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Montag, April 29, 2024
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    „Housing First“ – Effektives Mittel gegen Obdachlosigkeit?

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    Obdachlosigkeit ist ein drängendes Problem in Deutschland. Ein Lösungsansansatz namens „Housing First“ liefert seit Jahren positive Ergebnisse bei der Bekämpfung der Obdachlosigkeit. Doch reicht das? – Ein Kommentar von Marius Becker.

    Nach einer Erfassung des Statistischen Bundesamts erhöhte sich die Zahl der untergebrachten Wohnungslosen zum Stichtag im Januar 2023 auf 372.000 – davon sind etwa 130.000 ukrainische Geflüchtete. Im Jahr 2022 waren in Deutschland 178.000 wohnungslose Menschen untergebracht. Dazu kamen 37.000 Menschen, die auf der Straße lebten, und weitere 45.000, die verdeckt wohnungslos waren. Das bedeutet, dass sie zeitweise beispielsweise bei Freund:innen oder Bekannten unterkommen.

    Obdachlose Menschen müssen unter harten Bedingungen auf der Straße leben, haben kaum einen Zugang zum Gesundheitswesen und sind häufiger Opfer von Gewalttaten. Auch wenn das Thema der Obdachlosigkeit in der Politik oft nur dann auf der Tagesordnung steht, wenn es darum geht, „unliebsame“ Obdachlose aus Innenstädten zu verdrängen, gibt es aber auch Versuche, der Obdachlosigkeit entgegenzuwirken. Ein solches Projekt ist beispielsweise „Housing First“ („Zuerst Wohnen“).

    Was ist „Housing First“?

    „Housing First“, auch „rapid re-housing“ genannt, ist ein aus den USA stammendes Konzept zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit. Hierbei soll eine Alternative zu bisherigen Systemen der Notunterbringung oder zur vorübergehenden Unterbringung geschaffen werden. „Housing First“ basiert darauf, dass eine obdachlose Person oder Familie als zuallererst eine stabile Unterkunft braucht und andere Angelegenheiten erst danach angegangen werden können, da die Sicherheit und Stabilität einer eigenen Wohnung die notwendige Grundlage darstellen.

    Betroffene Personen müssen sich also nicht erst für eine Wohnung qualifizieren und müssen auch keine Abstinenz von Alkohol oder anderen Substanzen vorweisen. Die Wohnung dient anschließend als Grundlage, um Jobsuche, Suchtbekämpfung oder psychologische Betreuung zu ermöglichen. Die Betroffenen sollen sich so in einem würdevollen Umfeld stabilisieren können.

    Konzept zeigt erste Erfolge

    Nach ersten US-amerikanischen Studien aus dem Jahre 2008 verringerte sich die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, in Gebieten mit einem solchen Programm um 30%, sodass sogar die Zahl der Notunterbringungen reduziert werden konnte. Mittlerweile wird „Housing First“ auch in europäischen Ländern praktiziert: darunter Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich und Spanien.

    Besonders erfolgreich ist das Konzept in Finnland. Seit dem Beginn von „Housing First“ im Jahr 2008 auf nationaler Ebene hat das Land die Zahl seiner Obdachlosen mehr als halbiert: von 8.260 auf 3.686 im Jahr 2022. Bis 2027 soll Obdachlosigkeit in Finnland vollständig überwunden sein. Auch in Berlin findet das Konzept in Form von Modellprojekten Anwendung und kann ebenfalls Erfolge verzeichnen.

    Keine nachhaltige Lösung

    Durch Reallohnverluste und die anhaltende Wohnungskrise werden sich die Lebensumstände weiter verschärfen und sich damit wohl auch die Anzahl der obdachlosen Menschen erhöhen. Von den steigenden Kosten in allen Bereichen sind auch die verschiedenen Unterstützungsangebote für Obdachlose betroffen.

    Laut einer Umfrage mit mehr als 2.700 Organisationen aus der Sozialen Arbeit gab es im Jahr 2022 durchschnittliche Kostensteigerungen von etwa 16%, wodurch Angebote und Leistungen eingeschränkt oder eingestellt werden mussten. Zwei Drittel der Einrichtungen erwarten, dass sie weitere solcher Maßnahmen umsetzen müssen. Der Bundeshaushalt für 2024 bringt unter anderem auch starke Kürzungen beim Jobcenter, das der Hauptgeldgeber für Sozialkaufhäuser und Tafeln ist.

    Trotz aller Erfolge kann „Housing First“ also nicht als Lösung für die Obdachlosigkeit betrachtet werden. Denn solche Projekte sind die ersten, die von starken Kürzungen im sozialen Bereich betroffen sind. Dazu kommt die sich verschärfende Wohnungsnot, die die Mietpreise in die Höhe schießen und Kosten für solche Projekte explodieren lässt. Ohne ausreichend bezahlbaren Wohnraum wird es daher immer wieder Menschen geben, für die eine Wohnung unerschwinglich sein wird.

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