Die Gewerkschaft ver.di hat in ganz Deutschland, außer in Bayern, wieder Warnstreiks im öffentlichen Nahverkehr angekündigt. Wie viel fordert die Gewerkschaft, wie viel müsste gefordert werden und was hat es mit den “Wellenstreiks” auf sich? – Ein Kommentar von Tabea Karlo.
In dieser Woche soll in Deutschland der wieder öffentliche Nahverkehr bestreikt werden, dazu hatte vor wenigen Tagen die Gewerkschaft ver.di aufgerufen. Den Start machten am Dienstag vor allem Betriebe in Schleswig-Holstein, im Saarland und in der Region Trier, so wie ein kleinerer Streik in Berlin. In den kommenden Tagen bis Samstag soll dann stückweise in verschiedenen Bundesländern gestreikt werden. Die Streiks sind dabei unterschiedlich lang, betragen in der Regel aber 24-48 Stunden. Bayern bleibt als einziges Bundesland “unbestreikt”, da es dort noch einen laufenden Tarifvertrag gibt.
Den Hauptstreiktag bildet der 1. März, der zugleich der „Klimastreiktag” ist. An diesem Tag werden viele Streikkundgebungen mit Kundgebungen von Fridays for Future (FFF) verbunden sein. Außerdem ist geplant, dass an diesem Tag ver.di und FFF die gemeinsame Petition „Vorfahrt ÖPNV! Mobilität für alle und gute Arbeit für die Beschäftigten im ÖPNV“ an die Bundespolitik übergeben.
Wofür wird gestreikt?
In den aktuellen Streiks geht es um die laufenden Tarifverhandlungen für die rund 90.000 Beschäftigten im kommunalen ÖPNV in über 130 kommunalen Unternehmen. Die Forderungen sind dabei nicht ganz deckungsgleich, in vielen Fällen geht es jedoch um eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, Erhöhung des Urlaubsanspruches, zusätzliche Entlastungstage für Schicht- und Nachtarbeit sowie die Begrenzung geteilter Dienste und unbezahlter Zeiten im Fahrdienst.
Der größte Teil der kommunalen ÖPNV-Unternehmen ist den Tarifverträgen Nahverkehr (TV-N) verpflichtet, die in allen Bundesländern – abgesehen von Hamburg – durch den jeweiligen Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) mit ver.di abgeschlossen und verhandelt werden.
In sieben TV-N ist die Entgeltentwicklung an den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) gekoppelt (Baden-Württemberg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rhein-Land-Pfalz, Sachsen). In den restlichen Bundesländern wird sie separat verhandelt, auch die Laufzeiten sind teilweise unterschiedlich.
Bayern ist das einzige Bundesland, in dem die Mäntelverträge des TV-N nicht synchronisiert wurden. Hier gilt weiterhin die Friedenspflicht, dennoch wird auf Grundlage einer freiwilligen Verpflichtung durch die Unternehmen verhandelt. Die weiteren Tarifrunden werden wieder zu unterschiedlichen Terminen stattfinden.
Sind die Forderungen „realitätsnah“?
Der Forderungskatalog von ver.di ist auf den ersten Blick nicht ganz leicht zu durchblicken. Vor allem unterscheiden sich die Forderungen sehr stark – je nachdem, was im Bundesland vorher im Tarifvertrag stand. Die Losungen der Gewerkschaft sind allerdings insgesamt nicht besonders kämpferisch, auch wenn sie sich gerne so darstellen.
Das lässt sich gut an einer Reihe von Beispielen aus den aktuellen Tarifforderungen aufzeigen:
- In verschiedenen Bundesländern werden Ruhezeiten zwischen den Schichten zwischen 11 (Niedersachsen), 12 (Berlin) und 13 Stunden (Hessen) gefordert. Statt die Ruhezeit an dem festzumachen, was Arbeiter:innen zur Regeneration benötigen, wird die jeweilige Forderung offensichtlich an dem festgemacht, was die Konzerne vorher bereit waren, zu geben, und es wird etwas knapp darüber gefordert.
- Das zweite Beispiel sind die Regenerationstage: Hier wird in verschiedenen Bundesländern jeweils nur ein zusätzlicher Regenerationstag für 100 geleistete Nachtstunden (jahresübergreifend) gefordert. Für eine tatsächliche Regeneration ist das bei Weitem zu wenig.
- Drittens variieren die erlaubten und geforderten Dienstlängen und auch Urlaubstage stark. Auch hier wird das Ganze nicht an einem grundsätzlichen „Mindeststandard“ im Sinne des Arbeiter:innenwohls festgemacht, sondern es schwankt von Bundesland zu Bundesland.
Auch die Zulagen, die für geteilte Dienste gefordert werden, unterscheiden sich massiv, teilweise wird zwischen geforderten Prozentsätzen und Festbeträgen gesprungen: So werden die Tarifverträge der unterschiedlichen Bundesländer für das „Laien-Auge“ und letztlich auch die meisten Arbeiter:innen der Branche noch schwerer vergleichbar.
Teilweise trägt ver.di mit ihren Forderungen noch selbst bei zu einer Spaltung unter den Arbeiter:innen. So fordert die Gewerkschaft in Niedersachen Vorteilsregelungen für ver.di-Mitglieder eine „ jährliche Sonderzahlung oder zusätzliche freie Zeit im Wahlmodell“.
Was sind eigentlich Wellenstreiks?
Die Streiks werden medial häufig als „Wellenstreiks“ bezeichnet, doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Ein „Wellenstreik” ist zunächst nichts anderes als eine Metapher dafür, dass die Streiks in „Wellen“ stattfinden, also nicht alle an einem Tag, sondern zeitversetzt an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen.
Das ist keine besonders kluge Taktik von ver.di, sondern sorgt am Ende des Tages vor allem dafür, dass der Druck auf die Konzerne geringer ausfällt.Zum Beispiel können leichter Ersatzfahrer:innen von anderen Unternehmen engagiert werden, wodurch insgesamt der Druck durch die Öffentlichkeit weniger hoch ausfällt.