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Samstag, April 27, 2024
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    Zensur der Kultur in Deutschland – das Beispiel “Oyoun”

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    In Deutschland ist die Zensurfreiheit im Grundgesetz festgeschrieben. Doch seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober hat die staatliche Kontrolle von Äußerungen in Deutschland zugenommen. Künstler:innen, die Solidarität mit Palästina zeigen, werden reihenweise ausgeladen, Veranstaltungsorten droht das finanzielle Aus. Ein Kommentar von Olga Goldman.

    Das neueste Beispiel dieser „Hexenjagd“ ist das Kulturzentrum “Oyoun” in Berlin Neukölln. Auf seiner Website stellt sich das Oyoun als „eine BIPOC-geleitete, kosmopolitische und intersektionale Kunst- und Kultureinrichtung“ vor. Es ist ein „Zuhause für queer*feministische, migrantische und dekoloniale Perspektiven und beschäftigt heute 32, mehrheitlich marginalisierte, Arbeitnehmer*innen und Fellows. Die Absage der Förderung bedeutet die Schließung einer Organisation, die aktiv zur religiösen, kulturellen, ethnischen und politischen Pluralität Berlins beiträgt.“

    Die Absage bedeutet außerdem, dass diesen 32 Menschen, die bei Oyoun arbeiten, auf einmal die Existenzgrundlage genommen wird. Für vier der Mitarbeitenden und eine:n Fellow stellt die Entscheidung des Senats darüber hinaus auch aufenthaltsrechtlich eine Gefahr dar, weil ihre Visa beziehungsweise Aufenthaltserlaubnisse an ihre Tätigkeit im Kulturzentrum gebunden sind. Einmal mehr lässt sich erkennen, dass der Wegfall der Förderung vor allem ohnehin marginalisierte Menschen  am härtesten trifft.

    Repression gegen jüdischen Friedensaktivismus

    Dem voraus gegangen war Oyouns Weigerung, die vom 04.11.2023 organisierte „Trauer- und Hoffnungsfeier” des mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichneten Vereins „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost” abzusagen. Nun werden dem Veranstaltungsort zum Jahresende sämtliche Fördermittel entzogen und ‘versteckter Antisemitismus‘ vorgeworfen. Der Verein ist Teil einer internationalen Bewegung von linken Juden und Jüdinnen, die sich weltweit für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte im Nahem Osten, insbesondere in Israel und Palästina, engagieren, und dabei die Politik Israels gegenüber Palästina scharf kritisieren.

    Da einzelne Mitglieder des Vereins die internationale Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) befürworten, hatte die Kulturverwaltung von Berlin Oyoun im Vorfeld aufgefordert, die Mahnwache nicht abzuhalten, da diese „politisch zu brisant” sei. Jegliche Versuche, mit dem Berliner Senat in Kontakt zu treten, seien Oyoun zufolge ignoriert worden. Das Kulturzentrum plant nun, rechtliche Schritte gegen die Entscheidung des Berliner Senats einzuleiten, und hat einen offenen Brief verfasst, der aktuell schon von über 13.000 Menschen unterzeichnet wurde. Zudem wurden über 72.000 Euro an Spenden eingenommen.

    Oyoun ist ein weiteres Beispiel dafür, wie oppositionelle und marginalisierte Stimmen in ganz Deutschland untergraben werden. Künstler:innen werden die Bühnen genommen, sobald sie Kritik an Israel äußern. Selbst eine von Juden und Jüdinnen organisierte Veranstaltung wird nun als vermutlich antisemitisch verleumdet und die Grundlage ihrer Arbeit auch für die weitere Zukunft zerstört. Doch welche politische Diskussion ist überhaupt noch möglich, wenn der Staat sämtliche Stimmen zum Schweigen bringt, die womöglich eine „illegitime“ Haltung zu Israel und Palästina vertreten. Wenn jegliche, vor allem aber migrantische und jüdische Perspektiven nicht zugelassen werden, da sie nicht im Interesse des Staats sind, stellt dies nicht nur den offenen Diskurs, sondern auch die Demokratie in Deutschland selbst infrage.

    Kritik gegenüber Israel zu äußern, ist kein Verbrechen. Zionistisches Gedankengut zu kritisieren, ist ebenfalls kein Verbrechen.

    Der deutsche Staat schiebt ein missverstandenes Schuldverständnis vor, um seine aktuellen Repressionen und Außenpolitik zu rechtfertigen. In der momentanen Situation nutzt er seine Macht aus, die er mit öffentlicher Kulturförderung besitzt: Im Zweifel kann er nämlich schlicht unliebsamen Projekten die Existenzgrundlage entziehen – und den dort engagierten Menschen dazu.

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