„Open Source“-Entwicklung ist heute nicht nur gang und gäbe, sondern ein maßgeblicher Baustein in der Infrastruktur der gesamten IT-Branche. Dabei wird tagtäglich propagiert, dass Konkurrenz der einzige Antrieb für technologischen Fortschritt sei. Wie passt das zusammen und wie nutzen Riesenkonzerne die „Open Source“-Entwicklung aus? – Ein Kommentar
Was ist „Open Source“ überhaupt?
Wörtlich aus dem Englischen übersetzt bedeutet der Begriff „offene“ bzw. „freie Quelle“. Diese Bezeichnung trifft genau ins Schwarze, denn der Begriff „Open Source“ beschreibt einen Ansatz in der Software-Entwicklung, bei dem der geschriebene Quellcode veröffentlicht wird und von allen einseh- und bearbeitbar ist. Dies ermöglicht – neben vielen anderen Vorteilen – eine kollaborative Entwicklungsumgebung, in der jede:r Vorschläge zur Verbesserung oder Erweiterung des Projekts machen oder sogar einen „Fork“ (engl. Gabel), also ein neues Projekt/einen Abzweig auf der Grundlage des alten erstellen kann.
Somit hat jede:r die Möglichkeiten, am Projekt mitzuwirken oder den geschriebenen Code zu eigenen Zwecken weiter zu entwickeln. Open Source-Entwicklung wird inzwischen auch in anderen Bereichen des IT-Sektors, wie zum Beispiel bei der Entwicklung von Hardware, genutzt.
Bei alldem handelt es sich nun aber keinesfalls um eine kleine, abgespaltene und spleenige Hippie-Bewegung einiger weniger Computer-Nerds. Ganz im Gegenteil: Open Source-Entwicklung ist und war bereits seit der Entstehung der IT-Branche ein wichtiger Bestandteil von ihr. Ein Beispiel hierfür ist der „Linux-Kernel“. Ein Kernel ist der elementare Bestandteil eines Betriebssystems, der unter anderem die Kommunikation zwischen Hard- und Software, also zwischen den technischen Geräten und den Programmen, die auf ihnen laufen sollen, ermöglicht.
Linux wird heute von fast allen großen IT-Unternehmen zur Kontrolle von Servern, IT-Systemen und ganzen Data-Centers genutzt. Entwickelt wurde Linux allerdings nicht von einem Unternehmen in Konkurrenz mit einem anderen um mehr Marktanteile, sondern als persönliches Projekt und als Alternative zum kostenpflichtigen „UNIX“-Betriebssystem des damaligen Studenten Linus Torvalds. Seitdem wird die Linux-Software von Tausenden von Entwickler:innen kollaborativ vorangebracht.
Nicht zuletzt sind „Open Source“-Projekte auch wegen ihrer Sicherheit sehr beliebt. Man mag zwar zunächst annehmen, dass „Open Source“-Programme unsicherer wären, da ja jede:r den Quellcode einsehen kann. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall: zum einen können so „Bugs“ (unbeabsichtigte Fehler in Hard- und Software) viel schneller erkannt und beseitigt werden. Darüber hinaus können sich Nutzer:innen etwas sicherer sein, nicht über ihre Software ausspioniert zu werden. Im Gegenzug muss man bei Programmen, die privat entwickelt werden, stets darauf vertrauen, dass das Unternehmen, beziehungsweise die Organisation, die diese Software verkauft, nicht insgeheim doch Nutzer:innendaten sammelt.
Technologischer Fortschritt ohne Konkurrenz?
Dabei lernen wir doch in der Schule, dass technologischer Fortschritt nur durch Konkurrenz und im Kampf für immer höhere Profite entstehen kann, beziehungsweise dies die optimalen Umstände für Fortschritt seien. Wie kann es nun also sein, dass große Teile der IT-Branche auf Software angewiesen sind, die nicht im Konkurrenzkampf, sondern in kollaborativer Zusammenarbeit entwickelt wurde?
Grundsätzlich lässt sich diese Frage sehr einfach beantworten: Das Märchen der Konkurrenz als Taktgeber des Fortschritts ist nichts mehr als eine Fantasie, die lediglich als Rechtfertigung für das kapitalistische Wirtschaftssystem dient. Dies zeigt sich nicht nur anhand einzelner Phänomene wie hier der „Open Source“-Entwicklung, sondern zeichnet sich in vielen anderen Bereichen unseres Lebens ab. Der Fortschritt, der uns immer wieder als Ergebnis des Konkurrenzkampfes zwischen Unternehmen präsentiert wird, basiert nämlich in Wirklichkeit meist auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die zuvor in jahre- oder gar jahrzehnterlanger Zusammenarbeit verschiedenster Wissenschaftler:innen erarbeitet wurden, die ihre Arbeit schlicht und einfach öffentlich miteinander teilten, um die Sache voran zu bringen.
Ein gutes Beispiel hierfür sind Smartphones ganz allgemein und das „iPhone“ im besonderen: Als Steve Jobs 2005 das iPhone enthüllte und es als seine neueste Innovation in der menschlichen Kommunikation anpries, verschwieg er dabei ganz bewusst, dass dies gar nicht möglich gewesen wäre ohne die Entwicklung eines nutzbaren Touchscreens, ohne die effizientere Energiespeicherung in Akkus oder dutzender anderer technologischer Fortschritte, die größtenteils öffentlich entwickelt und durch Staatsgelder finanziert wurden.
Über das übliche Maß hinaus bietet der IT-Sektor die Gegebenheiten, die eine kollaborative Zusammenarbeit in ihrer Entwicklung nicht nur überlegen, sondern geradezu verpflichtend machen: Die rasend schnelle technologische Entwicklung in diesem Bereich, gepaart mit der unverzichtbaren Datensicherheit, die aufgrund der unfassbaren Profit-Möglichkeiten durch den Verkauf von Nutzer:innendaten, sowie den Anforderungen von Großunternehmen an IT-Systeme verlangt wird, zwingt die IT-Branche nämlich förmlich dazu, die je schnellste, effizienteste und sicherste Entwicklungsmethode zu nutzen. Dass riesige IT-Unternehmen wie Google, Amazon, Microsoft und Co. hier zu großen Teilen auf Open Source setzen, beweist erst recht, dass Konkurrenz als Antreiber von technologischem Fortschritt diesen Anforderungen eben nicht gerecht wird.
Open Source = Open Source?
Ist nun also alles, was Open Source ist, gut und sicher? – Nun ja, ganz so einfach ist es nicht, denn Open Source ist keine wohldefinierte Beschreibung, sondern eher ein Sammelbegriff für verschiedene Entwicklungsmethoden. Entscheidend für den entsprechenden Status einer Software ist nämlich die Lizenz, unter der sie veröffentlicht wird. Und hierbei gibt es verschiedenste Lizenzen, die jeweils ganz andere Regeln für die Verwendung und Weiterverbreitung der Software aufstellen:
Die „GNU-General Public License“ (GPL) und ihre verschiedenen Versionen stellen eine der beliebtesten Arten dar, Open Source-Software – wie beispielsweise den oben erwähnten Linux-Kernel – zu veröffentlichen. Das Besondere an dieser GPL-Lizenz ist, dass sie nicht nur dafür sorgt, dass alle den Quellcode der Software einsehen und modifizieren können, sondern zusätzlich vorschreibt, dass sowohl alle Modifizierungen des Codes, als auch andere Software, die GPL-Projekte als Basis hat, ebenfalls unter dieser Lizenz veröffentlicht werden müssen. So sichert sie ab, dass ein öffentlicher Code nicht proprietär gemacht werden kann und niemand diesen Code benutzen kann, um Software „unfrei“ zu verkaufen.
Andere Lizenzen beschränken sich oft nur darauf, festzulegen, dass der Code frei und öffentlich einseh- und modifizierbar ist, machen es aber durchaus möglich, ihn zum Entwickeln von proprietärer Software zu nutzen.
Wie Großkonzerne Open Source-Software ausnutzen
Doch selbst Open Source kann nichts an den materiellen Produktionsbedingungen des Kapitalismus ändern und auf magische Weise für eine allseits akzeptierte kollaborative Zusammenarbeit sorgen. So nutzen Riesenkonzerne und „innovative“ Tech-Start-ups regelmäßig „Open Source“-Software zu ihren eigenen Zwecken aus, ohne dabei auf die Ideen oder gar Gesetze der „Open Source“-Entwicklung zu achten.
Zum einen zeigt sich das darin, dass ein Code, der unter der oben erwähnten GPL-Lizenz veröffentlicht wurde, trotzdem sehr häufig trotzdem für käufliche Software verwendet wird. Das ist zwar illegal, doch das Kapital handelt hier klar nach der Devise: „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Denn: um diese Unternehmen zu belangen, müsste man erst einmal herausfinden und beweisen können, dass sie gegen die Lizenz verstoßen haben. Das ist bei proprietärer Software jedoch nahezu unmöglich, da es für die ursprünglichen Entwickler:innen und Entwicklungsteams – die dies häufig nur nebenbei oder als Hobby, also unentgeltlich machen – kaum eine Chance gibt, gegen Riesenkonzerne und ihre Rechtsabteilungen anzukommen. Des Weiteren können Unternehmen den gestohlenen Code gerade mal so geringfügig verändern, dass er rechtlich als Neuerfindung gilt, und sich so die Arbeit von freiwilligen Entwickler:innen umsonst unter den Nagel reißen.
Doch nicht nur durch Betrug und gestohlene Erfindungen profitieren Kapitalist:innen von Open Source-Software. Sie öffnet insbesondere den größten IT-Konzernen Tür und Tor für ihre Marktbeherrschung. Um zu erklären wie das funktioniert, wollen wir im folgenden als Beispiel einmal die Internet-Browser betrachten:
Im Jahr 2014 veröffentlichte Google „Chromium“, einen Open Source-Webbrowser, auf dessen Grundlage in der Folge Google’s kostenpflichtiger „Chrome“-Browser entwickelt wurde.
Durch die Unmengen an Ressourcen, die Google in die Entwicklung dieses Browsers steckte, sowie die aktive Unterdrückung und Verdrängung anderer Browser gewann dieser rasant an Popularität und dominiert heute den Markt: rund 80% aller Nutzer:innen nutzen heute einen Browser, der auf Chromium basiert – was Google natürlich ein enormes Monopol im Browser-Markt verschafft. Zum Vergleich: Mozillas „Firefox“, der einzige Open Source-Browser mit ansatzweise ähnlicher Popularität, hat heute einen Marktanteil von nicht einmal 7%.
Dies führte dazu, dass viele Websites und Apps heute nur noch für Chromium-basierte Browser entwickelt und instand gehalten und so andere Webbrowser noch weiter vom Markt verdrängt werden. Da Google des Weiteren einige wichtige Features nicht in Chromium, sondern stattdessen nur im unfreien Chrome-Browser einbaut, spült diese Strategie dem Konzern eine Unmenge an Kunden und Profit in die Arme.
Zwar wäre es jetzt theoretisch möglich, eine Fork des Chromium-Projekts zu erstellen und Google so das Monopol aus den Händen zu reißen, doch faktisch ist dies quasi unmöglich: Insbesondere bei einer so marktbeherrschenden Software sind Sicherheit und IT-Support nicht nur unglaublich wichtig, sondern einfach notwendig. Um all dies allerdings anbieten zu können, braucht es eine sehr große Anzahl an Entwickler:innen, welche die Software instand halten, darüber hinaus eine Vielzahl anderer Ressourcen. Die monetären und logistischen Mittel für ein solches Unterfangen kann aber eben nur ein Riesenkonzern wie Google aufbringen.
Die Open Source-Entwicklung zeigt uns unter dem Strich, dass Konkurrenz eben keineswegs notwendiger Antrieb für technologische Entwicklung ist, und dass ein Wirtschaftssystem, das auf Solidarität und Zusammenarbeit basiert, durchaus denkbar und möglich ist. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass diese Entwicklungsmethode im Kapitalismus aufgrund von Profit-Interessen sowohl behindert, als auch ausgenutzt wird. Erst in einer sozialistischen Gesellschaft, in der nicht mehr die Interessen einiger weniger Kapitalist:innen über denen der Arbeiter:innen stehen, würde und wird sich ihr volles Potential entfalten.