Der Olympiapark Berlin 2023. Einst Hochburg nationalsozialistischer Propaganda, heute erstmals Veranstaltungsort der „Special Olympics World Summer Games 2023“. Vom 17. bis zum 26 Juni messen sich Athlet:innen mit geistigen Behinderungen auf dem ehemaligen Reichssportfeld von 1936 in ihren Sportarten. Umgeben von Kunst und Kultur aus dem „Dritten Reich“. – Ein Kommentar von Olga Goldman
Bei den „Special Olympics World Summer Games“ 2023 in Berlin treffen Inklusion und Nazi-Ästhetik aufeinander. Gut erhalten und teilweise originalgetreu restauriert befinden sich im Berliner Olympiapark das denkmalgeschützte Maifeld, das Sportforum, das Haus des Deutschen Sports, der Glockenturm – der während seiner Bauphase „Führerturm“ genannt wurde -, der Friesenhof und die Friesenallee. Seit 1936 hat sich hier nicht viel verändert.
Straßennamen und Plätze wurden weder umbenannt noch zeitgemäß kommentiert. Das Gelände, das für das NS-Regime zur Propaganda von idealisierten Körperbildern, rassistischem, sexistischem und kolonialem Gedankengut diente, ist praktisch unangetastet geblieben.
Bei der Eröffnungsfeier der Special Olympics World Games 2023 wird das Bild eines israelischen Künstlers inszeniert, um „ein Zeichen zu setzten“, so Sven Albrecht, Geschäftsführer der Special Olympics Deutschland. Er hofft, dass die Athlet:innen der Spiele damit auch zukünftig im Olympiapark Berlin sichtbar sein werden und somit einen Gegenpol zum Nazi-Erbe bilden.
Mit dem Ziel „erbgesunde“ Menschen für den sogenannten „Volkskörper“ zu erziehen, ermordeten die Nationalsozialisten zwischen 1940-1941 systematisch Menschen mit Behinderungen oder beispielsweise psychischen Erkrankungen im Rahmen der sogenannten „Aktion T4″(benannt nach der verantwortlichen „Zentraldienststelle“ in der Tiergartenstraße 4). Menschen, die nicht in das Weltbild der Nazis passten, wurde das Recht auf Leben aberkannt.
Sportpark mit Nazi-Kunst
Die Nazi-Vision von einem gesunden „Volkskörper“ ist in den monumentalen Skulpturen, wie zum Beispiel „Die Diskuswerfer“ und „Die Staffelläufer“ von Karl Albiker aus den Jahren 1935 bis ’37, auf dem Olympiaplatz in Stein gehauen.
Mit Symbolen und Schriften der Nazis wurden im Olympiapark Berlin Körper, Sport und Staat nationalsozialistisch inszeniert. Das akkurat renovierte Wandrelief im Sportforum beispielsweise zeigt nackte Männer beim Bogenschießen, deren trainierte Körper metaphorisch das „Überleben des Stärksten“ verkörpern.
Die Körperbilder und ihr „nordisches Aussehen“ erinnern an Skulpturen und Malereien aus der Antike, die man zum politischen und kulturellen Erbe des „Deutschen Reichs“ erklärte. Denn der Rassentheorie und Stammbaumlinie zufolge sein die Griechen „Arier“ gewesen.
Neben diesen Bildern sind Auszüge aus dem „ans Vaterland“ gerichteten Gedicht „An die Empfindsamen“ von F. T. Vischer zu finden, in dem unter anderem von der „Kraft im Schlagen [und] Ertragen“ die Rede ist. Der deutsche „Volkskörper“, trainiert und gestählt für den Kampf für die Nation, wird somit zum Symbol der Rassenhygiene, basierend auf den Theorien des Sozialdarwinismus.
Während in solchen Bildern Männer die Rolle des „Helden der Tat“ übernehmen, repräsentieren Frauen die Heimat, die befreite Nation und die Natürlichkeit von faschistischen Werten und Zuständen. Weichheit im Sinne der Emotionalität wird als Defizit dargestellt. Eine Ansicht, welche die Herausbildung eines autoritär-patriarchalen Charakter-Typs förderte.
Die Berliner Politik sieht das Problem nicht
Als Hauptstadt eines Landes, das sich mit seiner Sorgfalt hinsichtlich der geschichtlichen Aufarbeitung der NS-Zeit brüstet, fehlt es Berlin hier jedoch an einem zeitgemäßen Umgang mit der Nazi-Architektur. Auf der Internetseite der Senatsverwaltung für Inneres und Sport wird der Olympiapark Berlin als „eines der größten und bedeutendsten öffentlichen Sportgelände in Europa“ dargestellt. Auch hier wird nicht auf das geschichtliche Erbe eingegangen.
Das Maifeld, das damals für Aufmärsche von bis zu 250.000 Menschen genutzt wurde, ist heute Trainingsplatz des Hertha BSC und dient als Veranstaltungsstätte für Events und Messen. Das gesamte Gelände ist öffentlich zugänglich, einen Kommentar zu der dort dargestellten NS-„Kultur“ sucht man jedoch vergeblich.
Vor internationalen Großereignissen wurden und werden immer wieder Stimmen laut, die sich von den Kunst- und Kulturbildern des Nationalsozialismus distanzieren und die kontextuelle Einordnung der Naziarchitektur im Sinne des Antifaschismus fordern. SPD-Politiker Peter Strieder forderte z.B. 2020 in einem Artikel der Zeit die Entnazifizierung des Olympiageländes. Er sieht hier die Arbeit des Denkmalschutzes als nicht hinreichend: „Insbesondere in einer Zeit, in der Rechte und Nazis wieder an Bedeutung gewinnen, ist es falsch, so etwas unverändert zu bewahren.“, so Strieder.
Auch Historiker Magnus Brechtken hält die Arbeit des Denkmalschutzes für unzureichend und fordert zusammen mit Tobias Hof in einer historisch-analytischen Bewertung des Geländes und seiner NS-Tradition einen geschichtsbewussteren Umgang mit den Hinterlassenschaften der Nazis.
Der Senat für Inneres und Sport lehnt Änderungen aufgrund des Denkmalschutzes seit Jahrzehnten ab. Gerry Woop, als Staatssekretär für den Denkmalschutz zuständig, meinte 2021 in einem Interview mit der Süddeutschen, dass man sich mit dem „Abräumen der Substanz“ „der Erkenntnis“ beraube.
Thomas Härtel, Präsident des Landessportbundes, sieht den Olympiapark Berlin als „Denkmal und Zeugnis der Olympischen Idee, Zentrum für Breiten- und Spitzensport, Ort für Kulturveranstaltungen und Grünraum, NS-Erbe und eine der bedeutendsten Sportanlagen des 20. Jahrhunderts“.
Die Erinnerung an den Faschismus müssen wir selbst lebendig halten!
Solche Thesen veranschaulichen die bewusste Ignoranz der Berliner Bürokratie gegenüber Wirkung und Symbolik des Olympiaparks, die – ohne zu mahnen – an den Faschismus in Deutschland erinnern und deshalb idealisierend wirken.
So ist auch der Vorschlag des Berliner Innen- und Sportsenators Andreas Geisel (SPD), die Olympischen und Paralympischen Spiele 2036 in Deutschland auszutragen – ein Versuch, der bereits siebenmal gescheitert ist – wenig überraschend und wird von Bundesinnenministerin Nancy Faeser stark befürwortet. Und noch einmal Thomas Härtel: Einhundert Jahre nach den Spielen der Nazidiktatur 1936, in denen Körperkult und Rassenwahn zelebriert wurden, könne so auf die Entwicklung Deutschlands „zu einem demokratischen, friedvollen und weltoffenen Land“ zurückgeblickt werden. Jedoch scheint es immer noch ein Land zu sein, das seiner Geschichte bis heute nicht gewachsen ist.
Den Zusammenhang zwischen Kunst und Politik nicht zu erkennen, ihn als unwichtig abzutun oder unkommentiert zu lassen, ist jedoch leichtsinnig: Kunst liegt nicht nur im Auge des Betrachters. Propaganda wirkt unterbewusst und vermittelt dadurch Werte, die so zum Beispiel eine Identifikationsgrundlage mit faschistischen Ideologien schaffen. Solche Kunstwerke haben eine Symbolfunktion und sind politisch lesbar, weswegen eine antifaschistische kontextuelle Einordnung unbedingt nötig ist. Von der Berliner Verwaltung können wir diese jedoch wohl nicht erwarten, sondern müssen sie selber leisten.