Eine Nachricht macht die Runde: von 2022 auf 2023 gab es weltweit so viele neue Milliardär:innen durch Erbschaft wie noch nie. Aber woher kommt diese Nachricht und stimmt sie auch? Und wenn sie nicht stimmt, wie kommt es, dass sie so einstimmig berichtet wird? – Ein Kommentar von Johann Khaldun.
Durch die bürgerlichen Medien wird gerade verlautbart, dass weltweit die Zahl der Milliardäre durch Erbschaften wächst. Zwischen den Aprilmonaten der Jahre 2022 und 2023 sind 137 Menschen zu Milliardären geworden, von denen 53 Personen diesen Reichtum ererbt haben. Auch bezogen auf den Umfang des angehäuften Kapitals lägen die “Erbmilliardäre” mit 151 Milliarden Dollar über der Kapitalmasse der sogenannten „Selfmade-Milliardäre“.
Dieser Trend der Reproduktion von extremer gesellschaftlichen Ungleichheit und Ausbeutungsverhältnissen durch Erbschaften soll sich auch noch über die nächsten zwei Jahrzehnte fortsetzen, da die Selfmade-Milliardäre eine alte, aussterbende Gattung seien.
Der Trend zur Anhäufung von immer mehr Kapital in immer weniger Händen ist nicht neu. Es wird schon seit Jahren darüber berichtet. Die kapitalistische Mär, dass es Jede:r vom „Tellerwäscher zum Millionär“ schaffen kann, der sich nur genügend anstrengt, ist schon längst durch diese Wirklichkeit widerlegt. Neu ist an den aktuellen Verkündungen nur der Anteil der Erbreichen. Und diese Neuigkeit geht aus einer UBS-Studie hervor, die in den bürgerlichen Medien – egal ob öffentliche-rechtliche oder private – als Fakt verkündet wird.
Wissenschaft oder Werbung?
Wenn wir uns die Studie selbst etwas genauer ansehen, fallen schnell einige Besonderheiten ins kritische Äuglein. Bei der Großbank UBS handelt es sich um eine multinationale Monopolbank und Vermögensberatung mit Hauptsitz in der Schweiz. Das heißt der Auftraggeber der Studie ist mitnichten auf Seiten der arbeitenden Menschen zu verorten, sondern hat vielmehr ein Interesse daran, unsere Ausbeutung zu Gunsten seiner Auftraggeber aufrecht zu erhalten.
Ohne Ausbeutung keine Reichen, ohne Reiche keine Existenzberechtigung für Vermögensberater. Ihre klassenspezifische Position zeigt sich auch an der gestalterischen Aufmachung der Studie: Sie besticht durch zahlreiche große Bilder, wenig Text und Information und einige wenige Grafiken zur Verdeutlichung der erhobenen Daten. Kurzum, die Studie sieht aus wie ein Werbeprospekt.
Dieser Eindruck täuscht nicht, sondern er bestätigt sich geradezu, wenn wir noch etwas genauer hinschauen: So lesen wir im Abschnitt über die Methodologie des Werbeprospekts, dass die Daten durch eine Umfrage unter den eigenen Kunden erhoben wurden und sich aus den Auskünften von sage und schreibe 79 Personen speisen. Dies also die ’empirische’ Grundlage für die Nachricht, die durch viele bürgerliche Medien verbreitet wird. Immerhin – die „Studie“ selbst ist ehrlich genug, zuweilen selbst auf die dünne Quellenlage zu verweisen. Ihr geht es ohnehin vor allem darum, Unsicherheit unter den weiteren Milliardären zu erzeugen, um ihnen dann die eigenen Dienste nahezulegen.
Die „Studie“ ist damit zwar nicht gänzlich wertlos, nur sollte man sie als das begreifen was sie ist: ein Werbeprospekt mit begrenzter empirischer Basis und klarer Absicht der Kundenanwerbung.
Ist das einmal klar, kann man durchaus so interessante Einsichten wie die folgenden mit der gebotenen Vorsicht genießen:
- Dass beispielsweise der durchschnittliche Reichtum der Erbmilliardäre in Europa bei 4,4 Milliarden US Dollar gegenüber 2,0 Milliarden in den USA liegt.
- Dass gerade in Deutschland die Zahl der Milliardäre im Erhebungszeitraum von 95 auf 109 Personen und damit am stärksten in ganz Europa angestiegen ist.
- Dass nur 32% der Erbmilliardäre auf philanthropische, caritative Ziele Wert legen gegenüber den 68% der ursprünglichen Ausbeuter – darin zeigt sich ein vormals größeres Bewusstsein um die Gefahren einer unzufriedenen Arbeiterklasse für ihre Ausbeuter.
- Dass sich die Milliardäre um die zunehmende geopolitische Instabilität, d.h. um sich zuspitzende inter-imperialistische Widersprüche, sorgen.
- Dass sich vor allem die Erbmilliardäre, also die jüngeren Superreichen, über zur neige gehende Rohstoffe den Kopf zerbrechen.
Wie wird die bürgerliche Presse zum Sprachrohr eines Vermögensberater-Konsortiums?
Es gibt eine offensichtliche Antwort auf diese Frage. Seit dem Aufkommen des Internets bricht die Grundlage für tiefergehende journalistische Arbeit immer mehr weg. Die Taktfrequenz der Veröffentlichungen erhöht sich, und damit sinkt zugleich auch die Attraktivität für längere, kritische Berichterstattung, die mehr Zeit und Kapital verschlingt als die schnelle und klick- und auflagenstarke Erzeugung von Kurznachrichten und kleinen Meinungsbeiträgen.
Diese schnellen und kurzen Informationen erhält man von Nachrichtenagenturen wie Reuters, Associated Press oder der Deutschen Presse-Agentur oder durch Zureichungen von Unternehmen und Instituten wie der UBS. Für kapitalistische Unternehmen – und darum handelt es sich bei den meisten unserer Medien – ist damit die Entwicklung klar, sofern sich keine Nische auftut, für die sich genügend Kundschaft findet, um eine Alternative finanziell zu tragen.
Die meisten Medien finden diese Nische nicht – und suchen sie auch nicht. Es geht um Umsatz, die Ware “Nachricht” ist nur das Mittel, um an den Profit zu kommen. Daher wird den blinden Notwendigkeiten des kapitalistischen Marktes Folge geleistet.
Das allein genügt aber nicht als Erklärung dafür, warum sich so einseitig und unkritisch immer wieder derselbe bürgerliche Standpunkt durchsetzt, warum sich diese Medien so eilig zu den Lautsprechern privater Unternehmen machen. Zugrunde liegt die grundlegende weltanschauliche Übereinstimmung zwischen bürgerlichen Medien – seien sie staatlich oder privat – und kapitalistischen Unternehmen.
Beide folgen den scheinbar naturgegebenen Gesetzen des Marktes, um überleben und wachsen zu können. Beide fußen letztlich auf der Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse, sei sie direkt wie beispielsweise in der Industrie, oder indirekter in den Medien. Dort wird geistige Arbeit ausgebeutet, die selbst nur mit Hilfe der materiellen Absicherung durch die physische Arbeit möglich ist.
Daher haben beide, bürgerliche Medien und Unternehmen, ein Interesse daran, die kapitalistische Gesellschaft zu erhalten. Sie haben ein und dieselbe Weltanschauung, die sich nur in Schattierungen unterscheidet, so dass es bürgerlichen Journalist:innen oft gar nicht bewusst wird, wenn sie ein ganz verkürztes, verdrehtes Bild der Wirklichkeit vermitteln, wenn sie bürgerliche Ideologie produzieren.
Es braucht daher Medien, die sich von den Gegebenheiten des Kapitals frei machen, sich sogar gegen sie stellen und bewusst für die Ausgebeuteten und Unterdrückten dieser Welt schreiben. Nur von diesem Standpunkt aus kann ein konsequent kritischer Journalismus möglich sein, der sich nicht zum Handlanger der Interessen des Kapitals macht. So mag es sein, dass sich einige der Journalist:innen, die von der UBS-„Studie“ berichteten, durchaus kritisch wähnten, weil sie auf einen problematischen Aspekt des Kapitalismus hinwiesen. Es fiel ihnen dabei aber vermutlich nicht auf, dass sie damit der Werbebotschaft einer Investmentbank auf den Leim gingen.