Ein Teilverkauf der Stahlproduktion, ein Brandanschlag auf den Rheinmetallchef und der Brand bei Diehl – die Ereignisse sind dem glatten Ablauf der „Zeitenwende” ein Dorn im Auge. – Ein Kommentar von Mario Zimmermann
Deutschland braucht Stahl. „Davon hängt unsere gesamte Volkswirtschaft ab“, so Bundesarbeitsminister Heil am Dienstag bei der Demonstration der IG-Metall gegen den zu erwartenden Abbau von Arbeitsplätzen und Produktionskapazitäten in der Stahlsparte von Thyssenkrupp. Die IG Metall hatte zur Demonstration aufgerufen, nachdem bekannt geworden war, dass der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky schrittweise 20 und dann 30 Prozent der Stahlsparte mit der EPCG-Holding übernehmen soll.
Verhandelt wird seit Sommer 2023. Über den bevorstehenden Abschluss wurden weder Betriebsrat und Gewerkschaft im Voraus informiert, noch wurde die Entscheidung im Einvernehmen mit der am Standort einflussreichen Gewerkschaft getroffen. Diese kämpft nun um ihre Mitbestimmung bei solchen sozialpartnerschaftlichen Prozessen. Diese laufen für gewöhnlich eher harmonisch ab. So verhielt es sich auch bei der Nullrunde in den Tarifverhandlungen für die Stahlindustrie im Nordwesten 2021 oder bei vergangenen Konzernentscheidungen. Kritik wird jetzt am Führungsstil des neuen Thyssenkrupp-Chefs Miguel López laut, der die altbekannte Sozialpartnerschaft in den Verhandlungen über den Verkauf schlicht überging.
Unterstützt wird die IG Metall bei ihrer Kritik von weiterer Prominenz aus der Politik: z.B. von der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), die für das Hüttenwerk Krupp Mannesmann (HKM) im Aufsichtsrat sitzt, und dem NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). In ihren Reden betonen sie die Wichtigkeit der betrieblichen Mitbestimmung der Gewerkschaften im Rahmen der Sozialpartnerschaft und betonen die Verantwortung von Thyssenkrupp gegenüber den Arbeiter:innen, deren Arbeitsplätze durch den Kapazitätsabbau von 11,5 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr auf 9,5 Millionen Tonnen betroffen wären.
Stahl Made in Germany
Neben dem Kampf um die Mitbestimmung der Sozialpartnerschaft beim Umbau der Industrie werden die Politiker:innen wohl auch mit Blick auf den Europawahlkampf ihre Agenda planen. Doch auch geostrategische Interessen stehen zusätzlich zur Verhandlung.
Die deutsche Stahlindustrie steht international unter einem hohen Konkurrenzdruck: Aufgrund des Verlusts günstiger Energie aus Russland mittels Gas können sich ihre Stahlpreise nicht mit der internationalen Konkurrenz messen. Chinas Stahlindustrie z.B. stellt diejenigen der EU und Nordamerikas in den Schatten.
Dem Erhalt der nationalen Stahlproduktion kommt in Zeiten des Kriegs eine hohe Bedeutung zu: Die Versorgung mit dem Stahl, der in jeglicher Produktion, vor allem der Rüstungsindustrie, eine wichtige Rolle spielt, soll mit Blick auf die Zuspitzung der internationalen Konkurrenz bis hin zum Aufflammen imperialistischer Kriege fest in deutscher Hand bleiben. Lange Lieferketten und neue Abhängigkeiten von den Konkurrent:innen verbieten sich.
Den Rüstungsindustrien fällt eine Schlüsselposition in der jeweiligen Geostrategie der konkurrierenden Länder zu: ein lückenloser Nachschub von Mensch und Kriegsmaterial können über den Kriegsverlauf entscheiden. So auch im Ukraine-Krieg, wo aufgrund des Fehlens einer eigenen, kriegsfähigen Rüstungsindustrie der ukrainische Nachschub vom Militärkomplex der NATO übernommen wurde. Aktuell befindet sich die ukrainische Front unter starkem Druck. Der Mangel an Munition schränkt die Handlungsfähigkeit des ukrainischen Militärs ein, zu einem Zeitpunkt, wo sich das Blatt zugunsten der russischen Armee wendet.
Feuer bei Diehl Metall und im Gartenhaus von Rheinmetallchef
Dass die Stahl- und Rüstungsbranche nicht nur Freunde hat, zeigte ein im Internet veröffentlichtes Bekennerschreiben nach dem symbolischen Brandanschlag auf das Gartenhaus im Anwesen von Rheinmetallchef Armin Papperger in der Nacht vom 28.04. zum 29.04.2024 in Hermannsburg. Armin Papperger ist neben seiner Funktion als Chefmanager der Rheinmetall AG auch Präsident des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungindustrie (BDSV) und macht Schlagzeilen mit der Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht und zusätzlichen Steuermilliarden für die Aufrüstung der Bundeswehr.
In dem Bekennerschreiben wurde klar die führende Rolle Rheinmetalls in der Aufrüstung verschiedener Länder mit Panzern, Artilleriemunition und weiterem wichtigen Kriegsmaterial benannt: Fortlaufend werden Produktionskapazitäten ausgebaut, Unternehmen wie der spanische Munitionshersteller Expal übernommen und an einem Ausbau der Monopolstellung auf dem europäischen Markt gearbeitet. Zusätzlich wird von der Konzernleitung die Schaffung eines europäischen Monopols propagiert, das sich noch stärker mit den US-Rüstungsriesen messen könnte. Derweil expandiert Rheinmetall bereits in die USA, konkurriert um Großaufträge und sucht nach Unternehmen, die es übernehmen könnte, um schnell die Kapazitäten in Übersee auszubauen.
Zusätzlich wurde im Bekennerschreiben zum weiteren Kampf gegen Militarisierung und Umweltzerstörung aufgerufen und allen politisch Verfolgten Glück gewünscht, außerdem wurde Freiheit für die kürzlich verhaftete Daniela Klette gefordert.
Ein Brand am Standort von Diehl Metall in Berlin hat hingegen noch ungeklärte Ursachen. Am Freitagvormittag war das Feuer ausgebrochen, das eine Werkshalle komplett zerstörte und erst am Samstag gelöscht werden konnte. Dass die Diehl-Gruppe ein Rüstungskonzern ist, hatte Spekulationen bezüglich der Ursache des Brandes genährt – auch, weil Diehl Defence das Iris-T-Luftabwehrsystem produziert, das in der Ukraine zum Einsatz kommt. Am Standort von Diehl Metall selbst wurden wohl Teile für die Automobilindustrie hergestellt. Über mögliche Verzögerungen und Produktionsstopps als Folge des Anschlags ist noch nichts bekannt.
Ob und wie sich mögliche Sabotage-Akte und Störfaktoren für die „Zeitenwende” in Zukunft zuspitzen werden, bleibt offen. Auch die Verhaftung vermeintlich russischer Saboteure im April zeigt, das der Kampf um den Nachschub der Kriegsindustrie bereits in internationalem Maßstab geführt wird und sowohl symbolische, wie auch tatsächlich kritische Punkte treffen kann.