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Sonntag, April 28, 2024
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    Drei Tierärztinnen im Interview: “Offensichtlich läuft einiges schief in der Tiermedizin!”

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    Ein Reitsport-Verband brachte eine Petition auf den Weg, die tierärztlichen Behandlungskosten mit Blick auf den Reitsport zu senken. Perspektive Online führte dazu ein Interview mit drei Tierärztinnen über ihre Arbeitsbedingungen.

    Was macht ihr beruflich und in was für einer Art Betrieb arbeitet ihr?

    Laura & Merle: Wir arbeiten beide in unterschiedlichen Pferdekliniken als Assistenzärztinnen

    Svea: Ich arbeite in einer kleinen Landpraxis mit Fahrdienst. Das Team besteht aus vier Kolleg:innen. Wir behandeln Pferde, aber auch Kleintiere.

    Wie sind die Arbeitsbedingungen bei euch im Betrieb?

    Merle: Wir arbeiten im Schichtdienst, die Tage sind z.T. länger als 12 Stunden und wir haben 25 Tage Urlaub. Überstunden werden bei uns vorausgesetzt.

    Laura: Wir arbeiten ebenfalls im Schichtdienst, auch bei uns sind Überstunden Standard. Es gibt Zuschläge für Nacht-, Sonn-, und Feiertagsarbeit. Allerdings müssen wir auch nachts Rufbereitschaften abdecken, für die ich aufgrund meines langen Arbeitswegs die ganze Zeit in der Klinik sein muss. Diese Zeit wird mir dann nur zu einem geringen Anteil bezahlt.

    Svea: Die Arbeitsbedingungen sind in der Tiermedizin meiner Meinung nach relativ gut. Wir haben geregelte Arbeitszeiten, bei denen sowohl der Feierabend, als auch die Mittagspause meist eingehalten werden können. Teilweise machen die Bedingungen, die die Fahrerei mit sich bringen, den Alltag kompliziert und das finde ich sowohl körperlich, als auch psychisch manchmal belastend.

    Gibt es Initiativen von Kolleg:innen für bessere Arbeitsbedingungen?

    Merle: Vor kurzem kam die Idee auf, einen Betriebsrat zu gründen. Nach Informationen darüber haben wir aber aus Angst vor der Reaktion unseres Chefs erstmal wieder davon abgesehen. Letztes Jahr im August wurde der erste Betriebsrat in einer Tierklinik in Deutschland gegründet. Der Erste! So großartig das auch ist, zeigt es aber auch, wie sehr wir in dieser Branche bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen hinterher hängen. Und ich ziehe den Schluss, dass wir nicht die einzigen sind, die sich aus Respekt vor der Reaktion der Arbeitgeber:innen dagegen entschieden haben, einen zu gründen.

    Anmerkung der Interviewerin: Laut einer Studie, die im Jahr 2017 in der Berliner und Münchener Tierärztlichen Wochenschrift veröffentlicht wurde, liegt der durchschnittliche Bruttojahresverdienst von Angestellten bei 30.000 Euro (in den ersten drei Berufsjahren) und 43.000 Euro (mit zehn bis zwanzig Jahren Berufserfahrung).

    Wie nehmt ihr die Position von Frauen in Eurer Arbeit wahr? Gibt es besondere Probleme für weibliche Kolleginnen?

    Laura & Merle: Es gibt starke Unterschiede im Gehalt zwischen Männern und Frauen. Diese Erfahrung wurde bereits in mehreren Kliniken gemacht.

    Svea: Absolut gibt es besondere Probleme! Unser System in der Praxis (wir sind 4 junge Tierärztinnen) funktioniert nur, da wir eigentlich alle mit ziemlich großer Sicherheit keine Kinder wollen. Schwangerschaft bedeutet in der Tiermedizin quasi Berufsverbot, und zwar sofort. Ich habe selbst mehrfach Praxis-/Klinikinhaber sagen hören, dass es für sie nicht mehr in Frage kommt, junge Frauen einzustellen, die noch eine Familie gründen könnten.

    Das bedeutet für mich und – wie ich weiß – auch für viele andere Kolleginnen, dass letztlich eine Entscheidung zwischen dem Beruf und den Kindern getroffen werden muss.

    Besonders hier auf dem Land in unserer kleinen Praxis hören wir immer noch ziemlich häufig Sätze wie: „Ist der Herr Doktor heute gar nicht da? Ich hätte schon gern die Meinung vom Herrn Doktor dazu.“ Obwohl die Tiermedizin mittlerweile ein absoluter Frauenberuf geworden ist, scheint sich das Bild des zu respektierenden „Herrn Doktor“ sehr beharrlich in den Köpfen der Besitzer:innen unserer Tierpatienten zu halten. Vielleicht klingt das ein bisschen extrem, aber es frustriert doch sehr, dass einem Kompetenz abgesprochen wird, nur weil man weiblich ist.

    Anmerkung der Interviewerin: Insgesamt arbeiteten im Jahr 2022 in Deutschland rund 33.300 Personen im tierärztlichen Bereich, davon sind rund 70 Prozent Frauen.  

    Was ist die “GOT”? Warum hat die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) eine Petition gegen die neue “GOT” gestartet und wie steht ihr dazu?

    Laura & Merle: Die GOT ist die Gebührenordnung für Tierärzte. Das soll dazu führen, dass die Impfung bei Tierarzt A nicht 200 Euro kostet, während Tierarzt B dafür nur 60 Euro nimmt. Tierärzt:innen sind verpflichtet, die GOT einzuhalten.

    Die GOT-Anpassung aus dem Jahr 2022 war die erste seit über 20 Jahren. Sie hat zu deutlichen Preissteigerungen geführt, die bei Tierbesitzern natürlich für Unmut gesorgt haben. Die Reiter-Vereinigung FN hat deshalb jetzt eine Petition gegen die neue GOT gestartet. Wir vermuten allerdings, dass es trotz der Erhöhung der Gebühren kaum mehr Gehalt für uns geben wird. Die Preise sind enorm gestiegen und zusätzlich kommt in den Kliniken die Erhöhung nicht 1:1 bei uns an. Das Titelbild der GOT – Petition zeigt ein Mädchen mit hängendem Kopf in schwarz-weiß von hinten – nur ein Beispiel, inwiefern die Debatte von Seiten der FN emotionalisiert wird.

    Pferde gelten als Luxus. Das ist nichts Neues. Pferdehaltung ist teuer und Pferdesport noch teurer. Dass hier an den Kosten für tierärztliche Behandlungen gespart wird, halten wir für das völlig falsche Ende.

    Svea: Dagegen eine Petition anzuführen, ist, als würde man an dem Ast sägen, auf dem sitzt. Die Erhöhung der GOT-Gebühren, die bisher erfolgt ist, kann die Verbesserung der Gehälter in der Tiermedizin übrigens nicht herstellen, die nötig wäre, um den bestehenden Fachkräftemangel auszugleichen

    Was braucht es eurer Meinung nach, damit sich die Bedingungen für Beschäftigte im veterinärmedizinischen Bereich und ihre Patient:innen verbessern?

    Merle & Laura: Bessere Bezahlung! Tierärzt:innen haben nach einem 5,5 Jahre langen Studium inkl. einem Jahr unbezahlter Praktika im Durchschnitt ein Bruttostundenlohn von 20,51 €.

    Eine Studie von Schwerdtfeger et al. kommt zu dem Ergebnis, dass Tierärzt:innen in Deutschland eine 3 x höhere Wahrscheinlichkeit für Depressionen und ein 5 x höheres Suizidrisiko im Vergleich zur Normalpopulation haben.

    Übergriffe auf Tierärzt:innen im Nacht- und Notdienst sind darüber hinaus leider keine Seltenheit und haben wir beide schon erlebt.

    Offensichtlich läuft in der Tiermedizin einiges schief. Wir wollen uns nicht einfach über all das beschweren, das wussten wir alles, bevor wir angefangen haben – wir wollen, dass außenstehende Menschen verstehen, warum wir mehr Gehalt fordern und warum die Branche die GOT– Anpassung braucht. Wir brauchen außerdem faire Arbeitsbedingungen, Tarifverträge, keine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes und mehr Verständnis für unsere Situation auf Seiten der Besitzer:innen.

    Svea: Wenn man auf andere Länder blickt, scheint es ein vielversprechender Lösungsansatz zu sein, dass mehr Tiere krankenversichert sind.

    Was würdet ihr unseren Leser:innen gern noch mit auf den Weg geben?

    Merle & Laura: Die Zukunftsaussichten in der Tiermedizin sehen nicht schön aus: Praxen schließen oder bieten aus Personalmangel keinen Notdienst mehr an, das betrifft sogar die Unikliniken in Berlin und Leipzig. Zum Beispiel in Berlin gibt es nur noch 3 Praxen, die einen 24h-Notdienst anbieten. Nur für das Verhältnis: in Berlin gibt es momentan über 126.000 Hunde, dazu kommen all die anderen Haustiere.

    Svea: An meine Kolleg:innen: Ich glaube fest daran, dass wir einen Weg finden können, die Frustration und vielleicht auch die erschütternd hohe Suizidrate zu senken, indem wir gemeinsam dafür kämpfen, unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern. Der Teil, den wir dazu beitragen können, ist nicht klein.

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