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Dienstag, März 19, 2024
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    „Wir müssen kämpfen, wenn wir etwas verändern wollen!“

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    Bei den aktuellen Teuerungen, in Krise und Krieg sind Frauen der Arbeiter:innenklasse besonders von Verarmung und Gewalt betroffen. – Im Interview erläutert Marina Romano vom Frauenkollektiv die Hintergründe der besonderen Unterdrückung und Ausbeutung der Frau und wie der Kampf dagegen organisiert werden muss.

    Die Inflation macht es immer schwieriger für viele Menschen, ihre Rechnungen zu bezahlen. Was ist eure Antwort auf diese Entwicklung?

    Es gibt eine Parole, die unsere Antwort auf diese Entwicklung sehr gut widerspiegelt: „Preisexplosion im ganzen Land? Unsere Antwort: Widerstand!“ Damit meinen wir, dass wir uns als Arbeiter:innen diese Entwicklung nicht mehr gefallen lassen dürfen und einen aktiven Widerstand gegen die Teuerungen leisten müssen. Denn wir sehen aktuell, dass die Maßnahmen, die die Regierung ergreift, nicht auf die Bedürfnisse von uns Arbeiter:innen ausgerichtet sind, sondern auf die der Konzerne. Viele Menschen verarmen durch den sinkenden Reallohn, während große Konzerne von dieser Krise profitieren. Das sind Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse und darauf müssen wir mit Widerstand antworten.

    Zuallererst sollten wir konkrete Losungen aufstellen und Verbesserungen erkämpfen, wie etwa die Anpassung der Löhne und Sozialleistungen an die steigende Inflation. Denn nur so können wir verhindern, dass wir monatlich ärmer werden und die Kapitalist:innen reicher. Allerdings greifen diese Forderungen nur kurzfristig, denn Krisen und auch Krieg, wie wir sie gerade erleben, haben im Kapitalismus System und werden uns somit immer wieder begegnen. Deswegen lautet unsere langfristige Losung, den Kapitalismus zu überwinden. Denn nur ein System, das frei ist von Ausbeutung und Unterdrückung, kann eine Antwort darstellen auf diese Entwicklung. Und diese Überwindung des Kapitalismus erreichen wir, indem wir uns organisieren, gemeinsam und solidarisch zusammen schließen und für ein System kämpfen, in dem es nicht mehr um die Profite großer Konzerne geht, sondern um unsere Interessen.

    Aktuell beherrschen die Themen Inflation, Krieg und Pandemie weiter die Schlagzeilen. Wie betreffen diese Themen Frauen im Besonderen?

    Frauen der Arbeiter:innenklasse sind aus verschiedenen Gründe von diesen Themen besonders betroffen: Zum einen trifft Frauen die Preisexplosion deshalb besonders hart, da Frauen immer noch weniger verdienen als Männer, durchschnittlich sind es auch heute noch über 20%. Die Gründe hierfür sind ganz unterschiedlich. Zum einen gibt es auch heute noch unterschiedlichen Lohn je nach Geschlecht in dem gleichen Arbeitsbereich, zum anderen arbeiten viele Frauen im Niedriglohnsektor, wie z.B. in der Pflege oder der Kinderbetreuung. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitenden Frauen einem Teilzeitjob oder Ähnlichem nachgeht, da zeitgleich die – nicht bezahlte – reproduktive Arbeit geleistet werden muss, wie Hausarbeit, Kindererziehung und -betreuung oder die Pflege von Familienangehörigen.

    Dadurch sind viele Frauen finanziell abhängig von ihrem Partner und können sich zum Beispiel keine eigene Unterkunft leisten. Auch das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist heute immer noch eine Klassenfrage. Schwangerschaftsabbrüche sind nicht straffrei in Deutschland und kosten 350-700€. Dies sind Kosten, die sich viele Frauen schlicht nicht leisten können, aufgrund der zunehmenden Verarmung der Arbeiter:innenklasse.

    Zusätzlich zur finanziellen Abhängigkeit steigt die Gewalt an Frauen in Krisen- und Kriegszeiten an. Laut offiziellen Statistiken ist jede 3. Frau in Deutschland von Gewalt betroffen. Es wird davon ausgegangen, dass die Dunkelziffer sehr viel höher ist. Alle 45 Minuten greift ein Mann seine Partnerin in Deutschland an. Alle 28 Stunden versucht ein Mann eine Frau umzubringen, alle 72  tötet ein Mann seine (Ex-) Partnerin in Deutschland. Insbesondere im Krisenjahr 2021 konnte ein Anstieg von Femiziden in Deutschland festgestellt werden. Patriarchale Gewalt findet dabei meistens zu Hause innerhalb der Beziehung oder Familie statt.

    Doch viele Frauen können dieser Gewalt nicht entfliehen aufgrund der bereits genannten finanziellen Abhängigkeit vom Partner. Hierbei spielen sich Klassenunterdrückung und geschlechtsspezifische Unterdrückung in die Hände. Und auch in Kriegen wird oft geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe genutzt. Frauen, die vor dieser Gewalt in Kriegsgebieten fliehen, erfahren häufig auf der Flucht und auch in vermeintlich sicheren Unterkünften wieder patriarchale Gewalt.

    Es ist also sehr gut zu erkennen, dass Krieg und Krise immer auf dem Rücken von Frauen der Arbeiter:innenklasse ausgetragen werden.

    In sozialen Bewegungen und Protesten spielen Frauen immer wieder eine besondere Rolle, wie wir es aktuell auch im Iran oder Kurdistan sehen. Wie bewertet ihr das?

    Wir haben ja bereits darüber gesprochen, dass Frauen doppelter Ausbeutung und besonderer Betroffenheit in Krisen- und Kriegszeiten ausgesetzt sind. Besondere Unterdrückung bedeutet aber keinesfalls, dass die Frauen weniger wehrhaft sind. Im Gegenteil: besondere Ausbeutung und Unterdrückung bedeuten auch besondere Kraft. Denn Kämpfe entstehen besonders dann, wenn Ausbeutung und Unterdrückung extrem stark werden. Die Fesseln, die uns heute an dieses System binden, scheinen besonders stark zu sein. Alle Eigenschaften die uns Frauen anerzogen werden, die von uns erwartet werden, stehen dem entgegen, dass wir mutig auf die Straßen gehen. Sprengen wir jedoch unsere Ketten, sehen wir immer wieder, welche besondere Kraft gerade die Kämpfe der Frauen entwickeln können, welche enorme Kraft freigesetzt wird, wenn gegen die eigene Unterdrückung und für eine freie Gesellschaft gekämpft wird.

    Hierzulande wird immer wieder behauptet, dass es ja gar keine Unterdrückung und Ausbeutung der Frau mehr gibt. Selbst die deutsche Außenpolitik ist heute laut der Verteidigungsministerin „feministisch“. Was denkt ihr dazu?

    Wir würden diese Behauptung klar zurückweisen! In unseren Antworten wurde bis jetzt hoffentlich ganz gut deutlich, dass Frauen nach wie vor ausgebeutet und unterdrückt werden. Es wurden zwar Verbesserungen der Lebensumstände für Frauen erkämpft, wie etwa das Wahlrecht oder die Milderung des Abtreibungsparagrafen §218, doch all diese Rechte wurden von Frauen auf der Straße erkämpft und wurden uns nicht geschenkt. Nach wie vor werden Frauen durch das Patriarchat und den Kapitalismus unterdrückt, und diese Unterdrückung wird auch erst dann enden, wenn wir uns als Arbeiterinnen zusammen tun und gemeinsam dieses System zerschlagen.

    Die Behauptung, die deutsche Außenpolitik sei „feministisch“, zeigt ganz gut, wie bürgerliche Bewegungen versuchen, Frauenkämpfe zu vereinnahmen und zu integrieren. Wenn man sich allerdings die tatsächlich betriebene Außenpolitik anschaut, wird schnell deutlich, dass diese Politik alles andere als feministisch ist. Denn wie feministisch kann eine Politik sein, die sich in dem einem Moment die kurdische Parole „Jin, Jiyan, Azadi“ (Frauen, Leben, Freiheit) aneignet, um Solidarität mit den Aufständen im Iran zu heucheln und im nächsten Moment an der Bombardierung von Kurd:innen und der kurdischen Frauenrevolution direkt beteiligt ist? Wie feministisch kann eine Politik sein, die Waffen in Kriegsgebiete liefert, wobei bekannt ist, dass in Kriegsgebieten die Zustände für Frauen katastrophal sind und patriarchale und sexualisierte Gewalt in Kriegszeiten zunehmen? Letztlich ist es egal, welches Geschlecht eine Person an der Spitze dieses Systems hat. Kapitalist:innen profitieren von der Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen. Und auch eine Frau als Außenministerin – also Stellvertreterin und Teil des deutschen Imperialismus – ist an dieser Ausbeutung ebenso beteiligt wie männliche Politiker oder Konzernchefs.

    Ihr setzt in eurer Arbeit auf die Frauensolidarität und benennt die Frauenbefreiung als euer Ziel. Was versteht ihr genau darunter und wie wollt ihr das erreichen?

    Unter Frauensolidarität verstehen wir, uns Frauen gegenüber solidarisch zu verhalten. Als Frauen werden wir so sozialisiert, in anderen Frauen eine Konkurrenz zu sehen, andere Frauen nieder zu machen oder Frau-Sein als etwas Schlechtes zu bewerten oder auch andere Frauen dafür zu verurteilen, wenn sie sich dem gesellschaftlichen Rollenbild entsprechend verhalten. Wir werden im Patriarchat so sozialisiert, anderen Frauen gegenüber missgünstig zu sein und die Schuld für Übergriffe bei Frauen zu suchen. Frauensolidarität bedeutet, der weitverbreiteten Konkurrenz unter Frauen entschieden entgegen zu treten. Wir verstehen darunter, uns als Frauen gegenseitig zu unterstützen und uns zu glauben, wenn wir Unterstützung suchen. Gleichzeitig sagen wir uns ehrlich unsere Meinung, kritisieren einander für falsches Verhalten und verändern es gemeinsam. Denn nur so können wir gemeinsam und geschlossen für die Frauenbefreiung kämpfen.

    Unter Frauenbefreiung verstehen wir die Befreiung der Frau von allen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen. Also die Befreiung von Kapitalismus und Patriarchat. Dabei würden wir gerne noch einmal ausführlicher den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Patriarchat erläutern: Das Patriarchat ist das älteste Unterdrückungsverhältnis der Welt. Es entstand mit der Entstehung des Privateigentums und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung schon in der Urgesellschaft. Alle folgenden Gesellschafts- und Wirtschaftsysteme fußen somit auf dem Patriarchat. Somit auch der Kapitalismus. Der Kapitalismus hat sich die Mehrfachausbeutung der Frau zu eigen gemacht und profitiert durch ebendiese. Um also gegen unsere Unterdrückung anzukämpfen, um die Frauenbefreiung zu erreichen, müssen wir den Kapitalismus und das Patriarchat zerschlagen.

    Diese Unterdrückung kann nur durch die Unterdrückten aufgehoben werden. Das heißt: nur wir Frauen können uns selbst befreien. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir uns als Frauen und Arbeiter:innen zusammen schließen, organisieren und kämpfen. Um gemeinsam den Kapitalismus und das Patriarchat zu zerschlagen. Und eine klassenlose Gesellschaft zu errichten, in der alle Geschlechter befreit sind.

    In den kommenden Wochen, rund um den 25. November, dem Tag gegen Gewalt an Frauen, finden wieder in vielen Städten Aktionen gegen patriarchale Gewalt statt. Was plant ihr für diese Tage?

    Am 25. November werden wir in ganz Deutschland gegen Gewalt an Frauen auf die Straßen gehen. In verschiedenen Städten wie Köln oder Leipzig organisieren wir die Aktionen selber mit, in anderen sind wir mit der Föderation Klassenkämpferischer Organisationen (FKO) gemeinsam aktiv.

    In allen Städten haben wir das Ziel, gemeinsam mit Frauen aus verschiedenen Ländern auf der Straße zu stehen und den Tag gegen Gewalt an Frauen in all unsere Schulen, Universitäten, Betriebe und Familien zu tragen. Wichtig ist uns dabei jedoch auch, dass der Kampf gegen Gewalt an Frauen und gegen das Patriarchat nicht nur an einem 25. November oder dem 8. März, dem internationalen Frauenkampftag, stattfindet. Vielmehr müssen wir diesen Kampf jeden Tag führen, wenn wir tatsächlich etwas verändern wollen.

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