Der 31.03. ist der “Trans Day of Visibility”. So wichtig die erkämpften Erfolge auch sind, der Kampf gegen das Patriarchat und die unterdrückerische Wirkung des binären Geschlechtersystems muss vertieft werden, vor allem muss er sich gegen den Kapitalismus richten! – Ein Kommentar von Hedda Großheim
Heute, am 31.03., ist der “Trans Day of Visibility” (dt. Tag der Sichtbarkeit von trans Personen). An diesem Tag gehen Menschen weltweit auf die Straße für das Sichtbarwerden von trans Personen. Tage wie diese zeigen uns einmal mehr, dass Freiheit und Gleichheit aller Geschlechter auch in Zeiten von Girl-Boss-Feminismus und Regenbogenkapitalismus noch lange nicht erreicht wurden und es nach wie vor wichtig ist, gegen die Diskriminierung von Personen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität zu kämpfen.
Auch wenn es bedeutend ist, an diesem Tag die Kämpfe von trans Personen auf die Straße zu tragen, muss es in diesem Kampf um mehr als nur um Sichtbarkeit gehen.
Diskriminierung und Unterdrückung Hand in Hand mit Kapitalismus und Patriarchat
Seit 2009 ist der Trans Day of Visibility der Tag, an dem Menschen international die Errungenschaften von trans Personen würdigen und ihre Existenz gefeiert wird. Doch auch wenn seitdem einige Fortschritte für LGBTI+ Personen erkämpft werden konnten, sind trans Menschen weltweit nach wie vor tagtäglicher Diskriminierung und Unterdrückung ausgesetzt.
Ursache dafür ist das durch und durch kapitalistische und patriarchale System, in dem wir leben. Um das zu verstehen, müssen wir erkennen, dass Kapitalismus und Patriarchat aufs Engste miteinander verwoben sind: Im Kapitalismus ist das Einzige, was zählt, das Erzielen möglichst hoher Gewinne und damit die Anhäufung immenser Reichtümer einiger Weniger auf der Grundlage von Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse.
Um die Arbeiter:innenklasse immer weiter auspressen zu können und genügend Arbeitskräfte zu rekrutieren, welche die Gewinne für die Kapitalist:innen erwirtschaften sollen, ist es notwendig, die Arbeitskraft zu reproduzieren. Diese Reproduktion wird im Kapitalismus am kostengünstigsten organisiert und erledigt, wenn sie im Rahmen einer bürgerlichen Kleinfamilie vor sich geht: in der Regel also Mutter, Vater, Kind(er).
Im Zuge dessen werden typische patriarchale Rollenbilder verfestigt, und das binäre Geschlechtersystem wird mit aller Macht aufrecht erhalten. Wenn wir nun also diese Zusammenhänge berücksichtigen, können wir die Ursache für die Diskriminierung und Unterdrückung von trans Personen in unserer Gesellschaft klar erkennen: Mit ihrer Identität passen trans, inter und nicht-binäre Personen nämlich einfach nicht in dieses von Kapitalismus und Patriarchat vorgesehene Schema mit einer scheinbar „natürlichen“ Rollenverteilung zwischen Frau und Mann.
Unterdrückung von trans Personen im Kapitalismus
Aus dem Zusammenhang von Geschlechtsrolle und kapitalistischem System ergibt sich nicht nur, dass die Existenz von trans Menschen häufig nicht anerkannt wird. Vielmehr sind sie sogar ganz konkreten Angriffen von staatlicher Seite ausgesetzt. Wir können sehen, wie das Selbstbestimmungsrecht von trans Personen immer wieder beschnitten wird: Beispielsweise existiert nach wie vor das sogenannte “Transsexuellengesetz”, in dem unter anderem das entwürdige Verfahren geregelt ist, dem sich Personen unterziehen müssen, um zum Beispiel ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Auch der Zugang zu einer hormonellen Behandlung oder einer geschlechtsangleichenden Operation ist nicht nur ein sehr zermürbender Weg für die Personen, sondern auch ein sehr kostenintensiver. So bleibt dieser enorm wichtige Schritt zur körperlichen Selbstbestimmung denen vorbehalten, welche diese immensen Kosten stemmen können. Dies ist beileibe kein individuelles Problem von einigen Wenigen, sondern betrifft den Großteil unserer Klassengeschwister, die einen solchen Eingriff vornehmen lassen wollen.
Auch sind trans Personen besonders häufig von Diskriminierung und Ausgrenzung bis hin zur Gewalt am Arbeitsplatz betroffen. So hat laut Lesben- und Schwulenverband eine 2020 veröffentlichte Umfrage ergeben, dass 36% der befragten trans Personen in den vorangegangenen 12 Monaten Diskriminierung bei der Jobsuche und 39% Diskriminierung am Arbeitsplatz erfahren hatten. Für einen Großteil der befragten Personen hatte erlebte Hasskriminalität aufgrund ihrer Geschlechtsidentität darüber hinaus starke Auswirkungen auf verschiedene Bereiche ihres gesellschaftlichen Lebens. In der Folge ist es also kein Wunder, dass viele trans Personen aufgrund von prekären Lebenssituationen nicht die finanziellen Mittel haben, eine Transition durchzuführen.
Diese Unterdrückung steht, wie wir bereits festgestellt haben, in einem engen Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung des binären Geschlechtersystems durch Kapitalismus und Patriarchat. Welche Lösung müssen wir also finden, um dieses unterdrückerische und patriarchale System aufzubrechen, und welche Wege müssen wir gehen, wenn wir gegen diese Diskriminierung ankämpfen wollen?
Geschlechterbefreiung statt Regenbogenkapitalismus
Dass das Transsexuellengesetz veraltet ist, ist keine Frage, und es wird bereits ein langer Kampf um die Abschaffung dieser gesetzlichen Regelung geführt. Mitte des letzten Jahres wurden daher erste Eckpunkte für ein neues Gesetz herausgebracht: Dem sogenannten “Selbstbestimmungsgesetz”, das an die Stelle des Transsexuellengesetzes treten soll, soll damit der Weg geebnet werden.
Während dieses “neue” Gesetz in den bürgerlichen Medien als sehr fortschrittlich und als immense Errungenschaft für trans-Rechte gefeiert wird, müssen wir dabei klar haben, dass es zwar einige Verbesserungen mit sich bringt, jedoch nach wie vor kein Grund ist, den Kampf um körperliche Selbstbestimmung und die Befreiung aller Geschlechter zu beenden.
So soll in diesem überarbeiteten Gesetz beispielsweise ausschließlich die Vorgehensweise zur Namensänderung geregelt werden. An dem langwierigen, psychisch belastenden und kostenintensiven Verfahren zur hormonellen Behandlung oder geschlechtsangleichenden Operation ändert sich allerdings nichts. Hier sind die Personen weiterhin auf sich allein gestellt.
Ebenfalls ändert sich nichts daran, dass beispielsweise die Entscheidung über den Zugang zu sogenannten “Frauenschutzräumen” für trans Frauen oder auch die Zulassung zu sportlichen Wettbewerben weiterhin bei den entsprechenden Einrichtungen liegt und nicht gesetzlich und verbindlich geregelt ist. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die Betroffenen auch hier nicht vor Diskriminierung und Ausschluss aufgrund ihres Geschlechts geschützt sind.
Auch die Tatsache, dass sich viele Unternehmen “Gender Diversity” auf die Fahne schreiben und im Zuge des Christopher Street Day’s die Regenbogenflagge hissen, ändert nichts an ihrem Interesse, das binäre Geschlechtersystem sowie die kapitalistischen Produktionsverhältnisse weiterhin aufrechtzuerhalten. In Zeiten, in denen allein schon ein Zeichen von Diversität und der Forderung nach Selbstbestimmung zur guten PR-Aktion reicht und lediglich der Profitmaximierung dient, ist es also besonders wichtig, das Interesse zu entlarven und dem etwas entgegenzusetzen.
Wir müssen erkennen, dass uns die Freiheit und das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung in diesem System nicht geschenkt wird, sondern dass wir gemeinsam als Klasse dafür kämpfen müssen. Unser Kampf darf sich dabei nicht gegeneinander richten, sondern wir müssen uns Seite an Seite gegen die Ursachen der Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung richten, die wir täglich erleben. Und diese Ursachen sind der Kapitalismus und das Patriarchat.
Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir nicht nur am heutigen Trans Day of Visibility, sondern auch an jedem anderen Tag gemeinsam und organisiert als Klasse auf die Straße treten und deutlich machen, dass wir mehr sind als bloß “männlich, weiblich oder divers”. Wir müssen zeigen, dass wir nicht mehr bereit sind, uns in patriarchale Rollenbilder einordnen und als Arbeitskraft für ihre Gewinne verwerten zu lassen. Und wir müssen gemeinsam kämpfen für eine befreite Gesellschaft, in der alle Menschen selbstbestimmt und gleichberechtigt leben können.