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Freitag, April 26, 2024
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    Mindestens 31 Tote bei Angriffen von türkischem Militär auf kurdische Autonomiegebiete – Spontandemos in vielen Städten

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    Seit Samstag bombardiert die türkische Luftwaffe kurdische Gebiete im Norden Syriens. Zahlreiche Zivilist:innen starben, ebenso Kämpfer:innen der kurdisch geführten, sowie der syrischen Armee. Zeitgleich greifen Militärflugzeuge der iranischen Regierung linke Parteien in den irakisch-kurdischen Gebieten an. International fanden deshalb Solidaritätsdemostrationen gegen die Angriffe statt, auch in Deutschland.

    Bei Bombenangriffen der türkischen Armee sind nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mindestens 31 Menschen getötet worden. Die kurdische Nachrichtenagentur ANF berichtet über mindestens 13 tote Zivilist:innen, sowie 6 verstorbene Kämpfer:innen der kurdisch geführten “Demokratischen Kräfte Syriens” (QSD) sowie der “Befreiungskräfte Efrîns” (HRE). Auch seien mindestens 14 Soldaten der syrischen Armee getötet worden.

    Die Türkei hatte sowohl Stellungen kurdischer Milizen und der syrischen Armee sowie zivile Infrastruktur bombardiert, so etwa ein Stromwerk, eine Corona-Klinik und ein Weizendepot, wie ANF berichtet. Auch in den von den Guerillaarmeen HPG und YJA Star kontrollierten Medya-Gebieten im Nordirak seien 32 Luftangriffe geflogen worden. Laut der HPG wurde dabei niemand verletzt.

    Der Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), Mazlum Abdi, erklärte, dass bei den Angriffen „nicht zwischen der Zivilbevölkerung und militärischen Punkten unterschieden“ würde. Es werde „auch kein Unterschied zwischen den Truppen des syrischen Staates und unseren Kräften gemacht“. Er geht davon aus, dass die Angriffe noch eine Weile weitergehen.

    In der Nacht auf Montag hat zudem die iranische „Revolutionsgarde“ erneut ostkurdische Oppositionsparteien in der Kurdistan-Region des Irak (KRI) mit Raketen und Drohnen beschossen. Die Angriffe galten der “Demokratischen Partei Kurdistans-Iran”(PDK-I) und der linken Partei “Komala”, wie beide Organisationen mitteilten, ohne Angaben zu möglichen Opfern zu machen.

    Vergeltung für Istanbul?

    Die Attacke auf die kurdischen Gebiete wird von türkischer Seite als Vergeltung für einen Anschlag in der türkischen Hauptstadt Istanbul dargestellt. Hingegen wies der Dachverband der kurdischen Organisationen “Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans” (KCK) jegliche Verantwortung der linken kurdischen Freiheitsbewegung für die Explosion in der Istanbuler Innenstadt zurück und vermutet stattdessen den türkischen Staat selbst hinter der Attacke:

    „Wie wir bereits zuvor kundtaten, werden gegenwärtig die Bedingungen für umfassende Angriffe auf das kurdische Volk und eine weitere Besetzung von Rojava geschaffen. Der Anschlag von Istanbul wurde inszeniert, um eine konstruierte Rechtfertigung dafür heranziehen zu können. Die Drahtzieher dieses Attentats sind die faschistische Führung in Ankara, der Geheimdienst MIT und Innenminister Süleyman Soylu“, heißt es in einer Erklärung vom Sonntag.

    „Es ist klar, dass wir nichts mit dem Terroranschlag in Istanbul zu tun haben. Das weiß die ganze Welt. Keine kurdische Partei hat etwas mit dem terroristischen Angriff auf Zivilisten zu tun“, führte auch QSD-Kommandant Abdi aus.

    International Proteste

    Aufgrund der Angriffe hatte der KCK zu Protesten aufgerufen: „Die Menschen Kurdistans müssen überall auf die Straße gehen und ihren Protest zum Ausdruck bringen. Niemand hat den Luxus, in einer Phase wie dieser zu Hause zu bleiben.“ Tatsächlich hatten schon in der Nacht zum Sonntag einzelne Proteste stattgefunden, am Sonntag gab es international spontane Aktionen, auch in Deutschland.

    In Berlin kamen rund 2.000 Personen zusammen, die durch Berlin Neukölln und Kreuzberg zogen. Dabei wurde immer wieder die deutsche Mittäterschaft an den aktuellen Angriffen thematisiert. So war eine viel gerufene Parole „Deutsche Panzer – raus aus Kurdistan!“. Die Türkische Armee ist unter anderem mit Leopard 2 Panzern ausgestattet, die dem größten deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall entstammen.

    In Hamburg wurde eine Demonstration mit etwa 750 Personen über längere Zeit von der Polizei aufgehalten. Sie wollte das Mitführen von Fahnen der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG und YPJ) nicht erlauben. Dabei handelt es sich um die Armee-Strukturen der nun angegriffenen “Autonomous Administration of North and East Syria” (AANES), die vor allem als “Rojava” bekannt ist. Die Polizei ging unter dem Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray gegen Fahnenträger vor. Dabei hatte eine anwesende Anwältin darauf hingewiesen, dass es in Hamburg ein explizites Urteil gebe, das YPG und YPJ Fahnen erlaube.

    Nach einer Stunde konnte die Demonstration ohne die Fahnen losziehen. Diese wurden im Laufe der Demonstration jedoch immer wieder gehisst. Ähnliche Auseinandersetzungen gab es auch anderernorts, so etwa in Heilbronn.

    In Köln kam es zu einer lauten Kundgebung mit über 100 Personen. In den meisten Redebeiträgen wurden die Situation der Frau und die Frauenrevolution in Rojava thematisiert und die Doppelmoral der Bundesregierung kritisiert. Auf der einen Seite würden Grünen-Politikerinnen mit dem kurdischen Freiheitsslogan „Jin Jiyan Azadi“ (dt.: “Frau, Leben, Freiheit”) posieren und auf der anderen Seite Waffenlieferungen gegen die Türkei legitimieren.

    In Freiburg kamen rund 200 Menschen zu einem Demonstrationszug durch die Innenstadt zusammen. In Leipzig demonstrierten ebenfalls mehrere hundert Menschen. Dabei wurde auch auf die deutsche Widerstandskämpferin Ivana Hoffmann aufmerksam gemacht, die im Kampf gegen den islamisch-fundamentalistischen IS im Jahre 2015 gefallen war.

    In Frankfurt sammelten sich etwa 300 Personen zu einer kämpferischen Demonstration, die mit einer Schweigeminute am Abschlusskundgebungsort endete. In München wurden bei einer Demonstration mit mehreren 100 Teilnehmenden Rauchtöpfe gezündet. Auch gab es auch weitere “Akzente” wie eine unangemeldete Demonstration in Bremen, bei der auch Feuerwerkskörper gezündet wurden.

    Faser in der Türkei

    Mit den Protesten soll auch Druck auf die Bundesregierung ausgeübt werden, die systematische Beziehungen zum NATO-Partner Türkei pflegt. Am Montag reist etwa die Bundesinnenministerin Nancy Faeser zu einem zweitägigen Besuch in die Türkei. Themen sollen die Migrationspolitik und die „Bekämpfung von Terrorismus“ sein. Es wird davon ausgegangen, dass die Türkei ein härteres Vorgehen gegen kurdische Oppositionelle in Deutschland fordern wird.

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