Seit mehreren Wochen besetzen Aktivist:innen der Bewegung „Essen retten, Leben retten“ verschiedene Straßen und Stadtautobahnen. Sie wollen damit auf die Verschwendung von Lebensmitteln aufmerksam machen und Menschen für ihr Anliegen sensibilisieren. Tatsächlich sind massive Proteste legitim im Kampf gegen die Klimakrise. Doch ihre Aktionen werden auch genutzt, um Teile unserer Klasse gegeneinander in Stellung zu bringen – Ein Kommentar von Felix Thal.
In den letzten Wochen hat die Bewegung #EssenRettenLebenRetten, auch bekannt unter dem Namen “Aufstand der letzten Generation”, für viel Medienaufmerksamkeit gesorgt. Dies gelang ihr durch mehrere Blockaden großer Straßen und auch Autobahnen.
Es ist nicht überraschend, dass sich Medien z.B. des Springer-Verlags nicht mit den Mitteln und Zielen der Klimaaktivist:innen anfreunden können. Auch in den Kommentar-Sektionen verschiedener sozialer Medien wird vor allem gegen die Blockierenden geschossen: So müssen sich die Menschen der Blockade-Aktionen als Terroristen beschimpfen lassen und werden von Autofahrer:innen, die sich plötzlich selbst als Hilfssheriffs betrachten, brutal von der Straße getrieben. Das Durchhaltevermögen der Protestierenden, das in vielen Videos verfolgt werden kann, ist beachtlich.
Tatsächlich ist radikaler Protest, der Aufmerksamkeit erzeugt, der stört und wehtut notwendig gegen den Kapitalismus-gemachten Klimawandel. Während die globale Erderwärmung fortschreitet, machen Großkonzerne Marketingkampagnen, und es werden die selben Unternehmen mit Steuergeldern beschenkt, die seit Jahrzehnten die Klimakatastrophe mit befeuern. Die Themen, auf die der “Aufstand der letzten Generation” aufmerksam macht, sind goldrichtig: “Was sollen 18 Mio t Lebensmittel jährlich im Müll in DE, wo 13 Mio. Menschen von Armut betroffen sind, @OlafScholz?” fragt die Gruppe beispielsweise.
Doch mit ihrer aktuellen Aktionsform – kleine Gruppen auf den immer gleichen Autobahnen – produzieren sie derzeit oftmals genau die Bilder, über die sich diejenigen rechten Agitatoren freuen, die versuchen, das Klimaproblem und andere Probleme der Arbeiter:innenklasse gegeneinander auszuspielen. Dazu einige solidarische Fragen:
- Ist es zielführend, genau die Menschen, die momentan von den exorbitanten Preissteigerungen von Lebensmitteln betroffen sind (LKW-Fahrer:innen, Krankenschwestern, Pfleger:innen und Angestellte), welche die Fahrt zur Arbeit nun mal antreten müssen, an der Weiterfahrt zu hindern – anstatt sie in den Kampf mit einzubeziehen?
- Wird nicht die Legende von “Diese Hippies sollen mal arbeiten gehen!” verfestigt – ebenso wie der Mythos, dass “Wir zur Arbeit müssen!” – so, als ob Arbeiter:innen noch nie für eine gute Sache gestreikt hätten?
- Wie weit ermöglicht man damit rechten Agitatoren, die Arbeiterinnen und Arbeiter von dem berechtigten Einsatz gegen Lebensmittelverschwendung abzuspalten?
- Kann durch diese losgelösten Aktionsformen nicht auch die Zustimmung für eine klimagerechte außerparlamentarische Bewegung sinken, wenn Teile der eigenen Klasse gegen sich selbst in Stellung gebracht werden?
Gerade weil klar ist, dass blockierte Arbeiter:innen nicht die Hauptschuld an der systematischen Verschwendung von Lebensmitteln tragen, sind solche Autobahnblockaden ohne Verbindung zu einer Massenbewegung heikel.
Die wirklichen Täter:innen bekleiden hohe Ämter in den Führungsetagen großer Lebensmittelkonzerne und in den Ministerien auch der neuen Bundesregierung. Deren Büros und Zufahrtsstraßen zu besetzen, dürfte dem eigenen Anliegen mehr Ziel-Klarheit verleihen.