Ab 2026 soll in der ganzen EU eine Geschlechterquote – umgangssprachlich „Frauenquote“ genannt – in Spitzenpositionen börsennotierter Unternehmen gelten. Frauen als Wirtschaftschefinnen ernst zu nehmen bedeutet das Gegenteil von Girlboss-Feminismus: Sie vertreten die Interessen ihrer Klasse genau so gekonnt wie ihre männlichen Mit-Kapitalisten. – Ein Kommentar von Olga Wolf
Ab dem Jahr 2026 sollen die Mitgliedsstaaten der EU zwischen zwei Modellen der Geschlechterquotierung wählen können: “Entweder können die Mitgliedstaaten beschließen, dass 40 Prozent der nichtgeschäftsführenden Mitglieder von Aufsichtsräten in börsennotierten Unternehmen mit Frauen besetzt werden. Oder aber in Vorstand und Aufsichtsrat sind durchschnittlich 33 Prozent Frauen vertreten”, beschreibt die EU-Kommission die beiden Optionen.
In Deutschland gibt es eine Frauenquote schon seit dem Jahr 2016, allerdings gilt sie nur für paritätisch besetzte Aufsichtsräte (also welche, in denen auch Gewerkschaften drin sind?) und ist zehn Prozentpunkte geringer. Seit der Einführung stieg der Frauenanteil in den Führungspositionen der verpflichteten Unternehmen von 10 auf rund 35 Prozent. Frankreich und Italien verpflichten große börsennotierte Unternehmen bereits zu 40 Prozent Frauenanteil, unter den Ländern mit Frauenquote hat Griechenland mit 25 Prozent die geringste Quote.
Die Kommission greift damit ein Thema auf, dass die Lebensrealität der meisten Arbeiter:innen bestimmt: Sexistische und patriarchale Diskriminierung im Arbeitsleben.
Natürlich ist es für uns unhaltbar, dass Frauen in der Lohnarbeit ständig unterschätzt, schlechter bezahlt und am Arbeitsplatz belästigt werden. Und das Patriarchat durchzieht alle Klassen, auch patriarchale Diskriminierung bourgeoiser DAX-Vorstandsfrauen ist ein Zeichen dafür, dass Bildung und Arbeit von Frauen geringer geschätzt werden.
Die EU reagiert darauf, wie es von der EU zu erwarten ist. Sie hebt Barrieren auf für Frauen der herrschenden Klasse und nutzt dieses Symbol, um Arbeiterinnen weis machen zu wollen: Kein Grund zur Aufruhr, wir sind der Gleichberechtigung wieder eine EU-Richtlinie näher gekommen.
“Mehr Frauen in die Chefetagen!”
So lautet eine Parole, die von Girlboss-Feminist:innen bis zur CDU Anhänger:innen findet. Nochmal: Eine Gesellschaft, in der alle Chefs Männer sind, alle wirtschaftlichen Entscheidungen von Männern getroffen werden und Männer deutlich besser bezahlt werden, ist ein Problem. Ein paar Frauen mit entsprechender Klassenzugehörigkeit zu Chefinnen zu machen, ist aber nicht die Lösung.
Stattdessen scheint es fast zynisch, denn unter den Menschen, die nicht in börsennotierten Aufsichtsräten sitzen, sind Frauen diejenigen, die am häufigsten prekär beschäftigt sind. An ihrer ständigen Kündbarkeit, dem Mindestlohn, der geringen Vereinbarkeit von Familie und Lohn- und Reproduktionsarbeit ändert diese Quote nichts. Dass zukünftig mehr Frauen über die Geschicke der Unternehmen, für die sie arbeiten, entscheiden, ebenso.
Das alles sind strukturelle Probleme, die die Lebensrealität hunderttausender Frauen und Familien bestimmen. Statt diese Probleme anzugehen, haben die Feministinnen in der EU-Kommission ein schillerndes Symbol erkämpft, das nun sagt: “So langsam kann es wirklich Jede schaffen”. So ist die Geschlechterquote in doppelter Hinsicht ideologisch nützlich. Sie suggeriert Fortschritt und zementiert den Mythos eines leistungsgerechten Kapitalismus.
Nichts gegen Quotenfrauen
Unsere Wut richtet sich nicht gegen die künftigen Quotenfrauen, weil sie Quotenfrauen sind. Es ist keine Schande, Quotenfrau zu sein – vor allen Dingen nicht in anderen Kontexten als DAX-Unternehmen, zum Beispiel als Klassensprecherin in der Ausbildung, bei der linken Podiumsdiskussion oder in der ersten Reihe einer Demonstration.
“Die ist da auch nur, weil die noch eine Frau brauchten”, das Argument hat mich noch nie beeindruckt. Eine binäre Frauenquote von 30 Prozent sagt aus, dass 70 Prozent der Teilnehmer:innen Männer sind. Als Mann eine Bühne, einen Platz zum Reden oder einfach Gehör zu bekommen, ist noch immer statistisch wahrscheinlicher und einfacher. Männer sind auch Teil der Geschlechterquote, nur auf der Seite, die es leichter hat, reinzukommen.
Unsere Wut richtet sich nicht gegen die Quotenfrauen der DAX-Aufsichtsräte als Frauen, sondern als Mitglieder der Aufsichtsräte und Vertreterinnen des Kapitals. Wir unterschätzen sie nicht als schlechtere Wirtschaftschefs, sondern wir wissen, dass sie ihren Job genau so gut machen wie ihre männlichen Mit-Kapitalisten.