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Samstag, Juli 27, 2024
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    Grünheide: Wie „Disrupt Tesla” und Co. für eine antikapitalistische Mobilitätswende kämpfen

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    Am heutigen Samstag endeten die Proteste und Blockaden gegen den Tesla-Konzern in Grünheide bei Berlin-Brandenburg. Über mehrere Tage hinweg hatten die Aktivist:innen unter anderem auf die klimaschädliche und ausbeutende Produktionsweise des Automobilkonzerns aufmerksam gemacht.

    Chaotische Szenen in der brandenburgischen Idylle am gestrigen Freitag: Eine große Gruppe Demonstrierender rennt über ein Feld nahe der Tesla-Fabrik bei Berlin. Ihr Ziel ist das Werksgelände des Autokonzerns, der über das Wochenende die Produktion im brandenburgischen Standort stillgelegt hat. Behelmte Polizeibeamte versprühen willkürlich Pfefferspray auf einzelne Demonstrierende, die Situation wird immer unübersichtlicher. Einzelne filmen beide Parteien und dokumentieren die Geschehnisse.

    „Einer großen Gruppe Aktivist:innen [ist es gelungen] auf das Tesla-Werksgelände durchzudringen“, schrieb das Aktionsbündnis Disrupt daraufhin am Freitagabend in einem Resümee auf Instagram. Durch das Tragen blauer Kleidung hätten sie dabei auf die Wasserknappheit der Region aufmerksam gemacht, so das Bündnis weiter.

    Videos wie dieses der Werksblockade wurden in den vergangenen Tagen teils hunderttausendfach in den sozialen Medien aufgerufen. Legitimer Protest gegen den automobilen und unökologischen Kapitalismus meinen die einen, Gift für den Wirtschaftsstandort Deutschland meinen die anderen. Grund genug, einen Blick auf die Beweggründe der Strukturen zu werfen, die in den vergangenen Tagen ihren Unmut über den Konzern in Form von zahlreichen Aktionen deutlich machten.

    Die Bündnisse hinter den Massenprotesten

    Wer sich in den letzten Tagen auf den üblichen sozialen Netzwerken über die Proteste gegen Tesla informieren wollte, bekam schnell den Eindruck, dass es sich bei den Aktionen ausschließlich um dezentral initiierte Nadelstiche gegen den Konzern des milliardenschweren Tech-Giganten Elon Musk handelte. Doch die beteiligten Bündnisse wollen mehr, als nur gegen Tesla zu protestieren. Es gehe um nicht weniger als die „Idee einer gerechten und solidarischen Welt jenseits des Kapitalismus“, wie es das Aktionsbündnis Disrupt in seinem Selbstverständnis gleich zu Beginn beschreibt. Dabei soll die grundlegende Systemfrage gestellt werden, die nicht nur die Automobilindustrie oder Tesla im Speziellen meint, sondern auf alle ökonomischen und sozialen Bereiche aufmerksam macht, auf die der Kapitalismus systematischen Einfluss hat.

    Der Fokus richtete sich jedoch dabei nicht aus Zufall auf den Auto-Konzern, der sich bereits 2022 final in Brandenburg angesiedelte. Das Bündnis wirft Tesla unter anderem vor, bei der Gewinnung von Lithium, einem Rohstoff, der für die Produktion von E-Auto-Batterien notwendig ist, auf „neokoloniale Lieferketten“ zurückzugreifen. Dabei sollen „ganze Landstriche und Ökosysteme“ verwüstet worden sein, was insbesondere im globalen Süden starke Auswirkungen zeige.

    Auch die Wasserknappheit in der Region bei Grünheide spielt eine entscheidende Rolle. So werfen die die Initiator:innen der Massenproteste dem Unternehmen vor, die ohnehin schon alarmierende Trockenheit noch weiter zu verschlimmern: „Schon jetzt müssen Anwohner:innen ihr Wasser rationieren, während im Werk die Hähne voll aufgedreht sind und auch gerne mal ein bisschen Lack im Wasserschutzgebiet daneben geht“, schreibt Disrupt dazu auf seiner Website.

    Die Verknappung der Brandenburgischen und Berliner Wasservorkommen hat jedoch auch andere Aktionsbündnisse auf den Plan gerufen. So beteiligte sich mit Tesla den Hahn abdrehen ein Bündnis für Wasserschutz und Mobilitätswende an zahlreichen Aktionen der vergangenen Tage. Dieses machte in seinem Aufruf die Absurdität deutlich, eine  gigantische Produktionsanlage in einem Gebiet zu bauen, das „zu zwei Dritteln im Trinkwasserschutzgebiet Erkner-Neu Zittau“ steht. Darüber hinaus müssten noch etwa weitere 50 Hektar Wald gerodet werden, um eine derzeit geplante Erweiterung der Produktionsanlage zu realisieren. Im Bauprozess wurden bereits etwa 300 Hektar Wald gerodet, was laut dem Bündnis eine weitere Beschleunigung der Klimakrise zur Folge haben werde.

    Gemeinsam mit anderen Strukturen organisierten beide Bündnisse dann gestern eine Großdemonstration, die bis zu 2.000 Teilnehmende zählte. Am Rande der Demonstration kam es, wie in den Vortagen auch, immer wieder zu Auseinandersetzungen mit anwesenden Polizeibeamt:innen. Durch die Besonnenheit der Demonstrationsteilnehmenden gab es jedoch keine weiteren Komplikationen, sodass die Demo friedlich zu Ende gebracht werden konnte.

    Auch Anwohner:innen sprechen sich mehrheitlich gegen Fabrik-Erweiterung aus

    Im Februar diesen Jahres bekamen erstmals auch die Bürgerinnen und Bürger von Grünheide die Möglichkeit, ihren Standpunkt zum umstrittenen Werk kundzutun. In einer Befragung gaben dabei insgesamt 62,1 Prozent der Grünheider:innen an, gegen die Tesla-Erweiterung und die damit einhergehende Abholzung von weiteren 100 Hektar Wald zu sein.

    Trotz dieses deutlichen Ergebnisses hat die Gemeinde einen „Kompromiss“ ausgehandelt, bei dem statt der 100 Hektar vorerst nur knapp die Hälfte des Waldes gerodet wird. Das Kuriose dabei ist jedoch, dass die vollen 100 Hektar Wald aus dem dazugehörigen Landschaftsschutzgebiet ausgegliedert werden. „Dadurch wird der Verdacht erhärtet, dass der im Planentwurf enthaltene Walderhalt eine Mogelpackung ist und schon zum heutigen Zeitpunkt die spätere Überplanung und Umwandlung beabsichtigt ist“, so das Aktionsbündnis Tesla den Hahn abdrehen auf seiner Website.

    Wird dies erst einmal durchgesetzt sein, sei auch der gesamte Wald in Gefahr, so das Bündnis weiter. Die Pläne für einen weiteren Ausbau stehen bereits. Durch die massiven Erweiterungen möchte der Autokonzern seine Produktion verdoppeln und sogar vervierfachen. Dies würde jedoch einem Ausbau der Infrastruktur um die Fabrik bedeuten, der Grünheide faktisch in eine Großbaustelle verwandeln würde.

    Die Fronten scheinen sich also wohl vorerst noch zu verhärten. Ob und wann möglicherweise erneut über etwaige Erweiterungen entschieden wird, steht bis dato nicht fest. Es ist jedoch davon auszugehen, dass erneute Proteste folgen könnten, sollte nicht zeitnah eine ökologische und zufriedenstellende Einigung gefunden werden.

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