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Samstag, April 27, 2024
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    „So ist das Lernen eben nicht möglich, egal wie die technischen Voraussetzungen sind.“

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    Lukas Urban ist Klassenlehrer an einer Oberschule in einer Kleinstadt in Brandenburg in den Fächern Mathematik und Informatik. Er erzählt im Interview mit Perspektive Online, wie er die Zeit der Pandemie erlebt und welche Schieflagen er bei seinen Schüler:innen sehen kann.

    Erzähl mal, was du beruflich machst und wie du deinen Berufsalltag erlebt hast, bevor die Pandemie auf uns zukam? Was waren deine Aufgaben?

    Ich bin Lehrer an einer Oberschule in einer Kleinstadt im Süden Brandenburgs in einem Neubauviertel. Mein Berufsalltag war schon immer spannend, das geht an solch einer Oberschule auch gar nicht anders. Denn jeder Tag ist anders, du kommst auf Arbeit und weißt noch nicht, was dich erwartet. Also ob die Schüler:innen motiviert sind oder was sie gerade beschäftigt, was die Kolleg:innen so organisiert und sich gedacht haben. Der Berufsalltag endet ja dann nicht, so wie viele immer denken, nach dem halben Tag. So à la bestbezahlter Halbtagsjob, mit 12 Wochen Urlaub (er lacht). Sondern, wenn du dann zu Hause bist, hast du Unmengen vorzubereiten, nachzubereiten und als Klassenleiter noch Organisatorisches zu klären. Das führte dann schon an einigen Tagen dazu, dass ich von 7 Uhr bis 14.30 Uhr in der Schule war und mich dann nach einer kurzen Pause wieder hingesetzt habe um all meine Vorbereitungen fertig zu bekommen. Spaß macht es aber auf jeden Fall auch, trotz der heftigen Anstrengungen.

    Was hat sich mit Corona für dich und deine Schüler:innen verändert?

    Also es gab ja verschiedene Phasen der Pandemie. Aber wenn ich an den Anfang zurück denke, gab es ja Zeiten, in denen der Unterricht gar nicht mehr stattfinden konnte. Wir waren natürlich im Rahmen der technischen Möglichkeiten dazu angehalten, irgendwie zu unterrichten, aber diese Möglichkeiten hatten wir als Schule gar nicht. Die Schüler:innen hatten bis dahin keinerlei Erfahrungen damit. Geschweige denn, dass alle die technischen Endgeräte dafür gehabt hätten oder eine stabile Internetverbindung. Da ging wirklich so gut wie gar nichts. Ich hab versucht, über Telefon und E-Mail Kontakt zu den Schüler:innen zu halten, aber selbst das war schwierig. Einige Schüler:innen und auch Eltern sind komplett abgetaucht, sind nicht ans Telefon gegangen, haben sich nicht zurück gemeldet.

    Was glaubst du, woran könnte das gelegen haben? Ist es eher die Überforderung gewesen oder die große Vorfreude auf Corona-Ferien?

    Bei einem Großteil der Oberschüler:innen war erst einmal Freude über freie Zeit mit einer Mischung aus Überforderung zu sehen. Allerdings gab es ja am Anfang der Pandemie eigentlich kaum Anforderungen, weil es keine schulischen Angebote gab. Außer vielleicht ein paar Arbeitsblätter, die wir mitgegeben haben. Die wurden tatsächlich auch bearbeitet, in dem Rahmen wie es möglich war.

    Was hältst du davon, dass die Politik so lange überfordert war und euch in der Schule durch so wilde Maßnahmen getrieben hat? Und was denkst du, zeigt das für Probleme auf?

    Ich glaube, sich auf so einen Extremfall perfekt vorzubereiten, geht nicht und war auch nicht absehbar. Jahrelang war Standardbetrieb, und die Situation hat somit viele „kalt“ erwischt. Es war eine schlechte Vorbereitung. Ich bin sowieso nicht überzeugt von Online-Unterricht, weil er so massive Grenzen hat. Besonders für Grundschüler:innen. Selbst wenn alle perfekt technisch ausgestattet wären – sowohl die Schüler:innen als auch die Schule – heißt das noch lange nicht, dass der digitale Unterricht Erfolg hätte.

    Im März und April gab es ja nicht mal ein Angebot für diejenigen, die eigenständig lernen wollten. Aber nun, nachdem das Ganze etwas voran gegangen ist und viele die technischen Möglichkeiten haben, ändert das trotzdem recht wenig: Wenn die Schüler:innen nicht mehr in die Schule müssen, dann überlagern Konflikte zu Hause, fehlende Motivation bis Faulheit und persönliche soziale Probleme einfach alles andere. So ist das Lernen eben nicht möglich, egal wie die technischen Voraussetzungen sind.

    Wie nahm die Pandemie dann ihren Lauf in eurem Schulalltag?

    Zu Beginn des neuen Schuljahres war die Pandemie zwar präsent, aber was die Schule anging, spürte man davon so gut wie gar nichts mehr. Da gab es nur noch das gewohnte Standardvorgehen, normaler Unterricht in normalen Klassen. Das änderte sich dann auch nur sehr sehr langsam mit der zweiten Welle. Dann gab es Verschärfungen bezüglich der Maskenpflicht und die Aufteilung des Schulhofs, um Kontakte zu reduzieren. Und dann kam eine Woche Wechselunterricht bis Weihnachten und dann auf einmal großer Lockdown.

    Seitdem muss ich alle meine Materialien, die ich sonst in der Schule vermittelt habe, in gleicher Qualität möglichst ansprechend digitalisieren und auch methodisch vorbereiten, so dass sie selbstständig zu erfassen sind. Ich suche dann auch andere digitale Hilfsmittel wie YouTube und Lernplattformen. Wenn dies nicht ausreicht, nehme ich selbst Videos auf und versuche das zu vermitteln. Und biete jeder Zeit an, die fertigen Aufgaben per Mail oder in den Schulbriefkasten zu werfen, damit ich dann korrigieren und mein Feedback geben kann. Und das wird nun ergänzt mit Online-Unterricht seit dem 2. Lockdown. Das biete ich auf freiwilliger Basis an.

    Später kamen dann die Abschlussklassen dazu. Seitdem pendle ich permanent zwischen Präsenz-Uunterricht, Online-Unterricht und den gesamten Korrekturen der Aufgaben hin und her. Und jetzt kommen auch wegen der sinkenden Inzidenzwerte die Klassen 7, 8 und 9 wieder in halben Klassen zu uns, sodass ich fast nur noch Präsenzunterricht mache.

    Warum konntest du viele deiner Aufgaben nicht von der Schule aus bewerkstelligen?

    Wir sind natürlich angehalten Kontakte zu reduzieren. Aber davon mal ganz abgesehen, haben wir die notwendige Technik gar nicht. Wir haben nur begrenzte PC-Plätze, und niemals könnte ich damit das ermöglichen, was ich von zu Hause aus machen kann. Z.B. Tablets mit Stifteingabe , die ich für den digitalen Unterricht nutzen kann oder für das Korrigieren von Dateien. Webcam, Mikrofon und so weiter um Videos aufnehmen zu können und Onlinekonferenzen abhalten zu können, gibt es in der Schule nicht. Wir haben im Grunde genommen nicht mal einen Scanner um Aufgaben zu digitalisieren.

    Hattest du das Gefühl, dass dies eine Erwartung war, die an euch herangetragen wurde, also, dass ihr eure technischen Möglichkeiten von zu Hause aus ganz selbstverständlich nutzt?

    Natürlich erwartet man von Lehrer:innen, dass sie mit ihrer privaten Technik arbeiten. Das würde nur niemand offiziell sagen, habe ich den Eindruck. Aber wenn wir uns hinstellen würden und sagten, uns wird vom Arbeitgeber nicht die nötige Technik gestellt, deswegen kann ich keinen digitalen Unterricht anbieten, dann heißt es ja ganz schnell wieder, ich habe das Klischee des faulen Lehrers erfüllt. So ganz nach dem Motto, ich nehme schön am Ende des Monats mein Gehalt mit nach Hause und warte quasi nur darauf, bis endlich wieder Ferien sind. Dementsprechend legt man natürlich mit seiner privaten Technik los.

    Ich persönlich sehe da auch keinen Grund dies nicht zu tun, es sei denn, es geht um datenschutzrelevante Informationen. Es kommen auf keinen Fall private Daten meiner Schüler:innen auf meine Geräte. Stattdessen nutze ich sie, wenn ich Arbeitsblätter erstelle oder Videos aufnehme. Des Weiteren ist es so, dass ich mit den Programmen bewandert bin und diese auch bewusst ausgewählt habe. Bei öffentlichen Einrichtungen gibt es vorgeschriebene Programme und ich kann nicht einfach etwas installieren auf deren Endgeräten. Das ist immer mit vielen Umwegen verbunden. Unsere Schule wurde erst kürzlich mit Tablets ausgestattet, die für die Nutzung der Schüler:innen gedacht sind. Sonst keinerlei Endgeräte mit Webcam, Stifteingaben, Mikro… Da kommt also gar nichts bei herum. Das ist alles sehr langsam, und irgendwie ist für Medienprojekte immer nie jemand zuständig, hat man das Gefühl.

    Findest du, dass es zumutbar ist, von Schüler:innen zu fordern, dass sie alle technischen Voraussetzungen für den digitalen Unterricht erbringen? Ich meine, für viele Haushalte ist das auf Grund ihrer finanziellen Lage gar nicht machbar?! Oder vielleicht sind sie technisch auch gar nicht fit genug dafür? Wie erlebst du das?

    Ich dachte schon, dass man im Jahr 2020/21 eine stabile Internetverbindung hat, ein Endgerät von mindestens 10 Zoll Bildschirmdiagonale, damit man vernünftig was sehen kann um zu arbeiten. Aber die Realität in einer südbrandenburgischen Kleinstadt hat mich eines Besseren belehrt. Die Realität ist eben, dass viele Kinder vom Dorf kommen, schlechtes Internet haben, es zu teuer ist oder es eben nie eine bedeutende Rolle für die Familien gespielt hat. Und ebenso ist es auch mit Geräten wie z.B. Druckern.

    Ich weiß von Schüler:innen, die das Homeschooling ausschließlich auf ihren Handys mit mobilen Daten wahrnehmen. Aber genau aus diesem Grund biete ich das Homeschooling nicht verpflichtend an. Weil ich genau weiß, wenn ich das tun würde, würde ich diejenigen ausschließen, die nicht die Möglichkeiten dazu haben. Am digitalen Unterricht teilzunehmen ohne Mikro an einem PC und eine Frage über einen dieser Chats zu stellen, beispielsweise bei einer mathematischen Gleichung, ist einfach nicht umsetzbar.

    Welche Probleme siehst du noch am digitalen Unterricht?

    Ein weiteres Problem ist es auch für die Eltern, ihre Kinder zum Homeschooling zu motivieren. Die brandenburgische Verordnung sieht auch vor, dass die Eltern die Pflicht haben und die Verantwortung dafür tragen, dass ihre Kinder am Distanzunterricht teilnehmen und sie diese bestmöglich beim Homeschooling unterstützen. Und trotzdem: diese Verordnung hat keinen Wert, wenn es nicht umsetzbar ist in den familiären Kontexten. Wenn es zu Hause kriselt, ein schlechtes Verhältnis zwischen den Teenager:innen und den Eltern besteht und die schulischen Leitungen bisher schon schlecht waren… Diese Faktoren führen doch zu völliger Demotivation, wenn man allein zu Hause lernen soll, gar nichts mehr versteht und wenn man niemanden hat, der einen antreibt, hilft und unterstützt. Und auch Elternbriefe, Emails und Telefonate meinerseits haben daran nichts geändert. Da scheitert es also bei weitem nicht nur an der Technik.

    Und wenn ich mir dann die Berichterstattung in den Medien anschaue, in denen immer von gut situierten Elternhäusern ausgegangen wird, in denen es intakte Beziehungen zu den Kindern und Teenager:innen geben würde. Da wird dann immer unterstellt, was denn nicht alles möglich wäre mit digitalem Unterricht. Dem kann ich einfach nur widersprechen! An der Oberschule in der Provinz bis hin zur Neubausiedlung ist das eben nicht möglich! Wir können keinen erfolgreichen und gleichwertigen Unterricht unter diesen Bedingungen anbieten.

    Hast du eigentlich auch Verständnis für deine Schüler:innen, dass es unter diesen Bedingungen so wahnsinnig schwer ist zu lernen? Und glaubst du, dass die Maßnahmen im Verhältnis zu den Folgen steht?

    Naja, da gibt es in mir verschiedene Perspektiven. Einerseits meine Sicht als Lehrer, der seinen Schulstoff vermitteln will. Und wenn Schüler:innen meine Materialien überhaupt nicht nutzen und nichts machen, dann kommt da eine Mischung aus wütend und enttäuscht bei raus. Zumal ich ja wirklich viel Kraft und Arbeit in diesen digitalen Unterricht stecke. Eine weitere Perspektive ist die pädagogische. Natürlich habe ich Verständnis, wenn man über Monate „zu Hause eingesperrt“ ist, früh aufsteht wegen des digitalen Unterrichts und am Ende des Tages merkt, dass man dennoch nicht klar kommt. Bis hin zu denen, die eben überhaupt keine Unterstützung haben, weil die Eltern entweder aus zeitlichen oder eigenen schlechten Bildungsvoraussetzungen nicht in der Lage sind zu helfen. Auch die soziale Interaktion zwischen den Schüler:innen und Freund:innen fehlt. Und besonders für diejenigen, die 24 Stunden der familiären Situation ausgesetzt sind und es echt schwer haben – für die habe ich natürlich großes Verständnis.

    Der Kampf zwischen diesen Perspektiven, die ich da in mir spüre, mildert dann oft meine Wut. Aber auch das Infektionsgeschehen darf natürlich nicht außer Acht gelassen werden. Aber was mich an den Maßnahmen vor allem stört, ist einfach diese Inkonsequenz. Zum Beispiel bei berufstätigen Menschen. Alle gehen fleißig arbeiten, aber der Unterricht ist so nicht möglich. Genau deswegen gingen die Infektionszahlen eben nicht nach unten. Und das müssen unsere Schüler:innen dann natürlich sehr lange ausbaden. Über einen bestimmten Zeitraum eine Schließung vorzunehmen, vielleicht von 2-3 Wochen, in Verbindung mit konsequenten Maßnahmen auch in den anderen Bereichen wäre doch zum Schutz aller wichtig und notwendig gewesen. Aber es gab kein stimmiges Gesamtpaket, was alle Bereiche des Lebens runter regelte. Und dann baden es natürlich allein die Schüler:innen aus. Und das hätte man verhindern können.

    Was glaubst du haben die Maßnahmen für Folgen für die Schüler:innen und ihre beruflichen und persönlichen Perspektiven?

    Ich denke gar nicht so groß wie Einige denken, zumindest im schulischen Bereich. Viele der Abschlussklassen haben dennoch ihre Ausbildungsplätze bekommen. Und die Erfahrung zeigt: wenn wir in der 9. Klasse ein Thema behandeln und es später im Abschlussjahr wiederholen, fangen wir nahezu bei Null an bei dreiviertel aller Schüler:innen. Deswegen denke ich, dass selbst die, die jetzt 13 Wochen Corona-Ferien gemacht haben, das im neuen Schuljahr wieder aufholen können. Und auch bei voller Präsenzpflicht bei uns an der Oberschule verstehen und verinnerlichen einige Schüler:innen nicht alles. Und ob sie nun bei uns in der Schule sitzen oder zu Hause und das Thema nicht verstehen, macht ja nun kein Unterschied. Deswegen denke ich, längerfristig gesehen hat es nicht zu heftige Auswirkungen. So melden das auch meine Kolleginnen und Kollegen zurück.

    Aber was ich wirklich kritisch sehe, sind die sozialen Probleme, wenn man z.B. in einer „nicht funktionierenden Familie“ lebt und die 8 Stunden Unterricht nicht mehr als Ausgleich hat mit Freund:innen und Freizeitaktivitäten. Aber auch Schulsozialarbeiter:innen, Lehrer:innen die bei Problemen dann doch unterstützen können, fehlen einfach. Und das ist doch die weitaus gefährlichere Seite daran, die wir unbedingt sehen sollten. Und das betrifft bei uns an den Oberschulen wirklich viele. Denn hier gibt es einfach viele Schieflagen, denen die Jugendlichen und Kinder nun ungeschützt und ungefiltert ausgesetzt sind seit Monaten.

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