Wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis – das ist in Deutschland möglich aufgrund eines Paragraphen im Strafgesetzbuch, der in der Nazi-Zeit eingeführt wurde. Dies trifft auch die 56-jährige Düsseldorferin Gisa M.. Sie soll nun für 18 Monate ins Gefängnis, da sie sich mehrfach kein Ticket leisten konnte. Dagegen regt sich Protest von ihr und Unterstützer:innen. Sie prangern eine „Zwei-Klassenjustiz“ an, fordern Freiheit für Gisa, sowie die Abschaffung des §265a StGB. – Ein Interview mit Lukas von „Tasche Leer – Schnauze Voll“.
Wer ist Gisa?
Gisa ist 56 Jahre alt. Sie verkauft seit vielen Jahren das Straßenmagazin fiftyfifty und ist Stadtführerin bei dem Projekt Straßenleben, das Stadtführungen aus der Sicht ehemals obdachloser Menschen anbietet. Gisa ist suchtkrank und musste regelmäßig zur Methadon-Ambulanz fahren. Hierbei fehlte ihr häufiger das Geld für das Ticket.
Ihr Leben hatte sie in den vergangenen Jahren wieder vollständig in den Griff bekommen. Sie hat eine Wohnung, einen kleinen Hund und ist weg von Drogen.
Ihr Anwalt sieht in der Suchtkrankheit einen Grund für Gisas Fahren ohne Fahrausweis
Warum soll Gisa ins Gefängnis gehen?
Im Frühjahr 2019 ist Gisa zwei Mal ohne gültiges Ticket mit der Bahn gefahren und hat dafür eine Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung bekommen. Sie fährt auch danach noch mehrfach ohne Ticket zur Methadon-Ambulanz, für sie ist das überlebenswichtig. Aber das Arbeitslosengeld II reicht vorne und hinten nicht, auch nicht für das Sozialticket für 40 Euro. Sie bekommt dafür nochmal eine Bewährungsstrafe von einem Jahr. Im Frühjahr 2022 wird sie dann wieder ohne Fahrausweis erwischt.
Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf widerruft deshalb die Bewährung von sechs Monaten, d.h. Gisa muss jetzt für ein halbes Jahr in Gefängnis. Auch die zweite Bewährungsstrafe soll jetzt widerrufen werden. Gisa soll also insgesamt für eineinhalb Jahre in Haft für 11 Mal Schwarzfahren!
„Es zeigt sich wieder Mal die Zwei-Klassenjustiz der BRD“
Wie bewertet ihr das Verhalten der Staatsanwaltschaft?
Es zeigt sich wieder einmal die Zwei-Klassenjustiz der BRD. Während Konzerne verbotenerweise an Gesetzestexten mitschreiben, CEO’s oder Politiker:innen immer und immer wieder in Korruption und dubiose Finanz- und Steuergeschichten verwickelt sind und meist mit einer lächerlichen Geldstrafe davonkommen, bekommt Gisa diese Chance nicht. Keine Geldstrafe, direkt Freiheitsentzug.
Doch kriminell ist nicht das Armsein, kriminell ist das System, das diese Armut hervorruft, einkalkuliert und in dem sich die Wenigen an der Armut der Vielen bereichern.
Was sind eure Forderungen?
Als „Tasche leer – Schnauze voll“ fordern wir von Beginn an die Weiterführung des 9-Euro Tickets als Minimalziel. Dieses stellt zumindest einmal eine erste Kompromisslösung im Kampf um einen kostenfreien ÖPNV dar.
Die Kosten, die jährlich für Gefängnisaufenthalte wegen Schwarzfahrens entstehen, stehen in keinem Verhältnis zu den Kosten, die durch ein solches Verkehrskonzept viele Menschen vor unnötigen und gefährlichen Haftstrafen bewahren würde.
Wie sind eure Proteste verlaufen und was sind eure weiteren Pläne?
Wir kämpfen weiter: für Gisa, ihre Freiheit und die Abschaffung des unsinnigen Naziparagraphen 265a, dem Erschleichen von Leistungen. Viele Menschen haben sich in den vergangenen Tagen und Wochen solidarisch gezeigt mit Gisa, solidarisch gezeigt mit unserem Protest-Netzwerk.
Aber auch darüber hinaus schließen wir uns zusammen und bringen unsere Wut auf die Straße – die Wut auf die Umwälzung der Krisenkosten von oben nach unten; die Wut auf die Zerstörung vieler Existenzen im Zuge dieser Inflation und die Wut auf Politik und Kapitalismus. Der Kapitalismus schafft es nicht, Bedarfsgerechtigkeit herzustellen.