Millionen Menschen in Deutschland ächzen unter explodierenden Preisen. Die Bundesregierung hat klargemacht, dass es keinen vollen Ausgleich der Reallohnverluste geben wird. Preisexplosion und Verarmung für uns
und explodierende Profite für die Kapitalist:innen. – Ein Kommentar von Thomas Stark
Christian Lindner kündigt einen „Wohlstandsverlust“ an, mit dem sich alle abfinden müssten. Bundespräsident Steinmeier spricht von „härteren“, „rauen Jahren“, die auf uns zukommen. Doch gleichzeitig gibt es auch in Deutschland Finanzoligarch:innen und kapitalistische Unternehmer:innen, die durch Krieg und Krise reich werden und vom Staat großzügige Geschenke erhalten. Wir fragen: Wo geht das Geld hin, das Arbeiter:innen, Rentner:innen, Sozialleistungsempfänger:innen und Student:innen aus den Taschen gezogen wird?
Spätestens im Mai mussten alle aufhorchen: Während ganz Deutschland über den bevorstehenden Gasmangel sprach und die Preise in Supermärkten und Tankstellen explodierten, meldeten die deutschen Konzerne historische Gewinnausschüttungen. 57 Milliarden Euro – das war die Summe, welche die Firmen aus dem Börsenindex DAX als Dividenden auszahlen, also an ihre Aktionär:innen weiterreichen wollten. 60 Prozent aller börsennotierten Firmen haben demnach die Dividenden in diesem Jahr erhöht. Gegenüber dem Pandemie-Jahr 2020 hatte sich die Dividendensumme um ein Drittel gesteigert – auch damals hatte das deutsche Kapital nämlich genug auf der hohen Kante, um die eigenen Aktionär:innen reicher zu machen.
Die größten Gewinnausschütter 2022 waren die Autoindustrie (Mercedes Benz, BMW, Volkswagen), Industriekonzerne wie Siemens und Versicherungen wie die Allianz. Die Höhe ihrer Dividenden wurde als Zeichen dafür gewertet, dass diese Firmen trotz „neuer Risiken“ wie Krieg, Inflation und Lieferengpässen weiter mit sehr guten Geschäften rechnen. Dies bestätigte sich kürzlich, als die 40 DAX-Konzerne für das dritte Quartal 2022 den Rekordgewinn von 30 Milliarden Euro verbuchten – ein Plus von 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Geldregen für die Rüstungsindustrie
Letzteres ist nicht so verwunderlich, wenn man bedenkt, dass gerade Kriege immer wieder für florierende Geschäfte bei Industrie und Finanzwirtschaft gesorgt haben. Ganz besonders profitiert dabei die Rüstungsindustrie, die ihre Bauteile wiederum von anderen Industriekonzernen erhält und über Beteiligungen, Kredite und Versicherungen eng mit der Finanzbranche verbunden ist.
Es dürften sich also viele Unternehmensvorstände und Kapitaleigentümer:innen gefreut haben, als die Bundesregierung Ende Februar ein 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaket ankündigte und sich die Auftragsbücher der deutschen Rüstungskonzerne in kurzer Zeit auf Jahre hinaus füllten. Am Ende des ersten Quartals vermeldeten das Düsseldorfer Unternehmen Rheinmetall und die Waffenschmiede Heckler & Koch satte Gewinnsteigerungen. Rheinmetall-Chef Papperger rechnete für das Jahr sogar mit einem Wachstumsschub von 10 bis 15 Prozent.
Krisengewinner Transport- und Energiebranche
Neben dem Rüstungsgeschäft boomen in Folge von Krieg und Krise auch die Geschäfte mit Energie, Transport, Rohstoffen und Nahrungsmitteln. Transportreedereien etwa gehören schon seit der Corona-Pandemie und den anschließenden Störungen der weltweiten Lieferketten zu den großen Krisengewinnern: Je knapper die Transportkapazitäten auf See wurden, desto mehr erhöhten die Reedereien ihre Frachtpreise, zwischenzeitlich um das Siebenfache. Dies hat die starken Preissteigerungen für alle Arten von Waren schon vor der Energiekrise angetrieben – und Konzernen wie der Containerreederei Hapag-Lloyd wahre Traumjahre beschert. Ende September teilte das Hamburger Unternehmen mit, in den ersten neun Monaten des Jahres 13,8 Milliarden Euro Gewinn erzielt zu haben und damit mehr als das Doppelte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, das ebenfalls schon ein Rekordjahr für die Branche war.
Die Gaskrise wiederum nutzen Energie- und Transportkonzerne schamlos aus, um die eigenen Kassen zu füllen. Im November meldete das Handelsblatt, dass vor den Küsten Westeuropas mehr als 30 mit Flüssiggas beladene Tanker langsam umher schipperten. Die Schiffe steuerten die Häfen von Rotterdam oder Barcelona bewusst nicht zum Entladen an, weil die Gashändler aus Australien, Katar und den USA auf weiter steigende Preise warten wollten. Flüssiggas, das 2,7 Millionen Haushalte rund ein Jahr lang mit Energie versorgen könnte, wurde deshalb auf hoher See „geparkt“ – wovon auch die Transportfirmen satt profitiert haben werden.
Die Energiebranche dürfte infolge von Krieg und Krise ohnehin so viele Extraprofite einfahren wie kein anderer Wirtschaftssektor. Allein die deutschen Konzerne RWE, E.ON, Wintershall und andere verzeichnen im Jahr 2022 113 Milliarden Euro an Übergewinnen. 38 Milliarden davon entfallen auf Öl, 25 Milliarden auf Gas und 50 Milliarden auf das Geschäft mit Strom. Der Strommarkt ist dabei eine wahre Goldgrube für das Kapital, denn hier wird der Preis immer durch das teuerste Kraftwerk bestimmt. Das bedeutet: Steigt der Gaspreis, sahnen auch die Betreiber von Wind- und Solarenergie mit ab. Eine Besteuerung solcher Extraprofite lehnt FDP-„Wohlverstandsverlust“-Minister Lindner rigoros ab.
Spekulation mit Nahrungsmitteln
Auch der Komplex aus Finanzwirtschaft und Agrarindustrie zählt zu den großen Kriegs- und Krisenprofiteuren. Am 23. Februar, einen Tag vor Beginn des russischen Überfalls auf das Agrarland Ukraine, kostete eine Tonne Weizen an der Börse 287 Euro. Am nächsten Tag waren es 422 Euro. Seitdem ist der Krieg auch ein Krieg ums Getreide. Daran verdienen aber nicht nur Russland, sondern auch große börsennotierte Agrarfonds, hinter denen bekannte Konzerne wie Blackrock oder in Deutschland die Allianz und die Deutsche Bank (DWS) stehen. Infolge des Krieges sind darüber hinaus die Preise für Düngemittel explodiert, zwischenzeitlich auf das Fünffache. Darunter leiden Verbraucher:innen ebenso wie selbständige Landwirte, während die Industrie frohlockt. Zu den zehn größten Herstellern von Agrarchemikalien zählt auch die deutsche Firma K+S, die ihren Umsatz in diesem Jahr verdoppeln konnte.
Win-win-Geschäfte mit Russland
Das Sanktionsregime, das viele westliche Staaten über Russland verhängt haben, lässt sich ebenfalls zu Geld machen. Das Land, das gerade am meisten hieran verdient, dürfte wohl die Türkei sein, denn das Erdogan-Regime beteiligt sich nicht an den Sanktionen. Infolgedessen haben auch viele deutsche Firmen kurz nach Kriegsausbruch neue Standorte in der Türkei hochgezogen, um ihr Exportgeschäft mit Russland zu retten. Deutsche Waren etwa von Mercedes, Continental oder Henkel werden jetzt auf deutschen Containerschiffen nach Istanbul gebracht, dort umgeladen und weiter nach Russland transportiert.
Steuergeschenke
Während das große Kapital also seine Russlandexporte tarnt, Jahresladungen Erdgas auf dem Meer parkt, Abzockpraktiken beim Strompreis anwendet und an der Hungerkrise absahnt, ist es der deutsche Staat, der das Ganze noch auf die Spitze treibt und den Unternehmen ein Steuerpaket nach dem anderen schnürt. Nach dem 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm im Februar, das die Kassen des Rüstungskapitals hat klingeln lassen, kündigte Kanzler Scholz im Oktober seinen „Doppel-Wumms“ gegen hohe Energiepreise an. Ein „Entlastungspaket“ in Höhe von 200 Milliarden Euro soll angeblich die wirtschaftlichen Kriegsfolgen in Deutschland abmildern. Dass es dabei aber weniger um die Arbeiter:innenklasse als um Hilfen für das deutsche Kapital geht, haben als erstes Deutschlands europäische Konkurrenten ausgesprochen. Die Finanzminister Italiens und Spaniens kritisierten nämlich zutreffend, dass das Paket vor allem dazu dient, die Energiekosten des deutschen Kapitals zu senken, was diesem wiederum einen deutlichen Konkurrenzvorteil innerhalb der EU verschafft. Das Paket folgt auf die 130 Milliarden Euro, die der deutsche Staat bereits während der Corona-Pandemie in die deutsche Wirtschaft gepumpt hatte (wobei noch Bürgschaften hinzukommen).
Wem gehört das Kapital?
Während viele Millionen Arbeiter:innen, Rentner:innen, Sozialleistungsempfänger:innen, Student:innen und andere in Deutschland eine deutliche Verschlechterung ihrer materiellen Lebensbedingungen zu spüren bekommen, ist es das deutsche Kapital, das auf vielfältige Art an Krieg und Krise verdient. Das deutsche Kapital besteht aber nicht nur aus einer unübersichtlichen Vielzahl von Industriefirmen, Banken, Versicherungen, Fonds und anderen Gesellschaften. Hinter diesem Kapital steht nämlich eine verhältnismäßig kleine Zahl von realen Personen: Diese Oligarch:innen, also großen Kapitaleigentümer:innen sind es, die zusammen mit Manager:innen, Aufsichtsrät:innen und anderen Kapitalfunktionär:innen die Kontrolle über das Kapital ausüben und den überwiegenden Teil der Profite einstreichen.
In Deutschland gehören zu den größten dieser Oligarch:innen der Lidl-Gründer Dieter Schwarz mit einem geschätzten Vermögen von 36 Milliarden Euro, daneben teils uralte Familiendynastien wie Klatten-Quandt (BMW), Reimann (Konsumgüter), Merck (Pharma), Albrecht (Aldi), Porsche (VW) und Haniel (u.a. Metro). Dass das Börsenvermögen dieser Superreichen im laufenden Jahr abgenommen hat, ändert nichts daran, dass die Profite ihrer Firmen sprudeln und sie zum Teil kräftig expandieren können. Dieter Schwarz etwa hat sein Geschäft kürzlich um neue Bereiche wie Recycling, Lebensmittel- und Papierherstellung erweitert und eine eigene Container-Reederei gegründet.
Während der Bundespräsident die Bevölkerung auf „rauere“ Zeiten einstimmt, sind es also diese Personengruppen, die nicht nur die wahre Macht in diesem Land ausüben, sondern Krieg und Krise zum Ausbau dieser Macht benutzen – und zwar auf dem Rücken von Millionen Arbeiter:innen.