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Dienstag, April 30, 2024
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    Obdachlosigkeit in Deutschland durch Wohnungsmangel und psychische Erkrankungen

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    Obdachlosigkeit wird in Deutschland seit langem als immer normaler erpfunden. Menschen, die vor Geschäften oder Bahnhöfen kauern, gehören zum Straßenbild nahezu jeder deutschen Großstadt. Zu den Ursachen gehören die sich verschärfende Wohnungskrise und fehlende Unterstützung bei psychischen Erkrankungen. – Ein Kommentar von Marius Becker.

    Während viele Menschen ihre Weihnachtseinkäufe erledigen oder nach den Feiertagen ihr Geld in den Innenstädten ausgeben, liegen in den Einkaufsstraßen oft unzählige obdachlose Menschen in der Kälte. Ihnen wird oft nachgesagt, sie seien selbst an ihrer Situation schuld. Entweder seien sie zu faul, um sich eine Arbeit zu suchen. Oder dieser Lebensstil gefiele ihnen einfach. Auf solche Aussagen stößt man meistens dann, wenn man die Existenz der Obdachlosigkeit hinterfragt.

    Ein kurzer Blick in den Alltag einer obdachlosen Person genügt schon, um solche Argumente zu entkräften. Wer kein Dach über dem Kopf hat, wer keinen Zugang zum Gesundheitswesen hat, wer um die nächste Mahlzeit kämpfen muss, der führt kein menschenwürdiges Leben. Solchen Zuständen setzt sich niemand freiwillig aus.

    Die Gründe, weshalb Menschen in die Wohnungs- oder Obdachlosigkeit abrutschen, sind nicht in deren Eigenverantwortung zu suchen, sondern hauptsächlich im politischen und wirtschaftlichen System. Ein gutes Beispiel dafür ist der deutsche Wohnungsmarkt. Dort herrscht schon seit Jahren ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum – Tendenz steigend. Wenn die steigenden Mieten immer mehr vom Monatseinkommen auffressen, dann können ein plötzlicher und unerwarteter finanzieller Engpass oder ein Schicksalsschlag schon genügen, um die Wohnsituation einer Person zu gefährden.

    Wohnungskrise verschärft sich

    In der Baubranche werden immer weniger Bauprojekte begonnen oder fertiggestellt, da sie aufgrund der andauernden Wirtschaftskrise nicht mehr rentabel seien. Dabei besteht ein großer gesellschaftlicher Bedarf an mehr Wohnraum. Doch diesen in ausreichendem Maße zu schaffen, ist für die Eigentümer:innen der Bauunternehmen nicht mehr so profitabel wie bisher.

    Zudem gibt es in Deutschland eigentlich viele leerstehende Wohnungen. Der Wohnungsleerstand ist zwar zurückgegangen, doch mit etwa 554.000 bewohnbaren Wohneinheiten ist er trotzdem nicht unbedeutend. Ein Grund dafür ist die Spekulation: d.h. Wohnraum – gerade in besonders teuren Städten – wird von Wohnungskonzernen oder reichen Einzelpersonen zwar gekauft, aber für einige Jahre leerstehend gehalten, um ihn – noch nicht einmal unbedingt saniert – im Anschluss für einen höheren Preis zu verkaufen. Es wird also beim Ankauf darauf spekuliert, dass die Immobilie in einigen Jahren an Marktwert gewinnt, um diese dann profitabel verkaufen zu können. Dabei geht der Gesellschaft wichtiger Wohnraum verloren, nur damit sich Wohnungskonzerne oder Wohlhabende zusätzlich bereichern können.

    Das systematische Profitstreben des Kapitalismus erschwert also das Wohnen in Deutschland, was ein wesentlicher Faktor für die Entstehung von Obdachlosigkeit ist. Doch nicht nur der Wohnungsmarkt spielt eine Rolle. Auch die Gesundheit von Mieter:innen ist ausschlaggebend.

    Kaum Zugang zu ärztlicher Behandlung

    Etwa 90% der Wohnungslosen leiden an einer seelischen Erkrankung. Bei zwei Dritteln der Betroffenen bestand die Erkrankung schon, bevor sie in die Wohnungslosigkeit gerieten. Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Psychosen stehen also in einem direkten Zusammenhang zur Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Wer aufgrund einer seelischen Krise nicht mehr in der Lage ist, ein produktives Erwerbsleben zu führen, wird zwangsläufig mit höherer Wahrscheinlichkeit von Wohnungs- oder Obdachlosigkeit betroffen sein.

    Die schlechte psychiatrische Krankenversorgung zusätzlich zur gesellschaftlichen Stigmatisierung des Themas erschweren es Betroffenen, sich rechtzeitig Hilfe zu holen. Sobald eine erkrankte Person erst einmal in die Obdachlosigkeit abgerutscht ist, verschlimmert sich ihr Zustand fast zwangsläufig. Ohne eine eigene Adresse ist der Zugang zu ärztlicher Behandlung stark erschwert. Zudem fehlt die Stabilität einer eigenen Wohnung mit der Möglichkeit zum Rückzug, um die persönlichen Probleme mit regelmäßiger Unterstützung von außen in Ruhe anzugehen.

    So finden sich viele Menschen unverschuldet in einer menschenunwürdigen Situation. Die Verantwortung für Abhilfe läge in erster Linie bei einer Sozialpolitik, die aber keine angemessene Antwort auf die Wohnungskrise findet und die schon das Gesundheitswesen nicht ausreichend ausstattet.

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