis mit Gewalt zum Corona-Test gezwungen worden war. Um Afitap endlich abschieben zu können, war etliche Male gegen ihre Grundrechte verstoßen worden. Ihr letzter rechtlicher Einspruch war noch nicht abgelehnt, als sie schon ins Flugzeug gesetzt wurde.
Der Flug, den die Angehörigen und Aktivist:innen vermutet hatten, sollte nicht mit Afitap abheben. Als sie am Flughafen ankamen, mit der letzten Hoffnung, durch die Informationen könnte eine Person im Flugzeug aufstehen, das Flugzeug stoppen und die Abschiebung verhindern, mussten sie erleben, wie diese letzte Hoffnung noch starb. Afitap und die anderen waren in der Nacht klammheimlich mit einem Sonderflug nach Istanbul abgeschoben worden.
Afitap Demir ist nicht alleine und leider auch kein Einzelfall. Abschiebungen sind menschenverachtend und müssen sofort beendet werden. Abschiebungen auch noch als Strafe zu nutzen, Menschen zu sagen, sie hätten „ihr Recht auf ein Leben in Deutschland verspielt“, ist die Höhe des Zynismus. Es zeigt eindeutig, wie Migrant:innen in Deutschland zu Menschen zweiter Klasse degradiert werden, die nur hier leben dürfen, solange sie keinen Stress machen. Dass ihre Strafe auf einer Aktion der Selbstverteidigung basiert, macht das Ganze noch unglaublicher. Jahrzehntelang können Männer in Ehen tun, was sie wollen, aber wenn wir Frauen uns dagegen wehren, werden wir dafür auf das Härteste bestraft. Der Fall von Afitap Demir erinnert uns wenige Tage vor dem 8. März schmerzlich daran, warum wir weiter kämpfen müssen.