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Samstag, April 20, 2024
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    Warum Linke keine „Sanktionen“ gegen den russischen Imperialismus fordern sollten

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    Ein breites Bündnis von ver.di über Campact bis Greenpeace und Seebrücke fordern bei Groß-Demos am Sonntag „scharfe wirtschaftliche Sanktionen“ gegen Russland. Auch wenn sie beteuern gegen den Krieg zu sein, reihen sie sich damit in die Reihen der Kriegspartei NATO ein. Warum wir als Linke keine Sanktionen fordern sollten, und wie unsere Alternative aussieht. – Ein Kommentar von Tim Losowski

    Für Sonntag haben dutzende Organisationen bundesweit Demonstrationen angekündigt. Es sollen Hunderttausende werden, die nach Berlin, Frankfurt, Leipzig oder Stuttgart kommen. Unter den Aufrufenden sind Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt, Naturschutzverbände wie BUND und Greenpeace, Organisationen der Friedensbewegung wie der DFG-VK oder Netzwerk Friedenskooperative, aber auch die Gewerkschaft Verdi, die soziale Bewegung Seebrücke oder die evangelische Kirche in Deutschland.

    Gemeinsam wollen sie „Großdemos für den Frieden“ organisieren. Ihre zentrale Forderung an die Bundesregierung? „Durch Wirtschaftssanktionen muss die Finanzierung des Krieges lahmgelegt werden“, heißt es in ihrem Mobilisierungsvideo. Im Hintergrund sieht man eine Öl- oder Gaspipeline. Es ist klar worum es geht: Deutschland soll insbesondere den Import von russischem Öl- und Gas beenden.

    Doch was ist von dieser Forderung im Kampf gegen den imperialistischen Krieg zu halten? Vier Gründe die dagegen sprechen:

    1. Man wird Teil des eigenen imperialistischen Blocks

    „Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, schrieb einst der bekannte Militärtheoretiker Carl von Clausewitz.

    Im Fall der Ukraine hat Russland mit seinem imperialistischen Überfall seine Politik der letzten Jahre fortgesetzt – diesmal mit einer militärischen Invasion. War die Ukraine vor 2014 noch zwischen dem russischen und dem amerikanischen Imperialismus, obgleich eine pro-russische Regierung an der Macht war, wurde dies mit dem Maidan-Putsch unter Mitwirkung des Westens und ukrainischer Faschisten in Frage gestellt. Es folgte ein begrenzter Krieg in der Ost-Ukraine, der mit dem Einmarsch des russischen Militärs in eine neue Phase getreten ist.

    Die Ukraine wurde in dieser Zeit bereits immer mehr zu einem Stellvertreter im imperialistischen Kampf zwischen Russland, der EU – mit Frankreich und Deutschland an der Spitze – sowie den USA, der sich bereits seit Jahrzehnten ereignet und in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen hat. So wurde die Ukraine seit 2014 mit mehr als 20 Milliarden Dollar von den USA und der EU militärisch und wirtschaftlich aufgerüstet. Damit wurde sie faktisch bereits zu einem NATO-Stellvertreter-Frontstaat gegen Russland.

    Mit der russischen Invasion hat auch die NATO ihre Politik mit neuen „anderen Mitteln“ fortgesetzt. Auf militärischem Gebiet wurden und werden schwere und entscheidende Waffen an die Ukraine geliefert, Geheimdienstinformationen weitergereicht, und Veteranen der eigenen imperialistischen Armeen dürfen in den Ukraine-Krieg eintreten.

    Auf „kulturellem Gebiet“ haben die von westlichen Imperialisten dominierten Institutionen wie die korrupte FIFA Russland von der WM ebenso wie von den Paralympics ausgeschlossen. Deren Medienorgane RT (Russia Today) und Sputnik wurden zensiert.

    Und ein beträchtlicher Teil der Politik gegen den russischen Imperialismus lief auch auf ökonomischen Gebiet: Mit dem Einfrieren der Devisen im Ausland, dem Teilausschluss wichtiger Banken aus SWIFT, mit der Beschlagnahme bestimmter Güter russischer Milliardäre im Ausland.

    In eben diese Kategorie gehören auch neue „scharfe Wirtschaftssanktionen“, die nun von Teilen der deutschen „Friedensbewegung“ gefordert werden. Sie reihen sich damit nahtlos ein in die Politik des westlichen Imperialismus. Dazu passt auch, dass die Aufrüstung der Bundeswehr um 100 Milliarden Euro im Aufruf nur “sehr kritisch” gesehen wird und laut einer internen Absprache Ukrainer:innen auf der Bühne sogar Waffenlieferungen fordern dürfen.

    2. Die Kriegsgefahr wird erhöht

    Solch offensive Maßnahmen wie ein vollständiges Öl- und Gas-Embargo erhöhen auch die Kriegsgefahr massiv.

    Der amerikanische Analysedienst “Stratfor” hat festgestellt, dass ein vollständiges Abschneiden russischer Banken von SWIFT oder ein komplettes Gas- und Ölembargo durch die russische Führung als Kriegseintritt gewertet werden könnte. Dies ist eins der Szenarien, bei dem der Think Tank davon ausgeht, dass dies zu einem direkten Krieg zwischen der NATO und Russland – und damit zu einem möglichen dritten Weltkrieg – führen könnte.

    Auch das kann nicht im Interesse der Arbeiter:innen in Russland, der Ukraine oder Deutschlands sein. Die Ukraine würde in einem dritten Weltkrieg sicherlich vollkommen dem Erdboden gleichgemacht werden, und Deutschland wäre ebenso zentraler Kriegsschauplatz.

    3. Sanktionen treffen vor allem die Arbeiter:innen

    Im Aufruf für die Sonntag-Demo wird zu der Sanktionsforderung noch ergänzt: „Nicht der Breite der russischen Bevölkerung, sondern der politischen und wirtschaftlichen Führungsriege gilt unsere Forderung, dem Krieg den Geldhahn zuzudrehen.“

    Dabei handelt es sich um leere Worte, mit denen man versucht, seine eigenen rückschrittlichen Forderungen schön zu reden. Es ist möglich, dass durch harte wirtschaftliche Sanktionen russische Milliardäre die eine oder andere Yacht verlieren oder ihre Profite schrumpfen werden. Doch die Lebenslage der Arbeiter:innen ist ja direkt mit der russischen Wirtschaft verbunden – eine Inflation von bis zu 30 Prozent wird zuallererst und am aller härtesten die einfache Bevölkerung treffen. Während die russischen Superreichen auf ihre Sicherheitskonten in China oder anderswo zugreifen können, bedeutet eine massive Rezession für die russischen Arbeiter:innen einfach nur Elend und Leid.

    Wirtschaftssanktionen sind eine moderne Forderung der Belagerung, man lässt ein Land quasi “aushungern”. Tatsächlich aber haben solche Sanktionen bzw. “Belagerungen” z.B. gegen den Iran oder Nordkorea nicht dazugeführt, dass Kim Jong Un oder der Ayatollah ihre Luxusgüter nicht mehr bekommen hätten.

    4. Wir sollten nicht für die imperialistische Kriegspolitik zahlen

    Nicht nur die russischen Arbeiter:innen sind von den Sanktionen betroffen, sondern auch wir Arbeiter:innen hier in Deutschland. Das sieht man insbesondere an der rasanten Spritpreis-Entwicklung in den letzten Tagen. Ähnlich sieht es beim Gas oder Öl aus, mit dem wir heizen.

    Natürlich ist es richtig und notwendig, schnellstmöglich aus den fossilen Energien auszusteigen und den ÖPNV gut auszubauen und kostenlos zu machen, damit mehr Menschen ihr Auto stehen lassen können. Aber noch ist dies eben nicht vorhanden!

    Das bedeutet: die mit den Sanktionen einhergehenden Teuerungen und Entbehrungen werden auf dem Rücken von uns Arbeiter:innen ausgetragen werden. Organisationen wie der DGB sprechen hier in trauter Einigkeit mit dem Kapital-Verband Gesamtmetall davon, dass die Sanktionen „uns allen Opfer abverlangen“ werden, so, als ob dies unser solidarischer Beitrag für die Ukraine sei.

    Tatsächlich ist es aber nur ein Beitrag zur Manövrierfähigkeit des deutschen Imperialismus.

    ***

    Was sind also Sanktionen? Sanktionen sind Teil der imperialistischen Kriegsführung auf wirtschaftlichem Gebiet. Und die werden auf dem Rücken von Arbeiter:innen und Arbeitern ausgetragen. Aus diesem Grund sollten wir sie nicht fordern.

    Wie sieht also unsere Alternative aus?

    Anstatt also mit Forderungen an den eigenen Imperialismus zu verfallen, seine Politik noch aggressiver zu gestalten und ihm Schützenhilfe zu leisten, müssen wir das Gegenteil tun: Gegen den deutschen Imperialismus ankämpfen.

    Wie helfen wir damit den Arbeiter:innen in der Ukraine, die angegriffen werden, und den fortschrittlichen Menschen in Russland, die von der russischen Führung unterdrückt werden?

    Der Imperialismus ist ein ökonomisches Weltsystem und nicht einfach die “Politik” eines diesen oder jenen Wahnsinnigen. Das bedeutet: wenn wir Kriege beenden wollen, müssen wir den Imperialismus als Ganzen überwinden. Und das können wir nun mal am besten vor der eigenen Haustür. Das ist es, was Karl Liebknecht gemeint hat, als er sagte “der Hauptfeind steht im eigenen Land” – während er sich zugleich mit den heroischen Kämpfen der russischen Kommunisten gegen den Zar solidarisierte.

    Gerade hier sind wir aufgerufen und in der historischen Situation, uns Stück für Stück stärker zu organisieren und so in die Lage zu kommen, eine wirklich unabhängige Friedenskraft zu werden – eine Kraft, die nicht nur die Aufrüstung in Deutschland bekämpfen kann, sondern eine Kraft, die tatsächliche Unterstützung für die Unterdrückten anderer Länder bedeuten kann. Dies, indem wir hier vor Ort Hilfe organisieren und auch, indem wir die Solidarität mit kämpfenden Kräften praktisch werden lassen können: durch Protestaktionen, durch Streiks und durch immer größere Positionsgewinne gegenüber dem Imperialismus.

    • Perspektive-Autor und -Redakteur seit 2017. Schwerpunkte sind Geostrategie, Rechter Terror und Mieter:innenkämpfe. Motto: "Einzeln und Frei wie ein Baum und gleichzeitig Geschwisterlich wie ein Wald."

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