Nach langem Streit und Vorwürfen gegen Kardinal Woelki, die eine Austrittswelle aus der katholischen Kirche verursachten, ist nun das neue Kölner Gutachten zu Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln veröffentlicht. Es beantwortet weniger die Frage zum Ausmaß der sexualisierten Gewalt gegen Kinder als die, ob sich Geistliche daraufhin kirchenrechtlich korrekt verhalten haben.
Das Gutachten der Kanzlei Gercke/Wollschläger untersucht nicht in erster Linie Art und Umfang der sexualisierten Gewalt, die Geistliche Kindern, zumeist Jungen unter 14, angetan haben. Stattdessen soll es Aufschluss darüber geben, welche Schritte bei Bekanntwerden oder Verdachtsfällen gegangen wurden und ob es systematische Vertuschungen gibt. Letztlich beantwortet das Gutachten vor allem die Frage: Haben die Männer im Dienst der katholischen Kirche sich nach kirchenrechtlichen Vorschriften verhalten, wenn es Missbrauchsvorwürfe gab?
Mindestens 368 Betroffene seit 1975
Dazu untersuchten die beauftragten Rechtsanwält:innen 236 Aktenvorgänge zu Kindesmissbrauch im Erzbistum Köln zwischen 1975 und 2018. Die meisten Beschuldigten in diesen Vorgängen sind Klerikalee, die meisten Opfer Jungen unter 14 Jahren. Die Akten seien auf 368 “individualisierbare Betroffene” zurückzuführen, etwa die Hälfte der Betroffenen war angehört worden.
Kardinal Woelki wird durch das Gutachten entlastet. Gegen ihn hatte es zuletzt schwere Vorwürfe gegeben, weil er das vorangegangene Gutachten einer Münchener Kanzlei der Öffentlichkeit vorenthielt. Die katholische Kirche erlebte daraufhin eine Austrittswelle besonderen Ausmaßes, in Köln sind die Termine zum Kirchenaustritt auf Wochen ausgebucht. Kardinal Woelki soll sich jedoch dem Gutachten zufolge vorschriftsmäßig verhalten haben.
Anders fällt das Urteil über den verstorbenen Kardinal Meisner. Er soll in 24 Fällen gegen seine Pflicht verstoßen haben, bei Verdacht auf oder Bekanntwerden von sexualisierter Gewalt an Kindern konsequent zu handeln. Insbesondere die Aufklärungs- und Meldepflicht, aber auch die Sanktionierungs- und die Verhinderungspflicht habe er verletzt. Weitere Vorwürfe gegen ihn gibt es im Bereich der Opferfürsorge.
Ein weiterer Mann wird durch das Gutachten schwer belastet. Stefan Heße ist inzwischen Erzbischof von Hamburg. Er war von 2006 bis 2015 in Köln tätig, zuletzt als Generalvikar – ein direkter Stellvertreter des Bischofs. Das jüngste Gutachten kommt zu dem Urteil, dass er in insgesamt 11 Fällen nicht die vorgeschriebenen Verfahren in die Wege geleitet hat. Bisher wies Heße diese Vorwürfe zurück, nun steht eine Stellungnahme noch aus.
Personelle Konsequenzen
Weitere Vorwürfe gehen aus dem Gutachten gegen die beiden früheren Generalvikare Norbert Feldhoff (13 Fälle) und Dominikus Schwaderlapp (8 Fälle) hervor. Der Leiter des Kölner Kirchengerichts, Günter Assenmacher, soll zwei Mal unzutreffende Rechtsauskünfte gegeben haben. Assenmacher und Schaderlapp sind bis auf Weiteres von ihren Aufgaben entbunden, wie Woelki in einer Pressekonferenz bekannt gab.
Interessierte können sich noch bis April Termine geben lassen, um Einsicht in das Kölner sowie Münchener Gutachten zu erhalten.