Als Vorwände für die Durchsuchungen dienen die „Stuttgarter Krawallnacht“ und eine antifaschistische Demonstration in Konstanz im Jahr 2020. Die Rote Hilfe spricht von einem „staatlichen Einschüchterungsversuch“ und ruft zu Solidarität auf. Mehrere Linke stehen am Freitag, 25. März 2022, in Stuttgart vor Gericht.
In den frühen Morgenstunden des 22.03.2022 führte die Polizei in Süddeutschland mindestens sechs Hausdurchsuchungen bei linken Aktivist:innen in Stuttgart, Tübingen und Villingen-Schwenningen durch. Es wird berichtet, dass die Polizei bei den Durchsuchungen äußerst martialisch auftrat und Straßen rund um die durchsuchten Gebäude absperrte. Dabei wurde unter anderem eine Tür des „Linken Zentrums Lilo Herrmann, Stuttgart“ mit einem Rammbock aufgebrochen.
Die Polizei begründet die schweren Repressionsmaßnahmen mit den Ermittlungen zu Geschehnissen aus dem Jahr 2020. Zum einen ginge es um die „Stuttgarter Krawallnacht“. Damit ist die Nacht vom 20. auf den 21. Juni gemeint, bei der es damals infolge einer repressiven Polizeikontrolle zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei kam. Die Polizei Stuttgart behauptet, dass eine 18-Jährige und ein 22-Jähriger, deren Wohnungen heute durchsucht worden sind, sich mit Flaschenwürfen auf Beamt:innen und Sachbeschädigungen daran beteiligt hätten.
Zum anderen ginge es um eine antifaschistische Demonstration im Oktober gegen einen stadtbekannten Neonazi in Konstanz, bei der es angeblich zu Straftaten gekommen sei.
Es ist „[…] offensichtlich jedes Mittel recht, um gegen linke Aktivist*innen vorzugehen“
Zu den aktuellen Hausdurchsuchungen und Repressalien erklärt Anja Sommerfeld, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.: „Die Repression gegen linke Strukturen im Süden geht unvermindert weiter. Den Repressionsbehörden in Baden-Württemberg ist offensichtlich jedes Mittel recht, um gegen linke Aktivist*innen vorzugehen. Die Rote Hilfe e.V. verurteilt diesen neuerlichen Angriff als staatlichen Einschüchterungsversuch und solidarisiert sich mit den Betroffenen.“
Aktuell befinden sich bereits die Stuttgarter Antifaschisten Jo, Dy und Findus in Haft. Auch der Stuttgarter Kommunist Chris könnte bald hinter Gitter kommen. Ihm wird unter anderem die Beteiligung und Koordinierung des Silvesterspaziergangs an der JVA Stammheim 2018 vorgeworfen. Beim Silvesterspaziergang handelte es sich um eine Demonstration in Solidarität mit politischen Gefangenen.
Hinzu kommen noch zwei weitere Vorwürfe: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart möchte zusätzlich eine Verurteilung für die Teilnahme an einer antifaschistischen Demonstration zum rassistischen Terroranschlag in Hanau und an einer Auseinandersetzung mit Nazis der „Identitären Bewegung“ am Rande einer „Querdenken“-Kundgebung im Mai 2020 erwirken.
„Die anhaltende Kriminalisierung von linken Aktivist*innen ist ein besonders herausstechendes Beispiel und zeigt sich einmal mehr im anhaltenden Verfolgungseifer gegen Chris, der sich immer weiter steigert“, so Sommerfeld. „Wir stehen solidarisch an seiner Seite und rufen dazu auf, den Prozess von Chris am 25. März kollektiv zu begleiten.“
Jedoch haben es die Verfolgungsbehörden nicht nur auf Antifaschist:innen abgesehen. Ebenfalls am 25. März ist der zweite Prozesstag von Merdan K., der wegen seines politischen Engagements für die kurdische Bewegung nach dem Schnüffel-Paragrafen 129b in Stuttgart-Stammheim inhaftiert ist. Am selben Tag wird auch der Fall der kurdischen Ärztin Esra Y. verhandelt. Sie leistete in Rojava medizinische Hilfe und wurde bei der Bombardierung einer Krankenstation schwer verletzt. Vom türkischen Staat wird sie als „Terroristin“ verfolgt. Ihr gelang jedoch die Flucht nach Deutschland. Obwohl sie mit großer Repression durch das Erdogan-Regime rechnen muss, wurde ihr Antrag auf politisches Asyl von den deutschen Behörden abgelehnt, wogegen sie am 25. März 2022 klagt.
Vor dem Berufungsprozess von Chris findet um 10 Uhr eine Solidaritätskundgebung vor dem Landgericht Stuttgart (Olgastraße 2) statt.