Vor knapp zwei Wochen konstituierte sich der hessische Landtag in Wiesbaden. Der neue Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD löst bei Rüstungskonzernen Freude und bei Antimilitarist:innen Sorgen aus. Wie die Auswirkungen dieser militaristischen Bestrebungen der hessischen Regierung aussehen, fragten wir Nuria, Nora und Chris von der Gruppe “Krieg und Frieden Kassel”.
Was sind Zivilklauseln und wofür werden sie gebraucht?
Chris: Eine Zivilklausel ist eine Selbstverpflichtung von wissenschaftlichen Einrichtungen wie z.B. Universitäten, ausschließlich für zivile und friedliche Zwecke zu forschen. Das setzt voraus, dass die Universität nicht für Einrichtungen der Bundeswehr oder der Rüstungsindustrie forscht, also keine Drittmittel-Kooperationen mit diesen Einrichtungen eingeht. Sie ist das Resultat vor allem von friedenspolitischen Aktivist:innen an den Hochschulen und in den Gewerkschaften, die solche Zivilklauseln in den Selbstverwaltungsgremien erstritten haben, die mittlerweile in rund 70 Grundordnungen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen verankert sind.
Ähnliche Selbstverpflichtungen auf Zivilität gibt es aber auch außerhalb von Unis: die Initiative “ziviler Hafen” in Hamburg will durchsetzen, dass von ihrem Hafen aus kein Kriegsgerät in die Welt exportiert wird. Auch auf kommunaler Ebene, z.B. beim Verkauf von kommunalem Eigentum, könnten solche Klauseln in den Kauf- oder Pachtvertrag eingesetzt werden.
Dahinter steht ein historisch tief verankertes, friedensorientiertes Bewusstsein. Die Einheit aus “Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!” bildet auch heute noch das Grundverständnis und lebt als Lehre und Vermächtnis fort. Der Anspruch, über die Resultate der eigenen Forschung und über den Charakter der eigenen Ausbildung entscheiden zu wollen – im Sinne eines fortschrittlichen demokratischen Verständnisses für Wissenschaft, Frieden, Kooperation und Internationalismus – widerspricht so ziemlich allem, was die Parteigänger:innen der sogenannten militärischen ‘Zeitenwende’ gerade durchsetzen wollen.
Mit welchen Hürden seht ihr euch in eurer derzeitigen Arbeit konfrontiert?
Nora: Es gibt ganz verschiedene Angriffe, die seitens der Universitäten häufig im Hintergrund laufen, wie beispielsweise die jahrelange Kooperation der Uni Kassel mit Rüstungsunternehmen oder das Einladen der Bundeswehr auf die “Jobmesse”.
Darüber hinaus wird die Sinnhaftigkeit und Legitimität der Zivilklausel von verschiedenen Politiker:innen und in konservativen Medien immer wieder in Frage gestellt, und verschiedenste Protestformen, z.B. gegen gemeinsame Veranstaltungen mit der Bundeswehr, werden diffamiert.
Nuria: Weitere aktuelle Hürden sind die staatlichen Repressionen gegen Gruppen und Menschen, die sich solidarisch mit dem palästinensischen Befreiungskampf zeigen. Der Diskussionsrahmen über den Genozid in Palästina wird von der Kasseler Uni-Leitung deutlich eingeschränkt: Es wurden Bildungsveranstaltungen verboten und Gedenkdemonstrationen unterbrochen. Auch außerhalb der Universität scheint es ein Tabu geworden zu sein, einen Waffenstillstand zu fordern.
Der hessische Landtag hat sich am 18. Januar konstituiert. Was bedeutet die neue Koalition aus CDU und SPD für antimilitaristische Organisationen in Hessen?
Chris: Mit der neuen hessischen Landesregierung aus CDU und SPD ist es jetzt erstmals offiziell in einen Koalitionsvertrag gegossen worden: Die Zivilklauseln sollen einer Überprüfung unterzogen werden. Der Ausgang einer solchen Überprüfung unter den Maßstäben der aktuellen ‘Zeitenwende’-Propaganda ist dann wohl klar: Zivilklauseln sollen gestrichen werden.
Deutlicher wird da schon die bayerische Landesregierung, die aktuell mit einem geplanten Kooperationsgebot Schulen und Hochschulen zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr nötigen will. Hier wird sogar vorauseilend ein Verbot von Zivilklauseln in Erwägung gezogen, falls Hochschulen auf die Idee kommen sollten, sich eben nicht beim aktuellen Kriegskurs einreihen zu wollen.
Die Angriffe und Verbote zeigen aber nur, dass sich die angestrebte mentale “Zeitenwende” nicht so richtig einstellen will. Da setzen wir an: für all jene, die sich nicht den Bedingungen von Kriegshaushalt, Sozialabbau und Militarismus unterwerfen wollen.
Wie sehen eure Pläne gegen die angesprochenen, immer lauter werdenden Militarisierungsbestrebungen aus?
Nuria: Unser Plan ist es, uns weiterhin mit den Hintergründen, Ursachen und Folgen von Kriegen zu beschäftigen und Bildungsveranstaltungen wie unsere “autonome Ringvorlesung” zu organisieren, um Kriegs- und Friedenspolitik besser zu verstehen – gerade auch im Zusammenhang von Kapitalismus und Imperialismus.
Ebenso wird eine stärkere hessen- und bundesweite Vernetzung wichtig sein, um die Zivilklauseln zu schützen und stärker zu beachten. Beim nächsten Zivilklausel-Kongress in Frankfurt am 16./17. März wollen wir das schon direkt anpacken! Wir laden deshalb alle Antimilitarist:innen und Interessierten ein, daran teilzunehmen (mehr Infos über Instagram).
Nora: Im letzten Jahr haben wir bereits zwei antimilitaristische Feste organisiert, waren auf Demonstrationen, Mahnwachen und Gedenkfeiern. Derzeit läuft unser Hessen-weiter Aufruf “Hände weg von der Zivilklausel!”, um den militaristischen Bestrebungen von SPD und CDU eine klare Antwort entgegenzusetzen.
Die von Nuria bereits angesprochene Bildungsarbeit wollen wir außerdem noch weiter ausbauen, um von einer eurozentristischen Perspektive wegzukommen und uns tiefgehender mit den grundlegenden Konflikten auseinanderzusetzen, die im momentanen Diskurs kaum oder keine Beachtung finden.
Was können Arbeiter:innen und Studierende überhaupt gegen die zunehmende Militarisierung machen?
Nuria: Ich denke, dass es wichtig ist, mit so vielen Leuten wie möglich über den Kapitalismus, Militarismus und deren Auswirkungen zu reden und in den Austausch zu kommen. Die Themen “Zivilität” und “Frieden” müssen wieder in den Mittelpunkt rücken, ob an der Schule, der Uni oder im Betrieb.
Nora: Falls es sie noch nicht gibt, können sich Arbeitende und Studierende in dem jeweiligen Betrieb bzw. der Uni organisieren und auf eine Einführung der Zivilklausel hinwirken oder lokale antimilitaristische Organisationen unterstützen. Aber wie Nuria schon sagt: Zentral sind Bewusstsein und Aufmerksamkeit sowie Solidarität für antimilitaristische Belange – in jeder Form, die möglich ist!