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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Wirkliche „Inklusion“ ist in diesem System unmöglich

Inklusion bedeutet, Menschen mit Handicap die uneingeschränkte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Auch wenn mittlerweile Inklusion Parole und Ziel der bürgerlichen Politik ist, sieht die reale Umsetzung ganz anders aus. Warum ist das so? Und ist eine wirkliche Teilhabe von behinderten Menschen innerhalb von kapitalistischen Verhältnissen überhaupt möglich? – Ein Kommentar von Quentin Klaas.

Im Jahr 2009 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention von der BRD unterzeichnet. Damit verpflichtete sich die deutsche Regierung, Maßnahmen zu beschließen, um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung auf allen Ebenen der Gesellschaft zu gewährleisten. Seitdem sind einige Jahre ins Land gegangen, doch verändert hat sich nicht viel geschweige denn, dass bedeutende Schritte zur wirklichen Teilhabe getan worden wären.

Das Hauptaugenmerk im Umgang mit Menschen mit Behinderung liegt von Seiten des kapitalistischen Staats weiterhin auf gesellschaftlicher Isolierung und Abschottung: Jede zehnte Schule ist als eine sogenannte Förderschule eingerichtet, in denen behinderte junge Menschen isoliert vom üblichen gesellschaftlichen Alltag unterrichtet werden.

Nach der Schulzeit sieht die Situation nicht besser aus, denn auch im System der kapitalistischen Lohnarbeit werden behinderte Menschen besonders ausgebeutet. Rund 310.000 Menschen mit Handicap arbeiten in sogenannten Werkstätten. Arbeiter:innen in Werkstätten bekommen ungefähr 1,35 € Lohn in der Stunde bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 bis 40 Stunden. Dort lassen Unternehmen Teile für ihre Produktion herstellen. Hier bleiben behinderte Menschen meist ihr Leben lang in einem System gefangen, dass ihnen noch nicht einmal den eigenen Lebensunterhalt sichert.

Auch im gesellschaftlichen Alltag werden gehandicapte Arbeiter:innen ausgeschlossen. Staatliche Einrichtungen sind zwar mittlerweile meist barrierefrei, allerdings trifft dies weder auf private Geschäfte, noch auf gesellschaftliche Orte wie Clubs, Bars oder viele Theater zu. Wer als Mensch mit Behinderung nur einmal mit dem Öffentlichen Nahverkehr unterwegs war, weiß, dass auch hier keineswegs von Barrierefreiheit gesprochen werden kann.

Der Staat will keine Inklusion

In Wahl- und Parteiprogrammen der kapitalistischen Parteien findet man viele Versprechungen und Ziele, die Inklusion von behinderten Menschen voranzutreiben. Von sozialdemokratisch bis konservativ werden Lippenbekenntnisse formuliert und kleinste Verbesserungen als Fortschritt verkauft.

Die Realität zeigt, dass die meisten Versprechen nur leere Worte sind: Wer als behinderter Mensch in dieser Gesellschaft lebt, trifft ständig auf Hindernisse. Was man zu hören bekommt, wenn man diese Verhältnisse kritisiert, sind Ausflüchte oder vorgeschobene Argumente, warum man dann doch keine wirklichen Verbesserungen beschließen möchte. Diese Ausreden sind oft nicht stichhaltig und widerlegen den Willen der Politik, diese Probleme wirklich anzugehen.

Dass es nicht wirklich den Willen gibt, die Teilhabe von behinderten Menschen umzusetzen, ist auch in weiten Teilen der Bewegung, die sich für die Rechte der Menschen mit Behinderung einsetzt, angekommen. Da die Bewegung von bürgerlichen Stimmen dominiert wird, sind die Lösungsmöglichkeiten fast ausschließlich in das kapitalistische System eingebettet, und die Ursache, der Kapitalismus, wird nicht angegriffen.

Inklusion ist im Kapitalismus nicht möglich

Die grundlegende Funktionsweise des Kapitalismus führt zwangsläufig zur Abwertung und verschärften Ausbeutung von Menschen, die von den Kapitalist:innen nicht auf die gleiche umfassende Weise ausgebeutet werden können, wie andere Arbeiter:innen. Menschen mit Behinderung können in vielen Teilen der kapitalistischen Produktion nicht maximal gewinnbringend eingesetzt werden und sind dadurch in den Augen des Kapitals nutzlos. Das ist die wesentliche gesellschaftliche Ursache für die ungleiche Teilhabe und die Isolation von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft.

Die fehlende Inklusion und überhaupt die Gleichstellung von behinderten Menschen im bürgerlichen Sinne ist weder ein Fehler im System, noch ist der Staat dazu geeignet, Bündnispartner für die Durchsetzung unserer Rechte zu sein. Die Abwertung und Unterdrückung wird weitergehen, solange wir im Kapitalismus leben. Und bereits erkämpfte Fortschritte werden uns genommen, wenn sich das Haupt des Faschismus wieder erhebt.

Es wird Zeit, dass wir als behinderte Arbeiter:innen unseren rechtmäßigen Platz im Klassenkampf einnehmen und gemeinsam mit allen Teilen der Arbeiter:innenklasse in diesem Land und international für eine sozialistische Gesellschaft kämpfen.

In einer sozialistischen Gesellschaft steht nämlich nicht der Profit im Vordergrund, sondern die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen und die menschliche Gestaltung von Arbeits und Lebensprozessen. Während heute behinderte Arbeiter:innen dem Arbeitsprozess untergeordnet werden, wird in einer sozialistischen Gesellschaft ein würdiger Platz für die Beteiligung von Menschen mit Behinderung am Arbeits- und gesellschaftlichen Leben geschaffen werden können.

Denn nur in einer solchen Gesellschaft wird die Abwertung und Unterdrückung ein Ende haben und wir werden als gleichwertige Menschen angesehen, die ihre Fähigkeiten einbringen können und an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens uneingeschränkt teilhaben können.

Quentin Klaas
Quentin Klaas
Auszubildender im öffentlichen Dienst aus Hessen. Schreibt über Klassenkämpfe und innenpolitische Entwicklungen in der BRD. Er wurde über den Umweltaktivismus politisiert und schreibt seit 2023 für Perspektive.

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