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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Korsische Kommunist:innen: „Unser Ziel ist es, die sozialistische Revolution auf Korsika zu erreichen.“

Auf Korsika leisten Jugendliche Widerstand gegen Massentourismus und den französischen Imperialismus. – Ein Interview mit einer kommunistischen Jugendorganisation.

Eine früher für ihre Militanz und ihren Kampfgeist berüchtigte mediterrane Insel wacht langsam aus ihrem Schlaf der Zufriedenheit auf, um sich erneut gegen Fremdbestimmung und Ausbeutung zu wehren. Auf Korsika organisieren sich revolutionäre Jugendliche, die entschlossen die Veränderung der aktuellen Zustände in Angriff nehmen möchten.

Seit der französischen Kolonisierung Korsikas haben die Bewohner:innen der Insel stets Widerstand geleistet, ob in Form von Streiks oder bewaffnet – ruhig war es selten. Der militante Kampf erreichte seinen Höhepunkt in den 70er- und 80er-Jahren und wurde großteils von sozialistischen Kräften angeführt. Er zielte vor allem auf die Präsenz des französischen Staats auf Korsika ab, doch diese Bewegung wurde schnell von Faschist:innen vereinnahmt. Es bildeten sich mafiöse Strukturen und das Feindbild wurde auf Migrant:innen gelenkt. Aufgrund wahlloser Schießereien und Morde in den eigenen Reihen verloren die Milizen schnell an Sympathie. Nach starken Repressionen und vielen Verhaftungen zerbrach die Bewegung langsam.

Die Jugendlichen, die in dieser Zeit der Gewalt und des Verrats aufwuchsen, wandten sich fast ausschließlich vom militanten Widerstand ab und setzten ihre Hoffnung auf Wahlen und Kooperation mit dem französischen Staat. Doch dieses entgegengebrachte Vertrauen brachte nur weitere Enttäuschung und kaum Verbesserungen der Lebensumstände. Korsika ist die ärmste, und trotzdem eine der teuersten „Regionen Frankreichs“, die Lebenskosten sind kaum stemmbar. Die Wirtschaft wurde in den letzten Jahrzehnten dermaßen auf den Tourismus-Sektor reduziert, dass es quasi gar keine Landwirtschaft und kein Handwerk mehr gibt.

Im Frühjahr 2022 führte der Mord an Yvan Colonna, einem korsischen Widerstandskämpfer, der im Gefängnis unter dubiosen Umständen von einem Faschisten ermordet wurde, schließlich zu riesigen Protesten. Die neue Generation der Jugendlichen hatte die Angst ihrer Eltern vor Militanz und Gewaltbereitschaft abgelegt und ging wieder kämpferisch auf die Straße. Die Aufstände dauerten mehrere Wochen an und zeigten dem französischen Staat, dass er es auch mit den brutalsten Repressionen niemals schaffen würde, den Widerstand komplett zu brechen.

Ein weiteres aktuelles Beispiel staatlicher Gewalt ist die Verhaftung von Lisandru Peru, einem 16-jährigen Korsen, der aufgrund einer angeblichen „Anti-Terror-Ermittlung“ gegen eine im Verborgenen befindliche Miliz verhaftet wurde. Der Minderjährige wurde von der französischen Staatsmacht nach Paris gebracht, 1.000 Kilometer von seiner Heimat und seiner Familie entfernt, wo er jetzt unter Hausarrest steht. Obwohl es auch auf Korsika ein Gefängnis gibt, werden Widerstandskämpfer nach Paris, ins Zentrum der Staatsgewalt gebracht, um sie von ihrer Umgebung zu isolieren.

Mit der Energie des neu erstarkten Kampfgeistes der Jugend hat sich vor fünf Jahren die marxistisch-leninistische Organisation „Ghjuventù Comunista Cismuntinca“ (Kommunistische Jugend Nordkorsikas) gegründet, die sowohl den Kampf für den Sozialismus, als auch die Selbstbestimmung Korsikas anstrebt. – Wir haben ein Interview mit ihr geführt.

Warum war die Gründung einer neuen revolutionären Organisation aus eurer Sicht notwendig und wie kam sie zustande?

Als wir uns 2017 gründeten, war der Zustand der Linken auf Korsika erbärmlich, erst recht für die revolutionären Organisationen. Deshalb haben wir, die jungen korsischen Proletarier:innen, uns organisiert, um den heute mehr denn je notwendigen revolutionär-kommunistischen Weg auf unserer Insel wieder zu ebnen.

Wir haben in den letzten Jahren echte Fortschritte gemacht, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis, sodass wir nun mehrere Dutzend Aktivist:innen auf fast der gesamten Insel mobilisieren können, insbesondere durch unser Solidaritätsnetzwerk „Sucialismu o barbaria“.

Welche Themen sind aktuell auf Korsika präsent? Womit beschäftigt ihr euch besonders?

Nach den Wahlen und dem Kampf gegen die Rentenreform werden sich unsere Kampagnen auf Antifaschismus und den Kampf gegen den Massentourismus, der vom französischen Imperialismus ausgeht, konzentrieren. Die nationale Bourgeoisie befindet sich momentan in einer Offensive mit faschistoiden Zügen, die uns zwingt, sie mit Kraft zu bekämpfen.

Ihr habt vor wenigen Wochen an der ersten Pride-Demo auf Korsika teilgenommen, wie lief das?

Ja, tatsächlich haben wir mit unserem Netzwerk Socialismu o Barbaria die erste Pride-Demonstration in Bastia unterstützt und mit organisiert. Dieser Tag wird ein historischer Kampftag für die progressiven Kräfte Korsikas bleiben. Der Marsch verlief trotz wiederholter Drohungen auf sozialen Medien seitens der örtlichen Faschist:innen reibungslos. Die Veranstaltung brachte einige hundert Menschen zusammen, die feiern und dabei eine zutiefst politische Botschaft des Kampfes und der Hoffnung auf die Straße tragen konnten.

Man hört viel von rechten und faschistischen Kräften, die Zustimmung aus der Bevölkerung bekommen. Wie schätzt ihr die Macht dieser Kräfte ein?

Der Aufstieg des Faschismus auf Korsika ist eine ernst zu nehmende Bedrohung und ein Spiegelbild der Entwicklung in Europa und der Welt. Wir sind nicht vor weltweiten Trends geschützt, auch wenn wir unsere Besonderheiten haben. Der Rechtsruck, den Korsika seit den 1990er Jahren erfährt, ist real und dominiert leider die öffentlichen Debatten und die politische Landschaft. Dennoch sind wir noch weit von dem entfernt, was beispielsweise in Frankreich der Fall ist, wo regelmäßig faschistische Milizen auftauchen.

Wie schätzt ihr die Proteste nach dem Mord an Yvan Colonna 2022 ein?

Die Aufstände nach der Ermordung von Yvan haben mehrere Dinge gezeigt: Die Mehrheit der Korsen war zutiefst schockiert und unterstützte die gewalttätigen Auseinandersetzungen mit all ihren Kräften. Bei jedem Ereignis standen mehrere hundert Jugendliche an vorderster Front, getrieben von einem Gefühl der Ungerechtigkeit und legitimer Wut, aber vor allem waren es Zehntausende von Menschen in den Demonstrationen dahinter, die sie ermutigten, unterstützten und ihnen Schutz vor der extremen Gewalt der Marionetten des französischen Staats boten.

Tatsächlich haben diese Unruhen auch die Eskalation der Gewalt und die blinde Repression gezeigt, die der Kolonialstaat an den Tag gelegt hat: Sonderbrigaden von Eliteeinheiten, die zum ersten Mal bei uns eingesetzt wurden, Hunderte von Schwerverletzten (die meisten von ihnen minderjährig), Entführungen, Scheinprozesse, um ein Exempel zu statuieren etc. Die Wut des korsischen Volkes auf seine Unterdrücker wurde dadurch nur noch größer.

Wie hängt der Kampf um die Selbstbestimmung Korsikas mit dem Kampf für den Sozialismus zusammen?

r uns als marxistisch-leninistische Jugendorganisation ist die Selbstermächtigung unseres Volkes für seine Emanzipation essentiell. Wie können wir den Kommunismus und unsere Ideale von sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit erreichen, wenn Frankreich unsere Wirtschaft zerstört, uns zu einem Badeort für Spießer macht und uns immer mehr in eine endlose Spirale der Armut stürzt? Korsika ist die ärmste “Region Frankreichs“, die zu 80% vom Tourismus und der Bauwirtschaft lebt.

Während sich eine Minderheit der nationalen Bourgeoisie an Immobilienspekulationen und Luxustourismus bereichert und damit Klimakatastrophen und unsichere Arbeitsplätze verursacht, stirbt die große Mehrheit der Korsen oder geht ins Exil, weil es an medizinischer Versorgung und Arbeit mangelt. Und wenn sie sich dagegen auflehnen, werden sie von Frankreich eingesperrt oder schlimm zugerichtet. Wir, die Avantgarde des Proletariats, müssen das Bewusstsein unseres Volkes schärfen, um unseren nationalen Befreiungskampf auf der Grundlage des Klassenkampfes und der Diktatur des Proletariats zu führen, um schließlich den Kommunismus auf unserer Insel aufzubauen.

Was heißt Selbstbestimmung für euch und warum haltet ihr es für notwendig, dass Korsika sich von Frankreich löst?

Der Kampf für den Sozialismus kann nicht aufgebaut werden, ohne gegen die Kolonisierung eines Landes zu kämpfen. Lenin hat den Imperialismus als letztes Stadium des Kapitalismus definiert. Jeder muss den Imperialismus in seinem Land bekämpfen und seinen Brüdern und Schwestern unter der Fahne des Internationalismus helfen. Wie in Vietnam, Algerien und überall sonst unterdrückt der französische Staat die nationalen Befreiungsbewegungen, weil sie Zeichen des Fortschritts sind und von Kommunisten getragen werden.

Was sind kurz- und langfristige Ziele eurer Organisation?

Unser kurzfristiges Ziel ist es, unsere Organisation und ihr Netzwerk Socialismu o Barbaria sowie unsere internationalen Beziehungen zu festigen und zu vergrößern. Langfristig müssen wir die kommunistische Partei durch eine Einheitsfront wieder aufbauen, um unseren nationalen Befreiungskampf durch den bewaffneten Kampf erfolgreich zu führen. Unser Ziel ist es, die sozialistische Revolution zu erreichen, um die Diktatur des Proletariats und den Kommunismus auf Korsika zu errichten.

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